Raben lächelte nachdenklich. „Freundschaftsdienst? Das klingt eigentlich sehr nett…“
Innerlich verdrehte Sophie die Augen: Was für ein Seelchen! Kein Wunder, dass er diese Bagage nicht im Griff hatte… Sie zog energisch ihren Terminplaner näher. „Wann wäre es Ihnen denn recht? Außerhalb der Arbeitszeit, natürlich.“
„Natürlich“, echote Raben gehorsam, was Sophie schon wieder verzweifeln ließ. In einem dieser albernen SM-Romane, die gerade den Markt überschwemmten, wäre er wohl auf eine Domina aus.
„Warum lächeln Sie?“
Mist. „Nichts, Entschuldigung. Gleich heute Abend, sagen wir um sieben?“
„Ausgezeichnet. Und wo?“
Sophie überlegte. Keinesfalls im Rabenhaus, die blöde Conny brauchte sie dabei ganz bestimmt nicht. Jedenfalls nicht jetzt schon. Und Paula, die nur Angst hatte, irgendwie zu kurz zu kommen, auch nicht.
Bei ihr zu Hause? Besser auch nicht.
„An einem neutralen Ort“, sagte sie also vorsichtig.
Raben überlegte, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Kennen Sie die Sonderbar in Zolling?“
„Nein. Meinen Sie, dort ist es ruhig genug?“
„Auf jeden Fall. Es ist eine Art Bistro, mit leckeren kleinen Speisen, und abends zwar ganz gut besucht, aber durchaus gedämpft in der Atmosphäre. Ich war selbst erst zweimal dort, aber es hat mir sehr gefallen. Wenn Ihnen das recht ist?“
„Gut…“ Sophie notierte sich das. „In Zolling selbst oder in der MiniCity?“
„MiniCity. Ich freue mich schon!“
Sophie lächelte nur verbindlich, und Raben erhob sich. „Tja… ich muss dann mal wieder… in einer Stunde habe ich ein Seminar, da bleibt gerade noch Zeit für eine schnelle Pizza…“
„Darf ich Ihnen gleich etwas vorschlagen?“
„Natürlich!“ Er sah geradezu begierig drein.
„Lassen Sie die Pizza bleiben. Besorgen Sie sich eine Tüte Obst – an der Uni ist doch dieser Obstwagen? Und verbringen Sie die Mittagspause draußen. Auf einer Parkbank. Sie werden sich gleich besser fühlen.“
„Meinen Sie?“
„Probieren Sie´s“, beharrte Sophie auf ihrem Vorschlag, der wenigstens leichte Rosen auf Rabens bleiche Wangen zaubern sollte.
„Nun, wenn Sie meinen… vielen Dank schon mal. Dann sehen wir uns um sieben in der Sonderbar ?“
„Genau. Der Termin ist gebucht.“
Sein Blick verdunkelte sich kurz, dann verabschiedete er sich förmlich und verließ ihr Büro.
Komischer Mann, sinnierte Sophie. Er hatte sie um ein Coaching gebeten, und wenn sie das geschäftsmäßig handhabte, passte es ihm nicht? Aber damit, das Ganze gratis und privat laufen zu lassen, war er doch einverstanden gewesen?
Sie ging nach draußen und fragte Pamela, ob der Chef gerade frei war.
War er.
Und er hatte nichts dagegen, wenn Sophie den hilflosen Dr. von Raben privat etwas beriet. „Das hat schließlich mit unserem Kerngeschäft nichts zu tun, und so lange du es ohne Honorar machst, sehe ich da kein Problem. Glaubst du, du kannst ihm helfen?“
Sophie zuckte die Achseln. „Ich kann´s versuchen, aber ich fürchte, um ihm zu helfen, müsste man seine restlichen Geschwister auf eine verlassene Insel schaffen und dann dieses versiffte Haus sprengen. Ob man ihn anders befreien kann, wage ich zu bezweifeln.“
Restorff grinste. „Das sind nicht die Methoden, die wir sonst empfehlen. Wo steht denn dieses versiffte Haus ?“
„Auf der anderen Leißseite, Richtung Birkenried. Ein paar hundert Meter von der Leiß selbst entfernt.“
Restorff runzelte die Stirn unter seinem wirren schwarzen Haarschopf. „Da oben? Aber – da wohnt doch niemand? Da ist doch nur Pampa, bis zum Gut Birkenried?“
„Ex-Gut. Das wurde nach dem Brand der Stallungen doch aufgegeben, erinnerst du dich? Jedenfalls, da wohnt auch keiner – außer den Rabens eben. Völlige Pampa.“
Restorff runzelte immer noch die Stirn. „Hab ich darüber nicht irgendwas gehört? Nein, ich komme jetzt nicht drauf, aber irgendwas war mit der Gegend da oben.“
*
Das mathematische Institut der Universität Leisenberg führte ein etwas klägliches Dasein in einem Gebäude, das man in den späten Sechzigern nachträglich in einen trüben Hinterhof in der Carolinenstraße gesetzt hatte.
Patrick sah sich in der Straße um. „Die Carolinenstraße sieht immer noch aus wie kurz nach dem Krieg.“
„Hier könnte man auch prima DDR-Filme drehen“, stimmte Katrin zu. „Nicht mal die Autos müsste man wegfahren.“ Sie trat einem schätzungsweise dreißig Jahre alten violetten Japaner ohne TÜV-Plakette gegen die Reifen.
„Lass lieber – nicht, dass der sich in einer Staubwolke auflöst!“, mahnte Patrick im Spaß.
„Macht doch nichts, der müsste sowieso entsorgt werden. Muss man nur noch den Staub aufkehren. Und hier ist jetzt die Uni? Ist ja deprimierend!“
„Passt doch zu Mathematik“, fand Patrick und spähte in den Hofdurchgang. „Da hinten, glaube ich.“
„Du warst wohl früher ein Mathe-Loser?“, neckte Katrin.
„Du nicht?“
„Nö. Vierzehn Punkte im Abitur.“
„Olle Streberin. Hier sind wir richtig – Gott, wie hässlich!“
Die blassgraue Fassade war durch Regenspuren und Graffiti geschmückt, die Eingangstür mit ihrem martialischen bronzenen Griff im Stil der mittleren Siebziger hatte einen Sprung in der Glasscheibe. Katrin drückte die Tür vorsichtig auf, nicht dass die womöglich auch zu Staub zerfiel!
An der Wand hing immerhin eine dieser grauen Filztafeln, auf denen in umsteckbaren weißen Plastikbuchstaben vermerkt stand, wer wo residierte.
„Gersch, Dr. – im Keller, das auch noch!“
„Rechenzentrum. Vielleicht ist es im Keller ja kühler?“, mutmaßte Patrick und wandte sich dem Treppenhaus zu.
Das Rechenzentrum empfing sie so wie erwartet – Großrechner, diverse Arbeitsstationen, Kabelsalat, Wärme, Gebrumm.
„Herr Dr. Gersch?“ Katrin hörte sich regelrecht schüchtern an und ärgerte sich sofort darüber.
„Ja?“ Ein Mann im weißen Kittel tauchte hinter dem Großrechner auf. „Was ist denn jetzt wieder kaputt?“
„Kaputt? Nichts… wir kommen von der Kripo. Kramer mein Name, das ist mein Kollege Weber.“
„Kripo? Wieso das denn?“ Gersch runzelte die Stirn, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ach so, ja – wegen der verschwundenen Geräte, ja?“
„Nein“, hatte Patrick jetzt genug. „Wegen ihres Schwagers.“
„Schwager? Bene? Was ist mit ihm? Sagen Sie bloß, er gibt -… aber was hätte dann die Kripo… nee, sagen Sie´s mir.“
„Nicht Benedikt, Ludwig.“
„Was ist denn mit dem Penner los? Sind Sie von der Drogenfahndung?“
„Nein. Wir sind von der Mordkommission. Hat Ihnen denn keiner erzählt, dass Ludwig ermordet worden ist?“
„Was?“ Gersch ließ seinen Schraubenzieher fallen. „Ermordet? Ja, wann denn? Ich hab ihn doch erst – okay, das war auch schon letzte Woche.“
„Ach ja? Wo und wann genau haben Sie ihn denn gesehen?“
Gersch hob den Schraubenzieher wieder auf und setzte sich, das Gesicht vom Bücken leicht gerötet.
Unsportlich, dachte Patrick. Der Mann war einigermaßen jung, vielleicht Ende dreißig, und drahtig. Vom Bücken lila anlaufen taten doch sonst nur die Dicken mit dem hohen Blutdruck? Gut, wer wusste, an welchen Krankheiten Gersch litt; an die frische Luft kam er hier unten ja wohl eher nicht.
„Also?“ Katrin bohrte nach, offenbar hatte ihr Patricks Geduld zu lange gedauert.
„Was? Ach so, ja. Wo war das… Ja, im Rabenhaus natürlich. Ich wollte Benedikt etwas fragen – und Ludwig kam gerade über den Flur getrottet.“ Er grinste flüchtig. „Der hatte ja immer so einen Gang… als hätte er schon einen Schlaganfall hinter sich. Mein Vater ist nach seinem Schlag auch immer so etwas schief und stockend durch die Gegend getrottet, als würde er nur mit Mühe einen Fuß vor den anderen setzen. Aber Ludwig war wahrscheinlich bloß im Tran… und dann hat er mir sein berühmtes Lächeln geschenkt –“
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