»Denken Sie sich nichts dabei ..., die beiden meinen es nicht so. Es ist nur Spaß«, erklärte McKinney.
»Ach so! Na, auf jeden Fall danke ich für die Fortbildung! Aber wo liegt denn nun eigentlich das Problem für das Tauchboot, wenn weder Druck, noch Temperatur, Licht oder Pottwale eine Gefahr darstellen?«
Maurice sah mich mit einem spitzbübischen Grinsen an. »Es ist schlicht die Tatsache, dass der Pazifik so riesig ist. Aber was sage ich? Wollen Sie mal mitfahren?«
Ich hatte etwas Derartiges kommen sehen und antwortete prompt: »Gern. Wann?«
Ich sah nur verblüffte Gesichter und musste laut lachen. Genau diese Reaktion hatte ich erwartet. Und natürlich auch provoziert.
McKinney fing sich als Erster. »In drei Tagen werde ich wahrscheinlich eine Testfahrt um die Insel herum machen, und am Wochenende steht eine größere Tour auf dem Plan. Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen ..., und sich mal ein anderes Reich ansehen.«
»Okay ..., vielen Dank. Wenn mein Zeitplan das hergibt, bin ich dabei!«
»Sehr gern. So richtig interessant wird es eigentlich erst ab einer Wassertiefe von zehn oder zwanzig Metern ..., bis zu zweihundert Metern. Das ist das Revier von den bekanntesten Meeresbewohnern ..., Walen und Delphinen, Seehunden, Robben, und natürlich zahlreichen Fischschwärmen. Und von Haien. Das sind ganz elegante Burschen. Sie haben doch durch unsere Erzählungen keine Angst bekommen, oder?«
»Angst? Vor Haien? Nicht, solange irgend etwas Festes zwischen uns ist.«
Die Männer lachten. »Keine Sorge, das Boot ist bissfest. «
Maik prostete mir zu und lächelte. Ich hob mein Glas und prostete zurück. »Auf die Abenteuerfahrt mit Kapitän Nemo ...«, rief er.
McKinney protestierte. »Ich habe weder so einen Bart, noch bin ich so alt.«
Diesmal konterte Maik nicht, sondern sah mich mit einem Augenzwinkern an. »Flirtet er mit mir? Hier? Vor allen Leuten?«
Während ich noch überlegte, sah auch Maurice mich mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an. »Finde ich gut, dass Sie mitfahren wollen. Das ist wirklich sehenswert. Mal sehen, wie es Ihnen gefällt. Pottwale sind schlicht Giganten und die größten Raubtiere der Welt. Sie sind bis zu zwanzig Meter lang, können bis zu vierzig Tonnen wiegen und haben keine natürlichen Feinde ..., abgesehen vielleicht von Riesenkalmaren. Die werden bis zu zweiundzwanzig Meter lang und sind die größten und höchstentwickelten wirbellosen Tiere der Welt.«
Es schien, als ob ihm meine Entscheidung Respekt eingeflößt hätte. Gleichzeitig hatte allerdings auch er einen Blick in den Augen, der mir sagte, dass er wohl sehr gerne eine Abenteuerfahrt mit mir unternehmen würde. Es war fast so etwas wie eine Konkurrenzsituation zwischen ihm und Maik entstanden. In der letzten halben Stunde hatte ich bemerkt, wie sich das Verhalten auch bei einigen anderen geändert hatte, und ich musste wiederum an die Worte des Direktors denken: »Das ist kein Ort für eine Frau!«
»Bevor wir schlafen gehen, hätte ich noch eine Frage«, meldete sich da Stephen zu Wort. Er zählte zu jenen, die mich bisher nicht mit einem gewissen Blick bedacht hatten.
»Nur zu.«
»Sie ..., Sie sind ja eine Frau!«
»Gut beobachtet.«
»Ja, für einen Biologen nicht schlecht«, spottete Maurice.
»Das hat er im ersten Semester gelernt«, lästerte Maik.
»Ha ha, sehr witzig. Was ich sagen wollte, ist, dass meine Freundin sich auch beworben hatte. Sie hatte sogar bessere Noten als ich. Aber man hat sie nicht genommen, weil sie eine Frau ist.«
»Aha.«
»Warum macht man bei Ihnen eine Ausnahme?«
»Ich weiß nicht ..., vielleicht weil ich nur eine oder zwei Wochen hier bleibe. Und ich bekomme von den Gefangenen auch niemanden direkt zu sehen. Und von der Besatzung eigentlich auch nicht unbedingt. Nur so weit es eben unumgänglich ist.«
»Hm ..., und weil Sie von der UNO sind wahrscheinlich.«
»Ja, auch das könnte ein Grund sein.«
»Nun ja ..., es ist ja auch ziemlich gefährlich hier. Im Wasser die Haie, im Gefängnis die Gefangenen ..., Mörder und Vergewaltiger und was weiß ich ...«
»Ja ..., was weißt du schon?«, rief Daniel.
»Es ist eigentlich kein Ort für eine Frau, wollen Sie damit sagen, oder?«
»Genau! Aber wir werden schon auf Sie aufpassen!«
»Genau! Das werden wir!«, rief Maik und erhob sich. »Soll ich Sie nach Hause bringen?«
Ich erhob mich ebenfalls und erwiderte mit einem leichten Lächeln: »Danke sehr, aber ich finde den Weg allein!«
Ich spürte die Blicke der Männer auf mir. »Das ist kein Ort für eine Frau!«
»Okay ..., dann gute Nacht!«, sagte Maik.
»Gute Nacht!«, riefen die anderen im Chor.
»Gute Nacht!«, sagte ich.
Ich erwachte, weil jemand meinen Namen rief.
»Maryam! Wach auf! Du träumst!«
Aus halb geöffneten Augen sah ich Sina, und sofort wusste ich, dass ich geträumt hatte. Sie sah mich mit einem sehr ernsten Blick an, den ich an ihr noch nicht bemerkt hatte. Wir kannten uns seit etwas mehr als einem Jahr und hatten uns bei der Wohnungssuche über ein Internetportal für WG-Mitbewohner gefunden.
Wir studierten beide an der FU Berlin.
»An diesem Ort ...«, murmelte ich noch, doch dann war ich hellwach.
»Alles klar?«, fragte Sina.
»Ja ..., doch ..., ich muss wohl geträumt haben. Habe ich dich geweckt?«
»Nur ein bisschen. Aber ich wollte sowieso gerade aufstehen. Es ist ja immerhin schon vier Uhr!«
»Ups, tschuldigung!«
»Kein Problem! Aber ich glaube, auch deine Haie hätten nichts dagegen, wenn wir noch zwei oder drei Stündchen schlafen würden.«
»Meine Haie?«
»Ja ..., du hast von Haien geträumt. Vielleicht ja auch von Großstadthaien«, kicherte sie.
»Oh ja ..., ich erinnere mich ..., das ist schon verrückt. Keine Ahnung, was das soll.«
»Egal ..., vergiss es, und schlaf weiter! Aber nicht zu lange ..., heute ist Dienstag, und wir müssen um neun an der Uni sein!«
»Okay ..., entschuldige nochmal.«
»Kein Problem. Auf in die zweite Runde!«
Sina tapste verschlafen aus meinem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich hörte sie in ihr Zimmer zurück gehen. Es wurde ruhig im Haus, dafür hatte ich jetzt alle Einzelheiten des Traums vor meinem inneren Auge und überlegte, ob ich einzelne Personen oder Orte oder Gegebenheiten wiedererkannte. Doch als ich nach einer Weile auf meinen Wecker sah, stellte ich fest, dass ich jetzt eine ganze Stunde lang überlegt und nichts gefunden hatte! Ich wälzte mich von links nach rechts und drehte mich vom Bauch auf den Rücken und wieder zurück. Doch es war zwecklos. Ich konnte nicht mehr einschlafen.
»Verflixt nochmal! Was war das für ein Traum?«
Ich stand auf, zog die Jalousie ein Stück hoch und sah aus dem Fenster.
Unsere Wohnung lag im Südwesten Berlins, in Zehlendorf, im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses. Wir konnten mit dem Fahrrad zur Uni fahren, genauso wie zum Wannsee, wo ich im Sommer und speziell in den Semesterferien mindestens einmal pro Woche war.
Obwohl es erst halb sechs an diesem Dienstag Morgen war, herrschte bereits viel Verkehr. Ich hörte das Rauschen von der Autobahn und der Potsdamer Chaussee. Auch in unserer relativ kleinen Nebenstraße war bereits einiges los. Einige kamen von der Arbeit, andere gingen zur Arbeit.
Neuesten Prognosen zufolge wird Berlin in zehn Jahren vier Millionen Einwohner haben. Die Stadt wächst. Nicht nur durch die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Nordafrika, Ost- und Südosteuropa, sondern auch durch die anhaltende Landflucht der hiesigen Bevölkerung. Berlin ist die deutsche Metropole schlechthin, eine Weltstadt. Als ich in der siebten Klasse war, hatten wir einen Schulausflug zu der ehemaligen innerdeutschen Grenze unternommen. Die Zeit des Kalten Krieges und die Ereignisse des Jahres 1989 sind wohl mit keiner anderen Stadt so verbunden wie Berlin, das nach dem Zweiten Weltkrieg in vier Sektoren aufgeteilt wurde. In einen sowjetischen, einen französischen, einen britischen und einen amerikanischen, oder später auch vereinfacht ausgedrückt in eine westliche und eine östliche Zone. Dazwischen war die Mauer, die achtundzwanzig Jahre lang ein Volk, Familien und Freunde trennte. Zahlreiche Dokumente sind bis zum heutigen Tag erhalten geblieben, so dass wir uns ein mehr als lebendiges Bild machen konnten. Es war wie Geschichte zum Anfassen. Damals, als Teenager, hatte ich es nicht verstanden, warum das, was im Zwanzigsten Jahrhundert in Deutschland geschehen ist, nicht auch in meinem Land oder irgendwo anders auf der Welt geschehen konnte – oder kann. Ein im Prinzip friedliches Miteinander, ein gemeinsames GrenzenÜberwinden. Auch heute noch verstehe ich nicht, wie es damals gelingen konnte, die Bevölkerung von zwei Ländern, denen man über Jahrzehnte eingetrichtert hatte, dass die anderen die Bösen sind, in einem vollkommen unblutigen Akt zu vereinen.
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