Günter Laube
Gefangener Nummer 343
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Inhaltsverzeichnis
Titel Günter Laube Gefangener Nummer 343 Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Das Gefängnis
2. Rückblick
3. Die ersten Gespräche
4. Traum und Wirklichkeit
5. Gefangener Nummer 343
6. Die Klausur
7. Die Flucht
8. Die Verabredung
9. Die Stadt der Liebe
10. Das Spiel
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Impressum neobooks
»Sie sollten nicht hier sein, das ist kein Ort für eine Frau!«
Der Empfang durch den Direktor des neuen Hochsicherheitsgefängnisses war mehr als distanziert. Die Atmosphäre war kühl, ja frostig.
»Das ist eine Frage der Perspektive«, entgegnete ich und streckte ihm meine Hand entgegen. »Sophia Fernández«, stellte ich mich vor, »vielen Dank, dass Sie mich empfangen!«
Ich hatte mich bemüht, keine Ironie in meine letzten Worte zu legen, und es schien mir gelungen zu sein. Einem prüfenden Blick folgte ein kräftiger Händedruck. »Kenneth Thompson«, sagte er dann ohne eine Miene zu verziehen.
Wir standen in einer Art Innenhof, auf dem Dach eines Gebäudes, das, wie ich wusste, auf vier mächtigen Pfeilern auf einem künstlich verstärkten Atoll im Pazifik ruhte.
Die Vereinten Nationen hatten dieses Großprojekt vor zehn Jahren ins Leben gerufen, um die gefährlichsten und mächtigsten verurteilten Verbrecher der Welt, die in manchen Ländern die Todesstrafe zu erwarten hatten, an einem sicheren Ort zu verwahren. Lebenslänglich. Zur Rettung ihrer Seele und Abkehr von der Tötung von Menschen, wie es in einem offiziellen Dokument hieß. Tatsächlich waren die meisten Insassen Mörder, nur in einigen wenigen Ausnahmefällen hatten die zuständigen Gerichte entschieden, dass ein normales Gefängnis nicht ausbruchsicher genug war, um die Gefangenen, die zwar keinen Mord aber dennoch ein schwerwiegendes Verbrechen begangen hatten, längere Zeit in ihren Heimatstaaten in Gewahrsam zu behalten. Eine Verurteilung musste vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag erfolgen, nur in Ausnahmefällen konnte eine Verurteilung auch durch ein Bundesgericht oder eine vergleichbare Institution der fünf ständigen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrates vorgenommen werden.
Auf der Suche nach einem geeigneten Ort war man auf ein Atoll der Marshallinseln gestoßen, dass infolge des Klimawandels seit einigen Jahren zum Teil unter Wasser lag. Die Inselgruppe im Pazifik, zwischen Hawaii und Papua-Neuguinea, zählt zu Mikronesien und schien auf Grund seiner geographischen Lage, der klimatischen Bedingungen und der politischen und historischen Gegebenheiten als idealer Standort in mehrfacher Hinsicht. Die im sechzehnten Jahrhundert von Spaniern entdeckte Inselgruppe befand sich im Laufe der Geschichte sowohl unter deutscher wie japanischer Verwaltung, bevor die USA nach dem Zweiten Weltkrieg als Treuhänder im Auftrag der Vereinten Nationen die Herrschaft übernahmen, die sie auch nach 1990, dem offiziellen Ende der Treuhandverwaltung, de facto nach wie vor inne haben. So wäre zivilisiertes Leben auf den Inseln ohne Unterstützung seitens der Amerikaner undenkbar, die auf dem zur Inselgruppe gehörenden Bikini-Atoll in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts zahlreiche Kernwaffentests durchführten und noch heute einen Raketenstützpunkt auf dem Kwajalein-Atoll betreiben.
Entsprechend ist in diesem Gebiet seit jeher viel Militär stationiert, vor allem amerikanisches. Neben der von jeglichem Festlandgebiet der Erde weit entfernten Lage einer der ausschlaggebenden Punkte bei der Wahl des Ortes. Auf einem Seegebiet von der Größe Frankreichs plus Spaniens fanden sich noch zum Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts über eintausendzweihundert Inseln, die insgesamt eine Landfläche vergleichbar der Größe von Washington D. C., der Hauptstadt der USA, ausmachten. Doch die Fläche und damit die Bewohnbarkeit der Inseln und Atolle schrumpfte im Zuge der Klimaveränderung, so dass schließlich nur noch wenige Inseln bewohnt blieben. Die verbliebenen Einheimischen arbeiten zum Großteil für die US-Armee, betreiben Fischfang und Ackerbau. Dem seit Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts einsetzenden Tourismus-Boom wurde im Zuge der Konzipierung des Gefängnisses ein jähes Ende bereitet, das komplette Gebiet wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt.
Nach sechsjähriger Bauzeit war dieses Gebäude in Form eines Würfels vor vier Jahren feierlich eröffnet worden. Während der Eröffnungszeremonie, an der neben hochrangigen UN-Vertretern auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs teilnahmen, waren Filme über Sicherheitsüberprüfungen, die sowohl militärische Elite-Einheiten wie auch internationale Firmen durchgeführt hatten, gezeigt worden; sie sollten den Geldgebern verdeutlichen, dass dank ihrer Unterstützung tatsächlich das absolute Gefängnis entstanden war.
»Ausbruch unmöglich, Flucht unmöglich«, war das Motto der Veranstaltung, und dieses Motto hatte in den vergangenen Jahren an Nachhaltigkeit gewonnen. Es war in vier Jahren nicht ein einziger Fluchtversuch unternommen worden, geschweige denn gelungen.
Dabei waren hier mittlerweile über dreihundert Gefangene untergebracht. Meine Aufgabe war es nun, im Auftrag des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen die Verhältnisse vor Ort zu überprüfen. In jeglicher Hinsicht. Es sollte ein Bericht erstellt werden, der nach fünfjähriger Inbetriebnahme des Gefängnisses den beteiligten Staaten präsentiert werden sollte.
Thompson war der erste Direktor, laut seiner Akte hatte er zuvor im Pentagon gearbeitet. Er war siebenundfünfzig Jahre alt, konnte auf eine recht erfolgreiche militärische Laufbahn in der US-Army, in der er es bis zum Lieutenant Colonel gebracht hatte, zurückblicken und war vor fünfzehn Jahren ins Pentagon versetzt worden. Dort begann seine zweite Karriere, als Zivilist und im Grunde als Politiker. Die Leitung dieses Gefängnisses war die Krönung seiner Laufbahn, und als Direktor war er mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet, die sich auch auf das Militär erstreckten.
»Bitte folgen sie mir!«, sagte er und drehte sich um.
Ich folgte ihm. Etwa zwanzig Meter von der Hubschrauberlandefläche entfernt war eine Öffnung im Boden. Als ich näherkam, sah ich zehn kreisförmig angeordnete Stufen, über die man zu einer Plattform gelangte. In deren Mitte war eine Wendeltreppe, die nach unten führte. Beim Abstieg zählte ich zweiundzwanzig Stufen.
Die Sicherheitsüberprüfungen hatten ergeben, dass dies tatsächlich der einzige Ausgang war, der einzige Weg nach oben. Die Wände des Gefängnisses waren praktisch unzerstörbar, weder Chemikalien, Säuren oder Salzwasser konnten größeren Schaden anrichten. Um ein Loch in die Außenwand zu sprengen, würde man mindestens eine Panzerfaust benötigen.
Während er eine Tür mit einer Chipkarte öffnete, sagte er: »Wir sind jetzt in der neunten Etage, dem Verwaltungstrakt. Hier habe ich mein Büro, und ebenso befindet sich hier ein Raum für die Diensthabenden, das sind immer vier Soldaten unterschiedlicher Nationalitäten. Die ärztliche Station, drei Labore, eine Bibliothek und einige weitere Räume befinden sich ebenfalls auf dieser Etage, zum Beispiel das Büro des ärztlichen Direktors sowie entsprechende Behandlungsräume und eine kleine Apotheke. In der achten Etage sind die Kantinen für Häftlinge und Personal sowie eine Sporthalle für das Personal, die Etagen eins bis sieben beherbergen unsere Insassen. Für den Rest ihres Lebens. Aber das alles dürfte Ihnen ja wahrscheinlich bereits bekannt sein.«
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