Diese nahmen das Angebot gerne an und kamen dann alle auf unser Boot. Papa lud sie zum Whiskey und zum Bier ein und wir kramten unsere Englischkenntnisse aus und erzählten von den Sehenswürdigkeiten, die wir bereits besichtigt hatten. Die Männer wurden fast gerührt, als wir unsere Beobachtungen und Gedanken über die Gräber in den Kirchen- und Klosterruinen mitteilten. Als wir sie fragten, ob wir ihr Boot besichtigen könnten, boten sie uns sogar an, uns das Innere ihres Bootes zu zeigen. Aber Papa hatte `was dagegen und sagte, wir sollten nicht so neugierig sein, die Männer hätten wahrscheinlich nicht aufgeräumt und es wäre ihnen peinlich, wenn wir ihre Unordnung bemerken würden.
Die Männer gaben sogar zu, dass sie eine heillose Unordnung an Bord hätten, aber wollten uns das Boot trotzdem zeigen. Da verbot uns Papa streng, auf das andere Boot zu gehen und erklärte das Thema für erledigt. Die Männer, die mittlerweile schon kräftig Bier und Whiskey getrunken hatten, sagten hierauf: „Euer Papa ist vorsichtig. Wir könnten ja von der Irischen Republikanischen Armee, der berüchtigten IRA, sein und Euch entführen wollen, um Geld zu erpressen für den Krieg gegen England! Die IRA braucht nämlich zurzeit Geld und Waffen, um ihren Kampf weiterzuführen. Könnten Sie, als ehemaliger Waffenlieferant für das Deutsche Reich“, wandten sie sich an Papa, „nicht wieder im Geheimen die Waffenproduktion aufnehmen und die IRA beliefern? Die IRA würde sicher Mittel und Wege finden, um Sie unauffällig zu bezahlen und die Waffen ebenso unauffällig ins Land zu schaffen!“
Vater war bei diesem Thema sehr ernst geworden. „Sie wissen, wer ich bin!“ sagte er. „Demnach scheint unser Zusammentreffen nicht rein zufällig zu sein! Aber Sie wissen auch, dass mir zur Auflage gemacht worden ist, als ich einen Teil unserer beschlagnahmten Werke zurückerhielt, keine Waffen mehr zu produzieren, und an diese Auflage muss und will ich mich halten!“ Die Männer steckten die Köpfe zusammen und schienen sich auf eine für uns unverständliche Weise zu beraten. Uns wurde es mittlerweile ziemlich mulmig, denn wir hatten bemerkt, dass die Männer bewaffnet waren. Die Konturen ihrer Revolver, die sie in den Hosentaschen hatten, zeichneten sich bei ihren heftigen Bewegungen deutlich ab.
Endlich ergriff einer von den Männern, der einzige, der übrigens deutsch sprach, das Wort und sagte zu Papa: „Sie nehmen also an, dass wir IRA Leute sind?“ „Nach Ihrem Verhalten zu urteilen kann ich das nicht ausschließen!“ antwortete Papa. „Wir denken, dass eine solche Annahme für Sie und ihre Familie sehr gefährlich sein kann. Vor allem, wenn sie in die Öffentlichkeit dringen sollte! Akzeptieren Sie also bitte die Aussage, dass wir keine IRA Leute sind und auch sonst keine Kriminellen, die man anzeigen müsste. Solche Vertreter hätten kein langes Federlesen gemacht, sondern Sie und ihre Familie entführt oder sie ausgeraubt und wären längst über alle Berge! Ich bitte Sie daher noch einmal, uns als die normalen Zivilisten zu betrachten, die wir sind. Ansonsten müssten wir sofort ihr Boot verlassen, nicht ohne eine enttäuschende Erfahrung reicher zu sein!“
Vater benutzte die goldene Brücke, die ihm hier gebaut worden war, und gab die gewünschte Erklärung, indem er sagte: „Meine Stellung nötigt zu einem übertriebenen Misstrauen gegenüber allen neuen Bekannten. Entschuldigen Sie, wenn ich offensichtlich normale Bürger und patriotische Privatpersonen einen Augenblick für Mitglieder der IRA gehalten habe! Sie sind mir persönlich sympathisch und ich hätte selbst bei Weiterbestehen meines Verdachtes keine Schritte unternommen, um diese Begegnung öffentlich zu machen. Seien Sie also weiter meine privaten Gäste!“ Der Sprecher unserer irischen Gäste wandte sich darauf an seine Kameraden und verklickerte ihnen in einem für uns wieder unverständlichem Dialekt, was Papa gesagt hatte, worauf die Mienen der Männer sich entspannten und sie Papa freundschaftlich die Hand gaben, um sich wieder zu setzen und den duftenden Fischen zuzusprechen, die Mama gebraten hatte.
Ein Schatten hatte sich aber über unsere Gesellschaft gelegt und die Unterhaltung wollte nicht mehr so unbefangen und fröhlich dahinplätschern, wie es vorher der Fall gewesen war. Die Männer hielten sich auch mit dem Alkohol sichtlich zurück und baten Mama stattdessen, nachdem sie gesättigt waren, um eine Tasse Kaffee. Danach hatten sie es plötzlich sehr eilig sich zu verabschieden und mit ihrem Boot in dem Seitenarm zu verschwinden.
Als die Männer weg waren, fragte Klaus Dieter Papa, ob die Männer tatsächlich IRA Leute gewesen seien. Papa meinte: „Mit großer Wahrscheinlichkeit! Sie hätten mich sonst nicht nach Waffen gefragt!“ Darauf fragte Kai, warum er dann so getan habe, als ob sie Privatpersonen gewesen seien, worauf Papa antwortete: „Das hätte sonst für uns alle sehr gefährlich werden können. Die Männer waren bewaffnet. Sie hätten durchdrehen können und uns alle umlegen können, um zu verhindern, dass wir sie verraten könnten. Sie hätten uns aber auch entführen und Lösegeld erpressen können. Die IRA ist zurzeit in großen Schwierigkeiten und braucht Geld und Waffen für ihren Kampf!“
Mama und Klaus Dieter lobten Papa hierauf, dass er so klug gehandelt habe. Aber Kai meinte, es sei unmoralisch und feige, nicht seine wahre Meinung zu äußern, sondern den Leuten was in die Hucke zu lügen nur um seine Haut zu retten. Mama verteidigte Papa und sagte: „Moralisch ist es, das Leben zu schützen. Das hat Papa getan.“ Darauf erwiderte Kai! „Die Männer haben doch gemerkt, dass Papa gelogen hat. Die waren nach seinen Worten ganz anders und hatten kein Vertrauen mehr zu uns. Vielleicht denken sie auch jetzt, auf diesen Lügner können wir uns nicht verlassen. Vielleicht fährt er in den nächsten Hafen und zeigt uns dort bei der Hafenpolizei an und gibt der noch eine genaue Beschreibung von uns und verrät das Kennzeichen von unserem Boot. Dann sind wir doch erledigt. Fahren wir lieber wieder zurück und nehmen die ganze Bande als Geiseln. Dann können sie uns nicht gefährlich werden und wir können noch Geld und die Freilassung von Gefangenen mit ihrer Freigabe erpressen.“
„Das werden sie nicht tun“, sagte Papa, „weil sie wissen, dass ich sie nicht anzeigen werde. Die haben gemerkt, dass ich hier sozusagen unerkannt bleiben möchte, abschalten und Ferien machen möchte und mich nicht noch mit irgendwelchen Affären belasten will, deren Ausmaß unabsehbar sein könnte. Außerdem haben sie sich nicht zu erkennen gegeben und so kann ich nicht sicher sein, dass sie überhaupt zur IRA gehören. Überdies wissen sie, dass sie mir rein persönlich sympathisch waren.“
Darauf sagte Kai: „Es gibt also eine doppelte Verständigung. Mit Worten habt Ihr euch wahrscheinlich beide angelogen, um das Gesicht zu wahren und einen Konflikt zu vermeiden und mit irgendwelchen Laserstrahlen habt ihr euch signalisiert, wer ihr seid und wie ihr euch in Wahrheit zueinander verhalten werdet.“ „Genauso ist es!“ sagte Papa. „Ist das denn eine Art von Verständigung, die alle Menschen beherrschen?“ fragte Kai weiter. „Ich glaube nicht“, antwortete Papa. „Vielleicht in lebensbedrohlichen Situationen, und dies war eine lebensbedrohliche Situation. Das hat dann bei beiden Seiten zu der, wie Du sagst, Laserverständigung geführt. In normalen Situationen sind die meisten Menschen aber zu einer solchen Verständigung nicht fähig und transportieren ihre Botschaften über die Sprache, Bilder oder Musik! Um die Lasersignale zu verstehen, musst du viel Erfahrung im Umgang mit Menschen haben und überhaupt viel über das Leben wissen!“
Kai war aber auch mit dieser Antwort immer noch nicht ganz mit Papa im Reinen und fragte: „Warum waren dir diese Männer sympathisch?“ Auch auf diese Frage antwortete Papa mit einer Engelsgeduld. „Wir haben die Gräber in den alten Kirchen gesehen. Wir haben erkannt, dass die Iren uns sagen wollen: unsere Gefangenschaft, unsere Unterwerfung durch ein anderes Volk empfinden wir wie das Ende unseres Lebens, wie einen vorzeitigen Tod. In der Natur gibt es ja ähnliche Reaktionen, wenn Wildtiere gefangen werden und zunächst das Fressen verweigern oder sogar das, was sie im Magen haben, wie bei gefangenen Schlangen, wieder von sich geben. Höher entwickelte Säugetiere haben lange Jahre in den Zoos auch keine Nachkommen gehabt. Die Zoobesitzer mussten ihre Gehege erst so gestalten, dass sie bei den Tieren den Anschein erweckten, frei zu sein und in der Wildnis zu leben, bis die Tiere sich wieder fortpflanzten.
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