Und Fatima hatte nicht nur gelernt, sie war in dem Sinne auch eine gute Lehrerin. Als ich nach meinem ersten Semester einen Job suchte, hatte sie mich mit allem bekannt gemacht, der Kneipe, den Abläufen und mich den anderen vorgestellt. Sebastian hatte sie bei meiner Bewerbung darauf hingewiesen, dass ich vier Sprachen spreche und ihre beste Freundin sei. Da hatte er nicht mehr lange überlegt und mir den Job gegeben. Das war in den letzten Semesterferien, und nach einer Testphase von vier Wochen hatte er mich sozusagen fest engagiert. Meine Eltern hatten mir zum Studium einen Zuschuss für das erste Jahr gegeben, monatlich fünfhundert Euro. Doch jetzt musste und wollte ich auch selber wieder Geld verdienen, da ich meine Ersparnisse etwas dezimiert hatte.
Das war aber den Umständen geschuldet, denn ich war im Sommer auf einer Hochzeit eingeladen. Fatima und Abdullah hatten geheiratet – im Kreis ihrer Freunde. Von den Familien war niemand gekommen. Das, was Fatima also befürchtet und mir vor einiger Zeit per E-Mail mitgeteilt hatte, war wirklich eingetreten. Doch sie hatten in Berlin mittlerweile einen so großen Freundeskreis, dass es trotzdem eine große Feier war. Und dafür brauchte ich selbstverständlich auch etwas Schickes zum Anziehen! So plünderte ich mein Sparbuch, dass meine Eltern für mich vor zehn Jahren angelegt hatten, und auf dem durch meine Arbeit nach dem Abitur im Ausland eine nach meinen Begriffen größere Summe auf diese Gelegenheit quasi gewartet hatte. Der Rest, die eiserne Reserve, war für meinen nächsten Urlaub und für Notfälle gedacht. Die würde ich nicht anrühren.
Fatima war inzwischen siebenundzwanzig, so alt wie mein Bruder Aaron, und ein burschikoser Typ. Sie hatte große, dunkle Augen und eine wallende Mähne, die sie nur mit einer Bürste bändigen konnte. Ich beneidete sie insgeheim ein wenig, denn die Aufmerksamkeit der Männer war ihr gewiss – egal wo sie hinkam. Auch bei uns in der Kneipe hatte sie schon so manchen Verehrer, doch meistens blieb es bei blöden Sprüchen, die sie stets schlagfertig konterte. Sie konnte aber auch sehr resolut sein. Als bei einem Typen sehr spät in der Nacht keine Sprüche mehr halfen, und er die Hände nicht von ihr lassen wollte, hatte sie ihm ein Glas Wasser über den Kopf geschüttet und ihn aufgefordert, dass er sich erst mal abkühlen sollte. Er war wütend aufgesprungen, doch sie bedachte ihn mit einem so verächtlichen Blick, dass er sie nicht anrührte. Als sich dann auch noch Alexandra neben sie stellte, hatte er fluchend die Kneipe verlassen.
Alexandra ist die dienstälteste Mitarbeiterin von Sebastian, groß, schlank, athletisch, Mutter von zwei Kindern, nicht auf den Mund gefallen und hätte mit ihren langen blonden Haaren und den blauen Augen auch Model werden können. Meiner Meinung nach. Sie konnte aber mit ihren Augen offenbar nicht nur nett in die Kamera lächeln, sondern hatte auch diesen eiskalten Blick drauf, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Mit einem solchen Blick hatte sie den Typen bedacht.
Das war offenbar zuviel für ihn, und Sebastian hatte die beiden kurzerhand für soviel Frauenpower gelobt und dem Kerl Hausverbot erteilt. Als Abdullah die Geschichte hörte, wäre er am liebsten dabei gewesen und hätte dem Typen seine Version von Power gezeigt. Doch als er Alexandra wenig später kennen lernte, hatte er verstanden, dass es auch anders geht. Sie hatte ihn mit einem Blick gebändigt, wie mir Fatima hinterher erzählte, und im Scherz hatte sie Alexandra gefragt, ob sie ihr nicht mal ihre Augen im Bedarfsfall ausleihen könnte.
Dass Fatima krank war, überraschte und beunruhigte mich. Sie hatte mir nichts geschrieben, und normalerweise mailten wir gerade in solchen Fällen. Ich absolvierte die Schicht mit einer gewissen Routine, die vier Stunden vergingen, doch es kam keine Nachricht von ihr. Auch Sebastian und die anderen hatten nichts wieder von ihr gehört.
»Ich werde mich erkundigen«, versprach ich, als wir uns um zehn nach eins verabschiedeten, und fuhr auf dem schnellsten Weg nach Hause.
Sina schlief bereits, wie ich feststellte, und ich ging schnell ins Bad. Anschließend ging ich in mein Zimmer, griff zu meinem Handy und schickte Fatima eine Mail: »Hi! Geht es dir gut? Ich habe gehört, du seiest krank?«
Ich musste nicht lange auf eine Antwort warten: »Wie man es nimmt. Ich hatte heute ein Gefühl, das ich noch nie hatte, und mir ist auf der Straße etwas schwindlig geworden. Da bin ich zu meinem Arzt gegangen, und der hat mich ins Krankenhaus geschickt, da er nichts Ungewöhnliches festgestellt hat. Und im Krankenhaus musste ich lange warten, aber dann hat mich ein Arzt untersucht, der war wirklich sehr nett. Und er hat festgestellt, dass ich schwanger bin!«
Ich atmete tief und beruhigt durch. Dann schrieb ich zurück: »Das ist ja toll! Das freut mich für dich. Und für euch!«
Sie antwortete umgehend: »Danke dir. Ich freue mich auch. Abdullah auch. Ich habe ihn aus dem Krankenhaus angerufen, und er kam gleich nach Feierabend vorbei und hat mich abgeholt. Aber es ist doch schon spät. Du musst bestimmt schlafen, oder?«
»Das stimmt, aber wer soll bei solchen Neuigkeiten schlafen?«, schrieb ich zurück und fügte noch einige Smileys hinzu.
Ihre Antwort bestand aus einem Smiley.
»Ich melde mich morgen. Gute Nacht!«, schrieb ich und wollte mein Handy ausstellen. Da kam eine Mail von Tim: »Gute Nacht, schlaf gut.«
Er wusste, dass ich heute gearbeitet und jetzt erst zu Hause sein würde. Er hatte an mich gedacht.
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