Für Aleena war das nie ein großes Problem gewesen. Ihr Vater war Rok Dunwen, der Graf der Feuermoore, der von seinem eigenen Fleisch und Blut mehr Selbstbeherrschung erwartete als von jedem seiner Diener. Letztere sah er als zu schwach an, um sich gegen ihre niederen Triebe zu wehren und ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten. Aleenas Vater war ein strenger Mann, doch galt er bei seinem Volk als gerecht und ehrenhaft. Ob Aleena eine schöne Kindheit hatte, wusste nur sie allein, ihre Erziehung allerdings kam ihr an der Akademie auf jeden Fall zu Gute. Stolz war sie. Und stur.
››Ich drück dir die Daumen‹‹, raunte Aldred ihr zu und drückte ihre Hand mit seiner, bevor sie sich erhob, ihm zuzwinkerte und auffallend selbstbewusst in Richtung Kammer der Wahrheit davon stolzierte. Was hatte er erwartet, sie gab sich so gut wie nie eine Blöße. Trotzdem hätte er wetten können, dass sie genauso nervös war wie er. Heute war der Tag. Nach Aleena würde er seine Prüfung zum Magus ablegen. So hatte er sich das jedenfalls gedacht. Aldred war seit sieben Jahren an der Magierakademie in Samarant, die offiziell nach ihrem Gründer die Akademie zu Kyrell genannt wurde. Mit fünfzehn war er in Samarant angekommen und hatte wie alle anderen als Scolar mit dem Studium der Magie begonnen. Die Magie, wie der Laie sagte, war das ewige Lied der Gottmutter Elluvia. Die Legende besagte, dass sie im Zentrum der Welt saß und sang. Feuer, Wasser, Erde, Luft – alle Elemente und alles Leben entsprang ihrem Gesang. Jedes Ding und jedes Geschöpf hatte eine eigene Melodie. Und Aldred lernte, diese Melodien zu manipulieren. Elluvia hatte eine perfekte Welt geschaffen. Andere Götter hatten diese mit allen möglichen Kreaturen bevölkert. Elluvias Tochter Lia'nuwen und der Himmelsgott Aldaniel hatten elf Kinder gezeugt, die man schlicht als Elfen bezeichnete. Der feurige Grak'kor und Xallia, die Göttin des Wassers, hatten Geschöpfe erschaffen. Zwergen und Menschen genauso wie Feuerteufel und Wassernymphen. Die Götter hatten einen regelrechten Wettkampf im Erschaffen von Kreaturen eröffnet, bis sie erschöpft inne gehalten hatten, um sich etwas Ruhe zu gönnen. Nun war die Zeit gekommen, dass die sterblichen Bewohner Myrrhes Elluvias Lied zu nutzen lernten.
Aleena war am selben Tag wie er aufgenommen worden. Aldred erinnerte sich nur zu gut an die Anspannung, die sie beide gefühlt hatten. Ihre Geschichten waren ungemein verschieden und doch hatte das Schicksal sie zusammengeführt, noch bevor ihre Laufbahnen als Magier begonnen hatten.
Nach dem Aufnahmegespräch und der Prüfung zum Discipulus vor vier Jahren wartete heute seine dritte und wichtigste Prüfung auf ihn. Er begann, den Stoff nochmal im Gedächtnis durchzugehen, gab es aber schnell wieder auf. Es würde vermutlich Tage dauern.
Er ließ den Blick durch die Halle der Begegnung schweifen, wo sich diverse Zweier-, Dreier- und Vierergrüppchen versammelt hatten und Neuigkeiten austauschten oder auch nur plauderten. Manche hatten Gebäck dabei oder diese kleinen gefüllten Teigröllchen vom Markt, die derzeit so in Mode waren. Es handelte sich um Blätterteig, der mit allen möglichen Dingen gefüllt war. Man experimentierte noch. Derzeit überwogen süße Füllungen wie Pflaumenmus oder gezuckerte Nusscremes, Aldred hatte aber auch schon welche mit Heringssalat oder Bitterblatt gesehen. Er selbst hielt nicht viel davon. Die Händler versuchten doch nur, ihren Gewinn in die Höhe zu schrauben, indem sie ein Glas Pflaumenmus in vielen kleinen Portionen verkauften. Aber das war nicht sein Problem.
Für die Verhältnisse der Akademie war die Halle groß. Er schätzte die Grundfläche auf fünfzig mal fünfundsiebzig Fuß. Das hohe Kreuzgewölbe wurde von zwölf massiven Steinsäulen gestützt. In die Decke war eine Vielzahl von kleinen farbigen Fenstern eingearbeitet, die tagsüber zusätzlich Licht spendeten. Die Wände waren mit dicken Teppichen behangen. Die Tische, an denen die Scolari, Discipuli und selbst einige Magi saßen, waren allesamt aus dunkler Eiche, von denen keiner dem anderen in Form und Erscheinung gleichen wollte. Die Stühle und Sessel waren zumeist gepolstert und großzügig über den Raum verteilt, beleuchtet wurde die Halle mit Öllampen, die an Wänden und Säulen befestigt oder auf Tischen positioniert waren. Bücherregale fungierten als Raumtrenner und es gab sogar einzelne Sitzecken, die mittels Vorhängen vor neugierigen Blicken geschützt werden konnten. Aldred fand es ziemlich gemütlich hier.
››Discipulus Ravenor. Sei mir gegrüßt‹‹, begrüßte ihn eine vertraute Stimme.
››Magister Qwertz, ich grüße Euch‹‹,antwortete Aldred und sah sich seinem ehemaligen Lehrer der Alchemie gegenüber.
››Wie ich höre, ist heute der große Tag, nicht wahr?‹‹
››Ganz genau‹‹, erwiderte Aldred. Immer wenn er Magister Qwertz traf, musste er an dessen verrückten Unterricht zurückdenken. So viel Spaß hatte er selten gehabt. Erzählte man sich auch gruselige Geschichten über den alten Qwertz, war Aldred stets bestens mit ihm ausgekommen. Nun gut, als Scolar war er zurückhaltend bis schüchtern gewesen und hatte seinen Magistern jedes Wort von den Lippen abgelesen. Für ihn war Qwertz ein merkwürdiger, aber sympathischer Lehrer gewesen. Er hatte oft still vor sich hingelächelt, wenn er seine Schüler betrachtete.
››Ich wünsche dir viel Glück. Davon kann man nie genug haben‹‹, fuhr der Magister fort.
›› Ich danke Euch vielmals, Magister Qwertz.‹‹
Aldred sah dem Magister einen Augenblick nach. Wo immer Gelächter ertönte, ging auch der Blick des alten Magiers hin. Fast wirkte er misstrauisch. Aldred schüttelte den Gedanken ab und begab sich in seine Kammer, um noch etwas zu dösen. Schlaf würde er nicht finden, aber dasitzen und abwarten würde ihn verrückt machen. Dösen ging immer.
››Discipulus Ravenor, wenn du nicht in fünf Minuten vor dem Hohen Rat stehst, wird die Prüfung als ungültig gewertet!‹‹
Aldred schreckte hoch und sah sich verdutzt um. Es war schummrig in der Kammer, die er mit seinem Freund und Mitschüler Amun Lutenian teilte. Doch dessen Stimme war das nicht gewesen. Wenn er es recht bedachte, war das gar keine ihm bekannte Stimme gewesen. Er setzte sich auf und kniff die Augen zusammen. Es dauerte einen Augenblick, dann erst erkannte er in der Tür die edlen, jetzt feixenden Züge Aleenas, die offensichtlich ihre Stimme verstellt hatte.
››Haha, sehr lustig‹‹, brummelte er und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
››Ja, mein Bester, auf auf. Lange kann es nicht mehr dauern, bis der Rat dich rufen lässt.‹‹
Aldred brummelte und ließ sich absichtlich Zeit, seine Kleider zu ordnen und seine Gedanken zu sortieren, um Aleena zu zeigen, dass ihr Scherz unangebracht gewesen war. Diese stand weiterhin fröhlich grinsend in der Tür.
››Du hast bestanden?!‹‹ Etwas anderes konnte dieses dämliche Grinsen nicht bedeuten, das fiel ihm erst jetzt ein.
Das Grinsen wurde noch breiter. ››Natürlich. Was hast du denn gedacht?!‹‹
››Die letzte Stunde ... gar nichts.‹‹ Aldred fiel in ihr Grinsen ein, sprang dann auf und schnappte sich Aleena. ››Glückwunsch!‹‹, rief er aus tiefstem Herzen und drückte sie fest. Sie schlang ebenfalls die Arme um ihn und gab ein leises glucksendes Lachen von sich.
Dann trat Aldred wieder einen Schritt zurück und sprach mit ernster Stimme: ››Ich gratuliere Euch zum Rang der Maga, Euer Hochwohlgeboren.‹‹ Er verneigte sich.
Aleena lupfte ihre Robe, die sie als Mitglied der Akademie auswies, zu beiden Seiten wie ein Kleid und knickste mindestens so höflich wie grazil. ››Meinen Dank, edler Herr.‹‹
››Schmierfink, meinst du wohl.‹‹ Aldreds Vater war ein einfacher Schreiber.
››Edler Herr Schmierfink‹‹, verbesserte sich Aleena und beide mussten lachen.
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