Aleena hatte Aldred berichtet, der Rat hätte dem König Nachricht in die Hauptstadt geschickt und sich offiziell jegliche Einmischung verbeten. Doch der König war der Ansicht, dass auch die Magier zu seinen Untertanen gehörten und ihm Gehorsam schuldeten. Seiner Meinung nach ging er überaus behutsam vor und schrieb dem Botschafter lediglich die Rolle eines Beraters zu. Dieser wiederum interpretierte seine Aufgabe vehementer und man vermutete, der König habe ihn inoffiziell dazu angehalten.
Beunruhigend war es allerdings erst in den letzten Monaten geworden, als die an sich unpolitischen Magier begannen, Bewegungen, Gruppen und Bündnisse zu bilden. Auf der einen Seite standen diejenigen, die mit der Krone einen Kompromiss aushandeln und schriftlich festhalten wollten. Auf der anderen die Magier, die für die Unabhängigkeit der Akademie rigoros und überzeugt auftraten. Der Hohe Rat hatte bislang keine Position bezogen. Offiziell.
Viel Zeit, über den aktuellen Vorfall nachzudenken, blieb Aldred nicht. Nun war er wieder an der Reihe. Anscheinend war der Erzmagier derart in Fahrt, dass er diesmal einen feuchten Fliegenschiss auf die Etikette gab und den Prüfling selber hereinrief.
››Ravenor! Antreten!‹‹
Dieser rieb sich die müden Augen, strich seinen kurz geschorenen Bart glatt und eilte in die Mitte des Pentagramms, während Fjengel die Tür hinter ihm schloss. Brantiks Miene zeigte wie gewohnt keine Gefühle. Lediglich an seinem Tonfall konnte man hören, dass er noch nicht so ruhig war, wie er sich gab.
››Discipulus Ravenor. Wir haben eingehend beraten. Deine Kenntnisse in der Magietheorie sowie in der Pflanzen- und Kräuterkunde entsprechen den Anforderungen. Auch die Fragen zu Charakter und Moral hast du ordentlich beantwortet. Der praktische Teil hat uns Sorgen bereitet.‹‹
Aldred spürte, wie sein Mund trocken wurde. Würde er ein weiteres Jahr auf seine nächste Chance warten müssen?
››Die Feuerverzauberung war perfekt, der Teleport hat dir Probleme bereitet. Ich war dafür, dich im kommenden Jahr erneut zu prüfen.‹‹
Aldred fühlte Wut in sich aufsteigen und war nahe daran, laut los zu fluchen. Seine Freunde Magi, er Discipulus. Heiliges Höllenfeuer, das würde er nicht aushalten. Das wollte er nicht aushalten!
››Doch Arcomaga Imriel und Arcomagus Horna haben mich überzeugt. Einen Magus macht nicht allein aus, dass ihm gelingt, was er sich vornimmt. Dass er das Lied beherrscht. Sondern auch, dass er sich in einer scheinbar ausweglosen Situation zu helfen weiß. Dass er improvisieren kann.‹‹
Aldred ballte die Faust und ein kehliges Grunzen des Triumphs ließ seine Kehle vibrieren. Fast meinte er, ein schmales Lächeln auf Brantiks Lippen erkennen zu können.
››Discipulus Ravenor. Der Rat der Akademie zu Kyrell erhebt dich in den Rang eines Magus Quaerendus. Meinen Glückwunsch. Du kannst dir morgen die Robe eines Magus in der Kleiderkammer aushändigen lassen.‹‹ Mit diesen Worten erhob sich der Erzmagier und verließ die Kammer durch den Ausgang auf der rückwärtigen Seite. Magus Belio folgte ihm zügig. Der alte Meister Horna blieb sitzen, zwinkerte ihm zu, Meisterin Imriel winkte ihn heran.
››Auch von mir die besten Glückwünsche‹‹, säuselte sie mit einer Stimme, wie sie nur Elfen besitzen konnten. Aldred war sich durchaus bewusst, dass sein neuer Rang ein gewisses Maß an Würde von ihm verlangte, aber er konnte nicht anders, als breit zu grinsen.
››Danke Arcomaga.‹‹ Dann suchten seine Augen den Blick seines Mentors. ››Auch Euch vielen Dank! Für alles!‹‹ Meister Horna drückte ihm nur die Hand und lächelte zufrieden.
››Ich werde Euch stolz machen‹‹, plapperte Aldred weiter drauf los.
››Das hast du schon‹‹, antwortete Meister Horna. ››Aber es ist noch nicht vorbei. Es geht gerade erst los, Aldred.‹‹
››Jetzt geht’s los!‹‹, rief Amun und zog die letzte Schnalle an seinen Wanderstiefeln fest. Die Sonne stieg soeben zum Fenster hinein und ließ seinen blonden Kurzhaarschopf leuchten wie einen Heiligenschein. Er hatte einen Tag vor Aleena und Aldred die Magierprüfung erfolgreich abgelegt.
››Weißt du schon, wo du suchen wirst?‹‹, fragte Linli Liederspiel, ebenfalls eine frischgebackene Maga. Alle vier waren damit zu Magi Quaerendi geworden, auch einfach Suchende genannt.
››Ich werde die Gelegenheit nutzen, mal zu Hause vorbei zu schauen. Macht das nicht jeder?‹‹ Amun zuckte mit den Achseln und sah sie fragend an. ››Ist immerhin die erste Chance, seit wir hier sind. Wer weiß, wann die nächste kommt.‹‹
››Wohin gehst du, Aleena?‹‹, Aldred schnürte sein Bündel zusammen. Erst heute Morgen hatte er seine neue Robe beim Kämmerer der Akademie abgeholt. Entsprechend der Regeln der Akademie war sie in dunklem blau gehalten. Je ein schlanker weißer Streifen lief an der Außenseite der weiten Ärmel hinab und weitete sich zu deren Ende hin wie eine Flussmündung. Der gleiche Streifen, nur großzügiger ausgelegt, fand sich auch mittig auf Vorder- und Rückseite der Robe. Die Farbe Blau zeigte an, dass Aldreds Stärke die Wassermagie war. An zweiter Stelle stand bei ihm das Element Luft, daher die weißen Streifen. Aleenas Robe dagegen war feuerrot, ihre Streifen trugen Schwarz. Erdbraun war früher die Farbe der Erde gewesen, bis vor zweihundert Jahren die amtierende Ratsvorsitzende hatte abstimmen lassen, das Braun durch Schwarz zu ersetzen. Angeblich erblindete sie jedes Mal aufs Neue, wenn sie das klassische Braun in Kombination mit dem flammenden Rot sah. Erstaunlicherweise hatte sich dieser Eindruck gegen die Tradition durchgesetzt. Seitdem gab es Braun in keiner Robe mehr.
Obwohl die Roben magisch verstärkt waren und zumindest so viel Schutz boten wie eine einfache Lederrüstung, ließen sie sich wunderbar zusammenlegen und verstauen. Und genau das tat Aldred jetzt. Wie Amun hatte er Reisekleidung angelegt. Das Frühjahr machte langsam dem Sommer Platz, so dass er sich auf halbhohe Stiefel, Stoffhemd, Stoffhose und schlichtes Lederwams beschränkte. Für alle Fälle nahm er einen gefütterten sowie einen gewachsten Mantel mit. Eine Küchenhilfe hatte ihnen allen Pakete mit haltbarem Proviant bereit gelegt.
››Ich mach's wie Amun und schaue zu Hause vorbei. Zuerst mit dem Schiff nach Sturzwasser zu meinen Eltern und dann nach Norden. Ich finde einen Elfen für uns‹‹, antwortete Aleena. Hörte sich ganz einfach an, wie sie das sagte. Doch waren die Elfen noch schwerer zu finden, als zu überzeugen, an einer Magierakademie der Menschen zu lernen. Die Elfen waren Kinder der Götter und hielten die Menschen für plumpe Wesen, ganz besonders im Umgang mit dem Lied Elluvias. Jeder Elf konnte das Lied wahrnehmen und fast jeder konnte es zumindest in geringem Maß auch manipulieren. Meisterin Imriel galt an der Akademie als eine der stärksten Magierinnen. In ihrer Heimat dagegen war sie Eine von Vielen gewesen. Allerdings, das gab sie zu, nutzten selbst die mächtigsten Elfenmagier ihre Fähigkeiten nur begrenzt. Luft- und Erdmagie waren die Elemente von Aldaniels und Liu'Nuwens Kindern. Sie gebrauchten ihre Macht überwiegend, um die Welt um sich herum symbiotisch wachsen zu lassen, um zu heilen, aus den Höhen hinab zu schweben und sich lautlos zu bewegen. Doch würde Aleena bei den aufgeschlossenen und neugierigen Elfen aus dem Gezeitenwald vermutlich einen Schüler finden. Sofern sie die Elfen fand.
››Wer ist überhaupt auf die Idee gekommen, dass alle Magi nach ihrer Prüfung ausziehen müssen, um einen neuen Schüler zu finden, der ihnen nachfolgt?‹‹, Linli stemmte die Hände in die Hüften und blickte trotzig in die Runde.
Aleenas Antwort klang schnippisch. ››Arcomagus Sand, soweit ich weiß. Damals ging die Mitgliederzahl der Akademie bereits seit Jahren zurück. Drum herum kommst du sowieso nicht.‹‹
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