Glücklicherweise waren sie früh am Morgen in Sturzwasser angekommen, so dass Aldred vor Einbruch der Nacht noch einiges an Strecke schaffen konnte. Die Sonne schien hell und warm auf sein Gesicht, während er der Straße folgte. Ab und an blieb er einfach stehen und schloss die Augen, um sich ganz auf das angenehme Kribbeln und die warmen Strahlen der Sonne einlassen zu können. Schon bald wurde das Straßenpflaster spärlicher und zartes Grün machte den Steinen den Platz auf dem Weg streitig. Die großzügig verteilten Weiler direkt vor den Mauern der Stadt hatte er noch ignoriert, doch nach knappen zwei Stunden tauchte das erste Dorf vor ihm auf. Neugierige Blicke folgten dem Fremden ins Gasthaus. Dort zog er sich um und als er wenige Augenblicke später in seiner nagelneuen sattblauen Robe wieder vor die Tür trat, standen schon drei naseweise Kinder vor ihm.
››Warum trägst du ein Kleid?‹‹, fragte der Erste, ein Junge von vielleicht neun Sommern.
››Stört das nicht, wenn die Ärmel so weit runterhängen?‹‹, fragte die Zweite, Aldred schätzte sie auf elf, auch wenn das unter dem ganzen Schmutz nicht so einfach auszumachen war.
››Was ist das für eine Farbe?‹‹ fragte die Dritte und zeigte mit dreckigen Fingern auf die blendend weißen Streifen seiner Magierrobe. Schmunzelnd musterte Aldred einen nach dem anderen.
››Aus welchem Fuchsbau seid ihr denn gekrochen?‹‹
Die drei schauten sich verwirrt an, die Elfjährige kicherte aus unerfindlichem Grund und dann stoben sie davon, als seien sie auf der Flucht. Hinter Aldred trat der Sohn des Gastwirts aus der Schenke, nickte Aldred zu und machte sich – wie verlangt – auf die Suche nach dem Dorfvorsteher, der kaum zehn Minuten später um die Ecke bog. Im Tageslicht würde seine Robe mehr Eindruck schinden als im Halbdunklen der Taverne, hoffte der junge Magus.
››Ich grüße Euch, Vorsteher.‹‹ Aldred ging ihm ein Stück entgegen.
››Mmh, mhh. Grüße‹‹, sprach sein Gegenüber. Der Mann war weit über fünfzig, schätzte Aldred. Er hatte eine wilde graue Mähne und wettergegerbte Haut. Er machte einen kräftigen Eindruck, hatte Pranken wie ein Düsterwolf und sein Blick verriet ein gesundes Maß an Misstrauen. Seine Kleider waren einfach, aber ordentlich und halbwegs sauber, wie auch der Rest des Mannes.
››Was willst du?‹‹
››Ich komme von der Magierakademie zu Kyrell in Samarant‹‹, begann Aldred. Der Mann würde doch wissen, was Magie ist, oder? , dachte er bei sich. ››Gibt es in Eurem Dorf Kinder, die ungewöhnliche Begabungen haben? Die können, was anderen unerklärlich scheint?‹‹
Der Dorfvorsteher hustete in die hohle Hand und blickte Aldred schief an.
››Der Junge von Hembart hat einen Strahl wie kein anderer. Der kann gegen den Wind pissen, ohne dass er nasse Füße kriegt.‹‹
››Haha. Sehr lustig‹‹, nörgelte Aldred mit saurer Miene.‹‹ Ich meinte irgendwas, was Euch vielleicht Angst macht!‹‹
››Kolja, mein Sohn, der frisst so viel....‹‹
››Ja, schon gut‹‹, unterbrach Aldred ihn. Er konnte beim besten Willen nicht feststellen, ob der Mann sich über ihn lustig machte oder einfach nur dämlich war.
››Tut mir doch den Gefallen und führt mir Eure Burschen und Mädchen mal vor. Alle ab zehn Sommern würd ich sagen.‹‹ Kein Scolar war bisher jünger als zwölf gewesen. Lieber übergründlich als einen übersehen.
››Und was willst du mit denen?‹‹, hakte der Grauhaarige nach.
››Ich werde sie prüfen und auf alle, die die Prüfung bestehen, warten Ruhm und Reichtum.‹‹ Das konnte schließlich wahr werden und war nicht wirklich gelogen. Aldred glaubte nicht, dass er hier weiterkommen würde, wenn er versuchte, zu erklären, was die Akademie suchte und warum.
››Mmh. Die meisten Kinder sind auf den Feldern. Da müsst Ihr schon bis zum Abend warten.‹‹
Das war nicht die Antwort, die Aldred gefiel, aber immerhin hatte der Vorsteher zur höflichen Form der Anrede gewechselt. Offenbar hatte er den Köder mit dem Reichtum geschluckt.
››Ich warte im Gasthaus. Schickt sie zu mir, sobald das möglich ist.‹‹ Aldred wollte sich schon abwenden, da fiel dem Vorsteher noch etwas ein.
››Wie heißt Ihr überhaupt?‹‹
››Magus Ravenor nennt man mich‹‹, erwiderte Aldred und sah den anderen Mann grübeln.
››Ach, n Magus, was?! Sagt das doch gleich. Mich nennt man jedenfalls ... mmh, Vorsteher Klote.‹‹
Als wär das hier 'n Schwanzvergleich , dachte sich Aldred.
Trotz der strahlenden Sonne war es im Wirtshaus bestenfalls schummrig.
››Ganz schön schattig bei Euch‹‹, rief Aldred den Wirt an.
››Ist doch das beste bei so 'nem Wetterchen. Wer die Sonne auf'm Bauch will, geht raus. Wer's kühl mag, kehrt bei mir ein. Naja, eher treibt die Kühle für die Kehle das Volk zu mir. Aber so soll's sein, nicht wahr?!‹‹, plapperte der Wirt drauf los. Die saubere Robe sah wohl nach Geld aus. Womöglich sogar nach Gold. Bin mal auf sein Gesicht gespannt , dachte Magus Ravenor, bevor er fragte: ››Kann ich zwei Mahlzeiten, zwei Krug Bier und ein sauberes Bett bei Euch abarbeiten?‹‹
Tatsächlich fiel dem beleibten Wirt die Kinnlade ein Stück herunter. Dann fand er die Sprache wieder, maß aber den Magier mit kritischem Blick. Schnieke Kleider, schmale Hände.
››Was schwebt Euch da denn vor?‹‹
››Vielleicht ein buntes Feuerwerk? Oder eine unterhaltsame Geschichte?‹‹, schlug Aldred vor und fügte mit schelmischem Grinsen hinzu: ››Weinverkostung?‹‹
Die Mundwinkel des Wirtes sackten immer weiter nach unten. Dann war er an der Reihe.
››Wasser holen, Feuer machen, Beet pflügen, Holz hacken, Stube fegen, Staub wischen.‹‹
Aldred brummte in seinen säuberlich getrimmten Bart und zupfte sich verlegen am Ohrläppchen. Bei Xallia, er war froh, dass ihn niemand dabei sehen würde. Die meisten Arbeiten konnte er mit Hilfe des Liedes bewältigen, aber die hohen Künste derart zu missbrauchen, tat ihm fast körperlich weh und würde ihm Hohn und Spott einbringen, wenn jemals jemand davon erführe. Rotz und Wasser! Verfluchte Würfel!
Die kleine Willony, elf Sommer alt, ihr sandfarbenes Haar zu zwei abstehenden Zöpfen geflochten, schob knarrend die Tür zur Gaststube auf. Da saß der Mann von heute Morgen am Tisch und schob sich ein dickes Stück von Rommedahls Räucherschinken zwischen die Zähne. Er trug noch immer das seltsame Kleid mit den weiten Ärmeln, über das sie so gestaunt hatten. Hatte sie erst lediglich um die Ecke gelugt, schlüpfte sie nun ganz hinein und ließ die Tür hinter sich zufallen. Der Fremde war vertieft in sein Abendessen und so schien er sie nicht zu bemerken, was ihr noch ein paar Minuten Zeit gab, um ihn sich anzuschauen. Das schulterlange Haar hatte er mit einer einfachen Lederschnur zu einem kurzen Zopf zusammengebunden und im Gesicht stand ihm ein Rund-um-den-Mund-Bart. So einen wie Onkel Bram trug. Willony fand, dass der Fremde erschöpft aussah. Seine Züge wirkten kantig auf sie, aber gepflegt und sauber. Ihre Mutter sagte immer, wer sich sauber hielt, konnte kein schlechter Mensch sein. Deshalb hatte Willony sich auch nach der Arbeit noch kurz im Fluss den Dreck abgespült. Sie wollte einen guten Eindruck machen.
Der Vorsteher hatte einen Namen genannt, sie konnte sich nur beim besten Willen nicht daran erinnern. Sie trat die letzten paar Schritte an ihn heran und knickste unbeholfen, wie sie es bei den Frauen aus der Stadt gesehen hatte.
››Ihr habt gerufen, Herr.‹‹
Der Fremde wandte ihr das Gesicht zu und wischte sich mit einem Tuch über den Mund. Dann nickte er ihr freundlich zu und erhob sich. Bei Ilwen, war der groß. Als sie von unten zu ihm hoch sah, wirkte er fast doppelt so groß wie sie.
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