››Schön, dass du mich aufsuchst‹‹, begann er. ››Ich bin ein Magus der Akademie zu Kyrell in Samarant. Hast du von Samarant gehört?‹‹
Willony schüttelte den Kopf und kam sich noch kleiner vor.
››Das ist nicht schlimm. Hast du schon von Elluvia und ihrem ewigen Lied gehört?‹‹
››Elluvia sitzt in der Mitte der Welt und hält alles zusammen. Das weiß doch jeder!‹‹, krähte Willony, stolz, dass sie die Antwort wusste. Und schon reckte sie die Brust vor und wuchs wieder ein Stück. Der Fremde schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln.
››Ihr Lied durchdringt die ganze Welt, jeden Halm und jede Wurzel, jeden See und jeden Berg. Hast du es schon mal gehört?‹‹
Verwirrt legt sie den Kopf schief und sah ihn aus großen Kinderaugen an. Dann steckte sie verlegen ihren Zeigefinger zwischen die Zähne und besah sich ihre Schuhe.
››Hast du schon mal etwas Wundersames vollbracht und konntest dir nicht erklären wie? Hast du dabei vielleicht ein paar leise Töne vernommen oder eine flüchtige Melodie?‹‹
Die Kleine bekam feuchte Augen. Was wollte der nur von ihr?! Der Magier kniete sich vor sie hin und wirkte selbst ein wenig erschrocken. Kurz schien er nachzudenken, dann reckte er ihr die flache Hand entgegen und aus einem Wirbel von Funken und Sternen schälte sich ein kleines hübsches Mädchen mit spitzen Ohren, hauchzarten Flügeln auf dem Rücken und silbernen Löckchen, die ihr bis zu den Füßen fielen. Ein durchscheinendes, schimmerndes Kleid verhüllte ihren zierlichen Körper. Sie lachte glockenhell und drehte sich tanzend im Kreis zu einer Melodie, die nur sie zu hören vermochte.
Im Nu waren Verwirrung und Angst aus Willonys Kopf verschwunden, es blieb nur noch Staunen und Freude. Lachend klatschte sie in die Hände und verfolgte jede Bewegung der zierlichen Fee mit fasziniertem Blick. Wie in Trance bemerkte sie, wie der große Mann ihr die andere Hand auf den Scheitel legte und hätte sie darauf geachtet, wäre ihr aufgefallen, dass die Welt um sie herum für einen Moment viel intensiver in ihr Bewusstsein drang.
››Hörst Du die Musik?‹‹, kam eine weitere Frage. Doch außer dem Lachen der Fee hörte sie nichts und schüttelte den Kopf. Der Fremde seufzte und nahm die Hand von ihrem Schopf. Kurze Zeit später begann die Fee sich wieder schneller zu drehen, bis sie sich in einem Funkenregen aus Silber und Gold auflöste. Ihr fröhliches Glöckchenlachen verhallte in der Weitläufigkeit des Schankraumes.
Wär ja auch zu schön gewesen, wenn er gleich im ersten Dorf Erfolg gehabt hätte. Eines nach dem anderen waren die Kinder des Dorfes bei ihm angetanzt. Die meisten hatten mit seinen Fragen nicht viel anfangen können, aber wie sollte man der Milch erklären, was eine Kuh ist? Also hatte Aldred letztendlich jedem Kind die Hand aufgelegt, hatte deren Verbindungen zum Lied verstärkt und gehofft, dass eines von ihnen die Magie spürte. Vergebens.
Es war spät geworden und manche der Geprüften würden morgen mit dem Aufstehen zu kämpfen haben. Schließlich war auch der Magier die Treppen hinauf und ins Bett gekrochen, hatte am nächsten Morgen sein Frühstück herunter geschlungen und sich wieder auf den Weg gemacht. Die folgende Nacht hatte er im Wetterschutz eines Jägers verbracht und war mit der Sonne aufgestanden. So um die Mittagszeit erst hatte er das nächste Dorf erreicht.
Was für ein Unterschied. Womöglich lag es an der Ferne zur Stadt, dass die Menschen freundlich auf ihn zukamen und nichts von einer Bezahlung für ein Mahl wissen wollten. Der Dorfvorsteher rief zügig alle Kinder zusammen, die sich nebeneinander auf der Straße aufstellten. Aldred hielt seine Befragungen kurz und knapp. Nach seiner ersten Erfahrung verließ er sich lieber auf das Hand auflegen. Erfolg hatte er auch hier nicht, doch als er alle Einladungen ausschlug und darauf bestand, sofort weiter zu reisen, füllten ihm die Mütter, Schwestern und Töchter sein Bündel mit frischem Gemüse, einem Laib Käse und getrocknetem Speck, während die Männer das gleiche mit seinem Schlauch und kräftigem Bier taten. Es war in der Tat derart stark, dass Aldred schon eine Stunde nach Aufbruch mit brummendem Schädel beschloss, jeden getrunkenen Schluck sobald wie möglich durch Wasser zu ersetzen, um den Rest zu strecken.
Wieder verbrachte Aldred, entgegen seiner Neigung und voller Verdruss, eine Nacht im Freien. Gegen Mittag begrüßte ihn das Dorf Alrode schon von Weitem mit gemütlich rauchenden Schornsteinen. Auf einer alten Erle vor dem Dorf saß ein Habicht – das Symbol des Gottes Aldor. Das sah vielversprechend aus. Wie sich herausstellte, trog die Idylle, denn als der junge Magus nach den Kindern fragte, erntete er ernste Blicke. Ein Mädchen, kaum zwölf Sommer alt, wurde vermisst. Seit zwei Tagen hatte niemand sie mehr gesehen und keine Spur war von ihr gefunden worden. So wurden seine Prüfungen kein fröhliches Spektakel wie im letzten Dorf, nicht mal eine willkommene Ablenkung, sondern vielmehr eine beklemmende Zeremonie, die er selbst fast noch dringlicher als die Dorfbewohner hinter sich lassen wollte. Noch am selben Tag zog es ihn aus dem Dorf, obwohl der Abend nahte und ihm vor einer weiteren Nacht im Freien graute. Doch schien ihm das immer noch das kleinere Übel im Vergleich zu der Grabesstimmung in Alrode.
Der Weg war inzwischen mehr Trampelpfad als Straße, gerade breit genug für ein Fuhrwerk und die Natur schien mit Macht zurück zu wollen, was der Mensch ihr abgerungen hatte. Aldred fragte sich, ob er vor Anbruch der Nacht einen geeigneten Rastplatz finden würde. Denn des Nachts einen unbekannten Wald zu durchqueren, konnte gefährlich werden. Er befand sich am östlichen Rand des Reiches, dicht an der Wildnis, von der man sagte, dass schon so mancher Siedler von ihr verschlungen worden war. Hier lauerten nicht nur Bären, Wölfe und andere Raubtiere, sondern auch blutrünstige Koboldstämme, die die Ausbreitung der Menschen auf dem Kontinent in Richtung Südosten abrupt gebremst hatten. Vielleicht sollte er sich einen Schlafplatz hoch in einem Baum suchen, oder sein Nachtlager mit einem Tarnzauber belegen?
››So spät noch unterwegs?‹‹, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Eine raue, derbe Stimme, die ihm so gar nicht gefallen wollte.
››Ist doch gefährlich im Wald‹‹, fuhr der Mann vor ihm fort. ››Besonders zu dieser Stunde.‹‹ Es folgte erneut eine bedeutungsschwangere Pause. Er setzte sich gekonnt in Szene, das musste man dem Fremden lassen.
››Und ganz ... allein.‹‹ Diesmal erklang ein kehliges Lachen, in das einer seiner Kumpanen krächzend einfiel.
Aldred hatte derweil die Zeit genutzt, um seine Gegenüber ausgiebig zu betrachten und die Situation einzuschätzen. Drei dunkel gewandete Gestalten standen ihm gegenüber. Ihre Kleidung wirkte nicht abgerissen, aber etwas mitgenommen. Alle drei hatten sich mehrere Tage nicht rasiert und obwohl ihn noch drei Schritt von den Männern trennten, wehte ein übler Geruch zu ihm herüber. Wie hatte er diesen Stinktieren nur in die Falle gehen können?! Im Westen war die Sonne vor einigen Augenblicken versunken, doch es drang noch genug Licht durch die Bäume, dass er zumindest an zweien von ihnen das Zeichen erkennen konnte. Neben dem linken Auge trugen die Schurken ein Mal aus drei schwarzen Punkten, die, würde man sie durch Linien verbinden, ein gleichseitiges Dreieck bildeten. Mehr Zeit blieb dem reisenden Magier nicht, als das Gesindel scharrend schartige Waffen zog. Der in der Mitte, der gesprochen hatte und scheinbar der Anführer der drei war, zischte seinen Begleitern etwas zu, was für Aldred klang wie: ››Bluten darf er. Sterben nicht. Für Bulwey!‹‹
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