Denn wenn er allmächtig wäre, dann wäre er ja irgendwie auch für den ganzen Scheiß, der jeden Tag auf der Welt passiert, verantwortlich. Dachte ich. Und wenn er tatsächlich allmächtig gewesen wäre, dann hätte er ja auch mal aufräumen können oder uns Menschen wenigstens mal derart einen vor den Bug donnern können, dass wir uns schon aus lauter Angst und Ehrfurcht heraus anständig benommen hätten. Hat er aber nicht.
Gut, mit der Sintflut, die ihm ja auch in die Schuhe geschoben wird, hat er es ja wenigstens mal versucht. Erzählt man sich. War aber nicht sonderlich nachhaltig. Außerdem glaubte ich auch nicht so recht daran, dass dieser Ordnungsruf Gottes, wenn es ihn denn überhaupt gegeben hat – und das hat es mit, an hoher Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit nicht - auch wirklich auf sein Konto ginge. Es gibt zwar im Nahen Osten ein paar archäologische und auch geologische Hinweise auf eine prähistorische Flutkatastrophe, von einem weltumspannenden oder gar alles vernichtenden Szenario kann allerdings überhaupt nicht die Rede sein. Das war wohl eher so ein regionales Geschehen. Aber immerhin. Als Geschichte ist die Mär von der Sintflut ja ganz schön.
Im Großen und Ganzen beschränkte sich seine Allmächtigkeit in meiner Wahrnehmung aber anscheinend darauf, aus reiner Barmherzigkeit heraus ein Kind sterben zu lassen, weil er nun mal gern diejenigen am frühestens zu sich ruft, die er angeblich am meisten liebt. So habe ich mir das bei der Beerdigung des Kindes eines Freundes, das mit einem Herzfehler geboren und nur zwei Jahre alt werden durfte, tatsächlich anhören müssen. Ohne Scheiß. Fand ich ganz schön egoistisch vom lieben Gott, denn an die Eltern hat er offensichtlich dabei nicht gedacht. Sie mussten hergeben, was sie am meisten geliebt hatten. Oder er bestimmte, dass irgendeine Oma - zum Erweis seiner allmächtigen Liebe auf Teufel komm raus weit über hundert Jahre alt werden musste, obwohl sie viel lieber schon vor zwanzig Jahren gestorben wäre. Weil sie krank war, depressiv oder einfach nur keinen Bock mehr hatte.
Darüber hinaus nutzte er seine Allmächtigkeit meines Wissens auch nur dazu, um als Heiliger Geist eine ahnungslose Jungfrau zu schwängern und ihrem armen Mann Josef damit Hörner aufzusetzen. Oder er schickte uns hier mal ein Erdbeben, da mal eine Hungersnot, oder auch gern Seuchen wie Aids oder Ebola, wie besonders fromme und verstörte Zeitgenossen manchmal behaupteten. So als Strafe Gottes. Besonders lieb fand ich das alles dann allerdings auch nicht gerade. Nein, lieb und allmächtig, das ging in meinem Kopf nicht zusammen.
Ganz ehrlich, ich kam mit dem, was Kirche mir da verkaufen wollte, nie wirklich klar. Im Gottesdienst nicht, im Konfirmandenunterricht nicht und auch nicht im Religionsunterricht in der Schule. Aber ich konnte mir wiederum auch nicht so recht vorstellen, dass da so nun rein gar nichts dran sein sollte. Immerhin hielten sich das Christentum und der Glaube an diesen lieben und allmächtigen Gott nun schon fast zweitausend Jahre über Wasser, hatte sich über die ganze Welt verbreitet und das Leben von Milliarden Menschen bestimmt. Das konnten ja nun unmöglich alles Idioten sein, dachte ich. Einige waren sicher darunter, ganz bestimmt sogar, aber doch nicht alle. Dachte ich.
Andererseits kam ich mir immer selbst wie ein Idiot vor, wenn ich zum Beispiel das Glaubensbekenntnis aufsagen sollte. Ich habe das auch nie laut mitgesprochen. Außer als Konfirmand. Aber da musste ich das ja auch. Da hatte ich keine andere Wahl. Aber ich habe dieses Bekenntnis immer als Generalangriff auf meine Intelligenz erlebt. Nicht einen einzigen Satz davon habe ich geglaubt. Nicht einen. Und dass diese Ansammlung von Glaubenssätzen, von denen mir einer abstruser erschien als der nächste, nun das Bekenntnis, das Credo der größten Religion der Welt sein sollte, ging mir ja so gar nicht in den Kopf. Da steht doch nur Scheiß drin, dachte ich.
Und offenbar ging es mir auch gar nicht allein so. Fast ausnahmslos alle Menschen, mit denen ich hier und da mal über das Glaubensbekenntnis gesprochen hatte, bestätigten mir, dass auch sie diese Sätze nur runterplappern könnten, wenn sie dafür vorher ihren Verstand ausschalten würden. Das konnte es aber doch nicht sein. Dachte ich. Es konnte doch nicht sein, dass die größte Religion der Welt nur dadurch existiert, dass Milliarden von Menschen ihren Verstand ausschalteten. Natürlich wusste ich, dass Glaube und Vernunft nicht unbedingt eins zu sein hatten, aber dass sie sich deswegen gleich ganz ausschließen sollten, fand ich nun auch nicht so richtig einsichtig.
In Glaubensfragen herrschte in meinen Kopf also ein vollkommen wirres, aber auch durchaus fröhliches Durcheinander. Und weil ich noch jung war und nichts Besseres vorhatte, begann ich also mein Studium der Evangelischen Theologie. Ich brauchte ein bisschen Ordnung in meinen Gedanken und wollte der Sache auf den Grund gehen. So fing ich dann also an zu studieren, beschäftigte mich wissenschaftlich mit der Theologie, mit der Lehre Gottes, machte meine Examina und wurde irgendwann Pastor. Einfach so. Dann habe ich vierzehn Jahre für die Kirche gearbeitet, habe mir einen Einblick in die Innenwelt dieser Institution verschafft, habe mir angehört, was meine Kolleginnen und Kollegen so von sich gaben, habe mir die offiziellen Verlautbarungen der Kirche angeschaut, habe irgendwann frustriert gekündigt, habe mich selbständig gemacht und bin aus der Kirche ausgetreten.
Heute kann ich sagen: Gott sei Dank! Ja, ich war frustriert. Frustriert darüber, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen trotz ihres Studiums oftmals einen so unreflektierten Blödsinn von den Kanzeln herunterpredigten, dass ich Kopfschmerzen und Ohrensausen davon bekam. Sie hatten doch das gleiche studiert wie ich. Dachte ich. Und wenn man sich einmal auf wissenschaftliche Weise mit der Bibel, mit den Geschichten der Bibel und mit ihrer Entstehung auseinandergesetzt hatte, wenn man einmal die zentralen Aussagen des christlichen Glaubens auf den Prüfstand gestellt hatte, dann konnte man doch nicht mehr so predigen, wie es viel zu häufig in deutschen Gottesdiensten getan wurde. Und immer noch wird. Insbesondere die Qualität der Sonntagspredigten und auch der Ansprachen zu Beerdigungen oder Hochzeiten fand und finde ich zuweilen zutiefst erschütternd und verstörend, und nicht selten musste ich mich für so manchen Vertreter meiner Zunft fremdschämen. Daher bin ich lieber ausgetreten. Sicherheitshalber.
Das heißt aber nicht, dass mich der Glaube oder die Theologie nicht mehr interessieren würden. Im Gegenteil. Ich finde es immer noch hochspannend, mich mit diesen Themen und die daraus resultierenden Fragen zu befassen. Und nach Antworten zu suchen, die meinen Verstand nicht quälen.
Daher auch dieses Buch. Keine Angst. Es wird kein wissenschaftliches Buch mit Tausenden von Literaturhinweisen und Querverweisen. Es wird auch kein sonderlich kompliziertes Buch. Hoffe ich. Denn man muss die zentralen Aussagen des christlichen Glaubens gar nicht kompliziert erklären. Manche Dinge lassen sich durchaus ganz einfach verstehen. Die Sache mit dieser komischen Jungfrauengeburt zum Beispiel. Ist eigentlich ganz einfach, wenn man einmal verstanden hat, wie diese Geschichte überhaupt entstanden ist. Allerdings wird man hinterher auch nicht mehr glauben müssen, dass Maria eine Jungfrau war. War sie nämlich nicht. Oder vielleicht doch. Aber, wenn man das einmal verstanden hat, dann spielt das eben einfach keine Rolle mehr. Ist völlig unerheblich. Wumpe. Sie werden sehen. Später. Und auch das mit der Schöpfung, die Geschichte mit Adam und Eva und dem Paradies, und auch die Wundergeschichten beanspruchen keinerlei Wahrheitsgehalt. Auch das werden Sie sehen. Dieses Buch erhebt auch keinen Wahrheitsanspruch. Gar nicht. Anders als die Kirche, die sich ja selbst für wahr hält, und damit natürlich auch all das, was sie so verkündet. Ist natürlich Quatsch. Sie und ich, wir wissen das ja. Aber vielleicht muss man ja nach der Lektüre dieses Buches die Kirche auch nicht mehr ganz so ernst nehmen.
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