Jan Nadelbaum
Bollhammer und der Tod im Feld
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jan Nadelbaum Bollhammer und der Tod im Feld Dieses ebook wurde erstellt bei
Margot Fleischmann macht sich hübsch
Kaffee bei Bollhammer
Hugo im Feld
Bollhammer braucht Brahms
Fleischerne Lüste beim Metzger
Die Terrassentür steht offen
Bollhammer zeigt Verständnis
Von singenden Nilgänsen
Der Dorfhengst
Nächtlicher Männerbesuch
Leichenschmaus
Margot macht sich Sorgen
Zwei Kaffeetassen
Club Cazzo
Johannes
Zwei Gäste
Die heilige Petra
Ungebetene Gäste
Das Gewitter
Bienchens Heimkehr
Impressum neobooks
Margot Fleischmann macht sich hübsch
„Ich bin fett und schön“, sagte Margot Fleischmann, betrachtete sich zufrieden im Spiegel und zog ihre Augenbrauen mit Kajal nach, damit diese zumindest für eine kurze Weile von ihrem Doppelkinn und den Hängebacken ablenken würden. Sie war verabredet, verabredet mit Hugo Bollhammer, dem Mann, den die dicke Margot seit Jahren anschmachtete, für den sie die Sterne vom Himmel risse, wenn er sie bloß endlich einmal darum bäte. Jetzt nur noch der Lippenstift. Dunkelrot – kräftigst aufgetragen natürlich. Sie zog eine Schnute. Margot hätte sich sofort genommen. Was war sie doch ein scharfes Geschoss für ihr Alter! Wahnsinn!
„Du bist einfach geil, Margot, supergeil“, brummte sie mit ihrer tiefen Stimme, die im Winkelrother Kirchenchor stets herauszuhören war und lachte. Wenn Hugo heute nicht anbeißen würde, dann wüsste sie es auch nicht. Heute hätte sie ihn sicher! Noch ein bisschen Parfüm, ruhig etwas mehr, konnte ja nicht schaden, falls sie draußen säßen.
„Du bist ‘ne Wucht, Margot“, bestätigte sie ihrem Spiegelbild. „Einfach eine Wucht!“
Sie spürte, wie sie bereits nervös wurde, wie jedes Mal, wenn sie wusste, dass sie auf Hugo träfe. Eigentlich – so hatte sie gedacht – müsste das doch irgendwann einmal rum sein, diese Aufgeregtheit, dieses komisch-angenehme Gefühl im Bauch, das nicht von ihren sporadischen Blähungen kam. Sie war schließlich keine zwanzig mehr! Sie fühlte sich zwar ebenfalls noch nicht wie zweiundsechzig – das war laut allen amtlichen Dokumenten ihr tatsächliches Alter, und, wenn man manch anderen fragte, zum Beispiel Hugo Bollhammer, auch mindestens das Alter ihres Aussehens –, aber zwanzig, nein, zwanzig war sie nun wirklich keine mehr.
Bevor sie das Haus verließ, warf sie ein letztes Mal einen prüfenden Blick in den Garderobenspiegel. Sie strich sich über ihre – passend zum Lippenstift – dunkelrote Bluse mit weißen Herzchen. Dabei beschlich sie das dumpfe Gefühl, dass das gute Stück beim letzten Waschen eingelaufen sein musste, da sie nicht davon ausging, zugenommen zu haben. Herrje, was saß die Bluse spack! Andererseits kam so natürlich ihre Figur besser zur Geltung. Man sollte stets das Positive sehen und was ihre Figur anging, war Margot bereits ein Leben lang Optimistin.
Gerade als sie mit einem beinahe schmerzhaften Stöhnen die massigen Füße in ihre besten Riemchenpumps zwängen wollte, klingelte das Telefon. Sie stöhnte erneut, doch nun klang es genervter und weniger schmerzvoll. Eilig trampelte sie ins Wohnzimmer.
„Ja, wat gibt et“, dröhnte ihre sonore Stimme. „Ich bin aufm Sprung!“
„Doch, bin ich…“
„Aber sicher kann ich springen…“
„Schieß los, Rosi, zwei Minuten gebe ich dir.“
„Nein, was du nicht sagst!“
„Heute Morgen?“
„Dat gibt et ja nicht!“
„Nein! Die Ärmste! Das stelle ich mir ja schrecklich vor!“
„Und das bei uns… Man ist nirgendwo mehr sicher.“
„Genau, du sagst es, nicht mal in Winkelroth.“
„Tu das, Rosi.“
„Ich auch.“
„Ja, tschöö.“
Margot legte auf. Das müsste sie unbedingt Hugo erzählen! Das würde ihn sicher interessieren. Aber bei Hugo wusste man nie. Sie würde sich auch nicht wundern, wenn er längst über alles im Bilde wäre. Der tat immer so zurückgezogen und knurrig, war allerdings meistens über alles bestens informiert, was sich um ihn herum ereignete. Im Flur harrte ihrer unterdessen hämisch grinsend das Paar Pumps.
„Scheißdinger“, brummte Margot und suchte nach den Flipflops vom letzten Urlaub. Hugo würde ihr ja nicht auf die Füße schauen, dachte sie, und jauchzte innerlich, als sie die beiden fand. Erleichtert schlappte sie aus dem Haus.
Hugo hatte den Terrassentisch gedeckt. Wie Margot lebte er seit geraumer Zeit allein. An die Frau, die er in jungen Jahren wohl geehelicht hatte, erinnerte er sich nicht mehr. Zwei Kinder waren aus dieser Verbindung hervorgegangen: Sohn Friedrich, der in der sächsischen Staatskanzlei arbeitete und der im Großen und Ganzen sehr nach Hugo schlug sowie Tochter Maria Theresia, die nach ihrer Mutter kam und als Kulturdezernentin der Stadt Duisburg das an Kultur zu retten versuchte, was noch zu retten möglich schien. Beide verhielten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Hugo selbst war promovierter Historiker und überwiegend an der Uni beschäftigt – wie er vermutete, hauptsächlich damit die heutige Generation Studenten auch noch einmal eine Vier kassierte oder gar durchfiel. Er passte im Grunde absolut gar nicht in die Schickimickifriedefreudeeierkuchenwirhabenunsallelieb-Studentenwelt. Er war so etwas wie der Staubsauger zwischen all den rosa Wölkchen. Hätte Molière eine Vorlage für seinen Misanthropen gebraucht, er hätte wahrscheinlich keine bessere als Hugo Bollhammer finden können, den Sarkasmus in Menschengestalt.
Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Miesepeter hatte er sich der Imkerei verschrieben, einer Freizeitbeschäftigung, der er sich seit seinen Jugendtagen widmete. Es lag demnach auf der Hand, dass er einen Bienenstich gebacken hatte, der nun verlockend auf dem Tisch thronte und sicherlich mehr auf Margot wartete als Hugo, welchem allmählich Veilchenduft in die Nase stieg. Er schnüffelte. Sie musste im Anmarsch sein. Margot hatte anscheinend alle Veilchenparfümbestände der Reichswehr aufgekauft, nachdem diese ab 1925 als Biowaffen unter das Genfer Protokoll gefallen waren. Nun würde es noch ein bis zwei Minuten – je nach Windrichtung – dauern, bis sie bei ihm aufschlüge. Hugo ging in die Küche und holte die Kaffeekanne. Kurz darauf flipfloppte Margot, eine rote Kugel mit weißen Herzchen, ums Haus in Richtung Terrasse.
„Hallo Hugo! Ist das ein Wetterchen! Ich kriege kaum Luft“, stöhnte sie.
Hugo hob eine Augenbraue und entgegnete trocken: „Bin mir jetzt nicht sicher, ob es am Wetter liegt oder an den beengten Verhältnissen…“ Dabei wanderten seine Augen stetsfort auf und ab, Herzchenbluse, Flipflops, Flipflops, Herzchenbluse, Herzchenbluse, Flipflops, Flipflops, Herzchenbluse, Margots dicker roter Mund. Linke Wange, rechte Wange: „Lass dich mal drücken, Hugo.“
Hugo hasste jede menschliche Berührung, doch stand er wie betäubt festgewurzelt und ließ das Begrüßungsprozedere über sich ergehen. Margots Augen wichen dabei lediglich kurz von dem prächtigen Kuchen auf dem einladend gedeckten Tisch. Noch weniger als Hugo konnte sie es erwarten, sich endlich zu setzen. Mit einem Schnaufen plumpste sie alsdann auch auf den Stuhl und ließ sich von Bollhammer ein ordentliches Stück auf den Teller bugsieren.
„Der sieht ja wieder toll aus, Hugo!“
„Das tut er doch immer, Margot.“
Ein wenig ängstlich nahm er ihr gegenüber Platz, stets skeptisch die mehr als gespannte Bluse beäugend. Margots Brustwarzen bohrten sich wie zwei Messerklingen durch den dünnen Stoff. Eher unterbewusst drehte er seinen Stuhl ein wenig zur Seite, sicher aus Furcht davor, von einem sich möglicherweise befreienden Knopf erschossen zu werden.
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