„Vielleicht ist es bloß gemietet“, schlug Katrin vor und drückte auf die Klingel. „Halb elf… vielleicht ist die auch gar nicht da… die muss doch bestimmt arbeiten?“
Patrick sah auf die Uhr. „Aber es sind Schulferien, die Tochter müsste dann doch wohl da sein?“
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, von einem missgelaunten Teenager in Jogginghose und ausgeleiertem T-Shirt. Unter ihrer out-of-bed -Frisur blinzelte sie ärgerlich ins Tageslicht. „Ja?“
„Larissa Gersch?“
„Wer will das wissen?“
Katrin zückte ihren Ausweis. „Kripo Leisenberg. Mein Kollege Weber. Also?“
„Ja, zum Henker. Kommen Sie immer mitten in der Nacht? Ist ja wie bei der Gestapo…“
„Sie sind aber gut informiert“, lobte Patrick, was ihm einen befremdeten Blick von Katrin eintrug.
„Haben wir in der Schule gemacht“, murmelte Larissa Gersch. „Wollen Sie reinkommen oder was?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und schlurfte einen engen, vollgestellten Flur entlang ins Wohnzimmer. Katrin betrachtete sich gedankenverloren den eher breiten Hintern unter dem grauen Sweatstoff, dann zuckte sie die Achseln, zog den leicht verdutzten Patrick ins Haus und schloss die Haustür.
Larissa hatte sich wieder auf eins der Sofas geworfen und die Fernbedienung auf den gewaltigen Fernseher gerichtet.
„Können Sie das bitte mal ausmachen?“, bat Katrin und ignorierte den mürrischen Blick.
„Wo ist denn deine Mutter, Larissa?“, fragte Patrick und lächelte freundlich. Der Sack , dachte Katrin sofort, macht hier mal wieder auf guter Cop, und ich kann die Hexe geben .
„Na, arbeiten“, antwortete Larissa. Katrin lag schon auf der Zunge Pass mal auf deinen Ton auf, Fräuleinchen – wie ihre eigene Mutter früher! Sie schluckte das Elternsprech entschlossen herunter und lächelte so freundlich wie Patrick: „Und wo arbeitet deine Mutter?“
„Na, bei diesem Reisefuzzi am Markt. Paradies oder so. Kann ich mir nicht merken. War´s das jetzt?“
„Möchtest du gar nicht wissen, warum wir deine Mutter sprechen wollen?“
Larissa warf Patrick einen nachsichtigen Blick zu. „Na, wegen dem Ludwig, oder? Hat sich den Goldenen Schuss gesetzt. Armer Hund.“
„Goldener Schuss? Nicht ganz“, präzisierte Patrick. „Er ist ermordet worden.“
Larissa starrte ihn an. Dann sagte sie: „Ermordet? Echt? Krass.“
Das führte ja nun auch nirgendwo hin, fand Katrin. „Du hast eben Armer Hund gesagt, Larissa. Nur, weil er jetzt tot ist – oder hast du noch einen anderen Grund?“
Larissa starrte sie ebenfalls an, dann zuckte sie die Schultern. „So halt. Er war doch ein armer Hund, oder? In dieser Familie…“
Katrin fixierte sie aufmerksam, und es wirkte: Larissa seufzte. „Sie müssen die alle doch schon kennen gelernt haben! Die blöde Conny mit ihren Katzenviechern, Paula, die nur sich selber kennt, Benedikt, der denkt, er müsste sich um alle kümmern, dabei will das gar keiner – da kann man schon ans Kiffen kommen. Oder was anderes. Und dann dieses alte Haus, da stinkt´s doch total, wer will da schon leben!“
Katrin gluckste. „Hab ich mich ehrlich gesagt auch schon gefragt. Ich meine, putzen und lüften könnten die doch mal, oder?“
Larissa zuckte wieder die Achseln: Der Anfall von Mitteilsamkeit war offensichtlich vorbei. „War noch was?“
„Vielleicht später noch mal“, versprach Patrick und wechselte mit Katrin einen Blick. Sie nickte. „Tschüss, Larissa. Noch viel Spaß beim Fernsehen.“
„Kommt nur Scheiß“, murmelte Larissa, ohne den Blick von irgendeinem Boulevardmagazin zu wenden.
Draußen sahen sich Patrick und Katrin etwas konsterniert an, dann musste Katrin lachen: „Waren wir in dem Alter auch so?“
„Jedenfalls nicht so schwabbelig“, schauderte Patrick.
„Ach komm, das ist doch bloß Babyspeck! Nein, ich meine diese bemühte Muffigkeit. Da hat all unser Geschleime nichts geholfen… Wie alt ist sie wohl, dreizehn? Vierzehn?“
„Eher ein bisschen älter“, vermutete Patrick. „Fragen wir halt die Mutter. Paradies, am Markt… da bin ich ja mal gespannt, ob wir das finden.“
So schwer war es dann aber nicht; am Markt gab es zwar viele Geschäfte, aber nur eins, das irgendetwas mit „Paradies“ zu tun hatte – das Reisebüro „El Paradiso“, angeblich Spezialist für Kuba und Südamerika.
Viel Betrieb herrschte nicht, als sie eintraten, anscheinend buchten die Leute tatsächlich zunehmend nur noch im Internet. Patrick erkundigte sich bei der ersten Beraterin nach Frau Gersch und wurde nach hinten verwiesen. Katrin folgte ihm zwischen den Schreibtischen hindurch nach hinten und um die Ecke, wo eine Frau Mitte dreißig vor einem Rechner saß und konzentriert Daten in eine Exceltabelle eingab. Sie drehte sich um, als die beiden näher traten. „Hier ist eigentlich kein Publikumsverkehr. Wenn Sie bezüglich einer Reise Beratung wünschen, sind Ihnen meine Kolleginnen vorne im Kundenbereich sicher gerne behilflich.“
Sie wollte sich schon wieder ihrer Tabelle zuwenden, aber Patrick trat schnell einen Schritt vor. „Mein Name ist Weber, Kripo Leisenberg. Meine Kollegin, Frau Kramer. Ich denke, Sie wissen, warum wir hier sind.“
Teresa Gersch seufzte resigniert, nahm die Finger von der Tastatur und verschränkte die Hände im Schoß. „Wegen Ludwig“, antwortete sie dann ergeben.
„Ich denke, Sie möchten doch auch wissen, wer seinen Tod verschuldet hat?“ Katrin fand, dass sie sich ekelhaft säuselnd anhörte, aber wenn sie so zu dieser Frau durchdringen konnte?
Viel nützte es nicht: Sie erntete nur ein Schulterzucken. „Der Ludwig war doch selbst schuld. Wenn einer schon Drogen nimmt… er hat eben zu viel genommen oder etwas Schlechtes erwischt. Ich weiß gar nicht, warum Sie das großartig untersuchen.“
„Mochten Sie Ihren Bruder nicht?“, platzte Patrick heraus.
„Nicht besonders. Den hat doch keiner gemocht, der hat sich ja auch nur für sich selbst interessiert. Die Conny hat mir erzählt, der hat sogar seine Geschwister beklaut, bloß um seine Sucht zu finanzieren!“
Das Wort „Sucht“ hatte sie so erbittert hervorgestoßen, dass sich Patrick und Katrin kurz vielsagend anschauten.
„Das heißt, Ihre Schwester hat Sie bereits kontaktiert?“
„Ja, natürlich. Um sich auszuheulen, wie immer.“
„Ach ja?“, machte Katrin. „Ich hatte gar nicht den Eindruck, dass Ihre Schwester so arg an Ihrem Bruder hing?“
„Hat sie auch nicht, wie denn! Nee, die Conny hat sich über das Übliche ausgeschleimt, dass der Tierarzt so teuer ist, dass es im Rabenhaus so furchtbar ausschaut, dass Paula eine eiskalte Kuh ist… sowas halt. Als ob ich für immer den gleichen Quatsch so viel überflüssige Zeit hätte… den Ludwig hat sie nur so nebenbei erwähnt, ich glaube, eigentlich ist ihr das wurscht. Die Conny spinnt doch sowieso, mit all diesen blöden Katzenviechern. Die reinste Sucht ist das!“
Schon wieder dieses Wort…
„Kennen Sie vielleicht jemanden, der Ludwig besonders gehasst hat?“
Teresa Gersch grinste unfroh. „Außer seinen Geschwistern, meinen Sie? Ich wüsste nicht. Vielleicht hat er seinen Dealer betrogen oder sowas… ich meine, er muss doch in seltsamen Kreisen verkehrt haben?“
Dagegen ließ sich zunächst nicht viel sagen; Patrick und Katrin verabschiedeten sich artig und verließen den Laden, nur um draußen vor einem Eiswagen zu landen.
„Hm“, machte Patrick mit nahezu erotischem Timbre in der Stimme, „der hat Pistazie… sorry, aber das brauche ich jetzt.“
Katrin stellte sich sofort neben ihm an. „Ich vielleicht nicht? Bei dieser kranken Familie kann man ja fresssüchtig werden! Ich mag Schokolade und Haselnuss, in so einer Knusperwaffel.“
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