So war das alles nicht geplant gewesen. Vor wenigen Wochen noch hatten sie der Söldnertruppe von Kral der Klaue angehört. Auf dem Weg von Seeheim nach Süden war ihnen unversehens eine ganze Familie Waldtrolle über den Weg gelaufen. Das war ungewöhnlich genug, kannte man Trolle doch als Einzelgänger. Vier zugleich waren selbst für ihre zwanzig Mann starke Truppe kein Spaziergang. Noch vor einem Jahr hätten sie einen großen Bogen um diese Geschöpfe des Waldes geschlagen, aber seit Ignebo Risko, Herr von Seeheim, ein Kopfgeld auf Trolle ausgesetzt hatte, lohnte sich die Jagd. So hatte jedenfalls die Klaue entschieden. Und war daran gestorben. Das Bild hatte sich tief in Brenders Gedächtnis gegraben und ihn die ersten Nächte nach der Schlacht nur schlecht schlafen lassen. Als die ersten Männer endlich auf die Idee gekommen waren, Feuer gegen die Trolle einzusetzen, war es bereits zu spät gewesen. Eines der beiden großen Waldwesen, gute zehn Fuß hoch, hatte die Klaue einfach aus dem Sattel gepflückt. Der Arm des Trolls hatte lichterloh gebrannt und während er das Leben aus ihrem Anführer gequetscht hatte, hatten dessen Kleider Feuer gefangen. Von seinen Haaren war nur eine fahle Rauchwolke geblieben, die sich zwischen den Bäumen verflüchtigt hatte. Auf seinen Wangen hatten sich hässliche Brandblasen gebildet, bis die holzigen Krallen des Trolls den geschundenen Körper gegen den nächsten Baum geschleudert hatten. Wie ein nasser Sack waren die blutigen Überreste der Klaue zu Boden gefallen und hatten den Kampfgeist der Söldner gebrochen. Von ehemals zwanzig waren neun geblieben. Und für eine Schauergeschichte hätten sie von Ignebo Risko keinen Pfennig gesehen. Drei von ihnen waren zurück nach Seeheim gezogen, die anderen sechs, darunter Brender, Prenzel und Torion waren weitergereist zu Egebang Lauschwolf, dem Grafen von Zollwer und Herren von Burg Theuerkauf. Dort hatten sie gehofft, neue Arbeit zu finden und alsbald hatte der dicke Kaufmann Fassler drei von ihnen angeheuert. Er wollte mit seinem Lehrling zur Stadt Sturzwasser, die mehrere Tagesreisen entfernt im Osten lag. Zu fünft waren sie also aufgebrochen.
Am dritten Tag hatten sie die Brücke über den Blauquell genommen. Auf der anderen Seite hatte das Ufer des Goldsees auf sie gewartet. Ein Beweis für die Existenz der Götter. Brender hatte gestaunt. Das Wasser schmeckte süß und schimmerte golden. Wie denn sonst. Dieser Schimmer gab dem See seinen Namen. Brender erinnerte sich noch gut an ihr Gespräch:
››Die Glinn sind schuld‹‹, erklärte Fassler auf Brenders Nachfrage hin.
Der Söldner sah ihn nur verständnislos an. Woraufhin der Kaufmann geheimnisvoll lächelte und sich die Hände rieb, als erwarte er, ein gutes Geschäft zu tätigen. Dann begann er zu erzählen.
Das musste Brender ihm lassen, auf den Kopf gefallen war er nicht. Allerdings belehrte er gern und häufig. In der Regel legte Brender so ein Verhalten als Arroganz aus und das konnte ihm wahnsinnig auf die Nerven gehen. Doch bei Fassler vermutete er, dass dieser lediglich seine eigene Stimme liebte und das konnte der Söldner ertragen. Wurde es ihm zuviel, hörte er einfach weg und beschränkte sich darauf, ab und an zu nicken oder ein Brummen zum Besten zu geben. Das funktionierte öfter, als er gedacht hätte. Doch in diesem Fall war er durchaus dankbar für das Wissen des Kaufmanns und spitzte die Ohren.
››Die Glinn sind recht eigenartige Tierchen‹‹, hob Fassler an. ››Sie sind von goldener Färbung, haben Kiemen und Flossen, ansonsten ähnelt ihr Leben aber sehr dem der Bienen. Die kennt ihr sicher?‹‹
Auf seinen fragenden Blick hin runzelte Brender die Stirn und nickte knapp. Natürlich kannte er Bienen. Bei den Göttern, für wie dämlich hielt ihn dieser fette Kerl eigentlich?
Zufrieden erwiderte der Kaufmann das Nicken und fuhr fort. ››Sie schwimmen von Pflanze zu Pflanze und ernten diese ab. Den Nektar verarbeiten sie zu Honig. Jaa, zu Honig. Unterwasserhonig sozusagen und sehr köstlich.‹‹ Unbewusst leckte Fassler sich mit der Zunge über die Lippen. ››Es gibt einige Räuber, die gerne mal einen Glinnbau plündern und dabei entweicht genug Honig, um das Wasser so süß zu machen. Auch der leichte Goldschimmer – besonders bei Sonnenschein – geht auf den Honig der Glinn zurück.‹‹ Als erwarte er Applaus, blickte er erwartungsvoll zu Torion und Brender hinüber. Prenzel bildete die Nachhut und hatte von der ganzen Geschichte nichts mitbekommen. Erwartet er jetzt 'ne Antwort? , dachte Brender. Was soll man denn dazu sagen? Interessant? Haha . Nichts hasste Brender mehr als leere Worte. Natürlich fand er das interessant, sonst hätte er nie gefragt. In die Stille hinein ertönte erneut die erstaunlich helle Stimme des Kaufmanns.
››Ich weiß, was Ihr Euch jetzt fragt. Kann man damit nicht eine Menge Geld machen?‹‹
Brender wechselte einen Blick mit Torion, der seinen Verdacht bestätigte, dass das das Letzte war, an das Torion gedacht hatte. Obwohl man meinen sollte, ein Söldner denke die meiste Zeit an Geld. Und wie er es wieder ausgeben würde. Das mochte auf Torion auch zutreffen. Aber solange man das Geld nicht mit dem Schwert verdienen konnte, sah Torion die Gelegenheit eher selten.
››Das könnte man wohl, nur überleben die Glinn außerhalb des Goldsees keine zwei Tage. Wissen die Götter warum. Und der See selbst gehört dem Grafen von Westergarde. Soweit ich weiß, schickt der zweimal im Jahr ein paar Fischer zur Ernte her.‹‹ Offensichtlich gefiel das Fassler nicht besonders, denn er verstummte und versank stattdessen in dumpfes Brüten. Brender sollte es nur recht sein. Nickte er zuviel, würde ihm irgendwann der Kopf abfallen.
Das war erst gestern gewesen. Schließlich hatte die Straße, wenn man diesen spärlich gepflasterten Weg denn so nennen mochte, sie wieder vom Ufer des Sees fort und in eine Waldung geführt. Die Straße kreuzte hier einen Bachlauf, der sich problemlos ohne Brücke queren ließ. Brender vermutete, dass er den See speiste, er könnte aber genauso gut in den Blauquell münden. Am anderen Ufer stieg das Gelände zu beiden Seiten der Straße an und das Unterholz war dicht. Die Ufer waren schlammig. Wie geschaffen für einen Hinterhalt.
So war es gekommen. Und so hatte Brender seine Arbeit verloren. Von Prenzel erfuhr er, dass Torions Hals gleich den ersten Pfeil gefangen hatte. Und auch Fassler war von einem Pfeil getötet worden, was Prenzel die Gelegenheit gegeben hatte, den Bogenschützen ausfindig zu machen und ihn mit einem seiner unzähligen Wurfmesser zu den Göttern zu schicken. Oder in die Niederhöllen, was wahrscheinlicher war. Dann hatte sich Prenzel um den letzten Räuber gekümmert, der seitlich des Wagens aus dem Unterholz gebrochen war und den Lehrling niedergemacht hatte.
Nun standen sie da. Das Plündern überließ Brender Prenzel, der sich selbst Vielklinge nannte. Angeblich hatte er mehr Messer am Körper als Haare auf dem Kopf. Niemand hatte je nachgezählt. Währenddessen ging Brender zum Karren, um sich die Ladung anzusehen.
››Hauptsächlich Stoffballen, Garn und Kleider. Ein paar Gewürze‹‹, vermeldete Prenzel, der in diesem Moment mit Bogen und Köcher aus den Büschen kam. ››Hab schon in der ersten Nacht nachgesehen.‹‹
››War klar‹‹, murmelte Brender, schlug aber dennoch die Plane zurück, die aus sorgfältig vernähten und eingefetteten Lederresten bestand.
››Sieht so aus, als hättest du die Wahrheit gesagt.‹‹
››Traust du mir etwa nicht?‹‹, fragte Prenzel mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
››Genau so wenig, wie du irgendjemandem traust.‹‹
Daraufhin zuckte Prenzel nur mit den Schultern, die Mundwinkel immer noch oben.
››Dann zeig mal her‹‹, fuhr Brender fort.
››Was meinst du?‹‹, fragte Prenzel betont arglos.
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