1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Als das Leben auf dem Schloss erwachte und auf dem Innenhof Stimmen zu vernehmen waren, löste sie sich aus seinen Armen, gab ihm einen zarten Kuss, wandte sich dann aber ab und verschwand.
Dirion hatte beschlossen, ihr nicht zu folgen. Doch als er jetzt im Thronsaal stand und die Huldigungen entgegennahm, bereute er es, denn er hatte sie auch den restlichen Tag nicht mehr angetroffen. „Schließlich war es mein Sohn, der mit seinen tapferen Mannen die Triganer in dem großen Tempel der Draken schlug, bevor sie entweihen konnten, was heilig und unberührt ist.“
Dirion schob sich an einigen Rittern vorbei nach vorne und trat vor den König. Dann ging er auf die Knie und neigte sein Haupt. Arkil legte seine Hand auf den Kopf des Prinzen und sprach mit erhabener Stimme: „Der Segen unseres Hauses sei mit dir auf allen Pfaden, dunklen wie lichten!“ Die versammelte Menge klatschte. „Ich danke Euch“, antwortete Dirion demütig und erhob sich wieder.
Dein Segen für meine Ehe wäre mir weitaus lieber, Vater , dachte er bei sich, nickte kurz den wichtigsten Abgeordneten unter den Hofleuten zu und kehrte dann schnell wieder zu seinem Platz zurück, wo ihn niemand bei seinen Tagträumen beobachtete.
Aus dem Augenwinkel sah er jedoch, dass er selbst in hinterster Reihe nicht unbeobachtet war, die Augen eines Mannes waren ständig auf ihn gerichtet. In einer Ecke des Thronsaals, ein ganzes Stück von Dirion entfernt, stand ein schlanker, groß gewachsener Edelmann, dessen offene Pelzrobe bis zum Boden reichte. Darunter konnte Dirion einfache Leinenkleider in dunklen Farben erkennen, sowie ein paar Reiterstiefel.
Er hatte den Grafen schon öfters bei Ratsversammlungen angetroffen, doch nie waren sie sich außerhalb von offiziellen Zusammenkommen begegnet oder hatten je ein Wort gewechselt, das sich nicht um Politik und Krieg drehte. Jetzt allerdings schien Dirion das ganze Interesse des Mannes geweckt zu haben.
Egrodt von Asyc war an die fünfzig Jahre alt und trotz seiner kantigen Züge, dem ergrauten langen Haar und einem ewigen Dreitagebart hatte er etwas Erhabenes und Edles an sich.
Dirion entschloss sich dazu, nach der Ehrung zum Grafen hinüber zu gehen und ihn zu begrüßen. Gerade, als er diesen Beschluss gefasst hatte, war Aldrĭn an der Reihe. Der junge Prinz trat vor den König und wurde für seinen ersten Kampf gelobt, den er in eigener Führung unternommen hatte. Obwohl er versuchte, möglichst unberührt zu erscheinen, konnte Aldrĭn den Stolz über seinen Erfolg nicht verstecken und ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er sich - das Medaillon um den Hals gehängt - wieder erhob und sich der klatschenden Menge zuwandte.
Dirion lächelte ihm zu, als sich ihre Blicke kurz trafen und unweigerlich warf es ihn in Erinnerung zu dem Tag zurück, als ihm selbst zum ersten Mal der Respekt des Hofes gezollt wurde. Alles war ihm so richtig erschienen in diesem Augenblick, er war sich sicher, dass er genau an diesen Ort gehörte, um seine Aufgabe zu erfüllen.
Mit den Jahren im Krieg wich sein Stolz jedoch einer Erschöpfung, die sich bald schon durch sein ganzes Leben zu ziehen schien. Erwachte er morgens in seinem Zelt, so lag der bevorstehende Tag wie eine erdrückende Last auf ihm und wenn er nachts vom Feld kam, dann ließen ihn die Bilder des Leids nicht einschlafen. Kehrte er nach Wochen zur Stärkung wieder zurück in das Schloss, so hielt es ihn nie mehr als ein paar Tage.
Eine beständige Ruhelosigkeit hatte Besitz von seinem Herzen ergriffen. Und kein Augenblick verging mehr, in dem er nicht das Gefühl hatte, seine Männer auf dem Schlachtfeld mit jedem Atemzug, den er nicht an ihrer Seite verbrachte, ein wenig mehr dem Tod zu überlassen.
„Friede und Ewigkeit!“
Darauf hatte Dirion gewartet. Ein Murmeln erhob sich, während die Menschen langsam durch das Eingangsportal aus dem Thronsaal drängten. Dirion ließ seinen Blick kurz über die Köpfe wandern, um zu sehen, wo sein Bruder stand. Er wollte noch einige Worte über die Nacht mit ihm wechseln und seine Eindrücke erfahren. Doch er fand ihn nicht in der Gruppe, als ihn auch schon eine Hand an der Schulter packte und eine Männerstimme ihn zurückhielt: „Wartet noch einen Augenblick, mein Prinz!“
Es war Egrodt von Asyc. Der Graf nickte ihm lächelnd zu, während er Dirion anerkennend auf die Schulter klopfte. Diese Geste passte rein gar nicht zu seinem sonstigen Erscheinungsbild. Egrodt von Asyc trat, soweit Dirion sich erinnern konnte, meist mit einer Ernsthaftigkeit auf, die Zweifel daran schürten, ob der Mann überhaupt zu Heiterkeit befähigt war.
„Es freut mich wirklich, Euch wohlauf wiederzusehen! Dieses Mal kam es ja wie aus heiterem Himmel.“ „Das stimmt“, Dirion zögerte, bevor er weitersprach, so irritiert war er von der Herzlichkeit des Mannes, „wart ihr draußen?“ Der Graf nickte: „Allerdings kam ich erst mit der Nachhut und Euer Bruder hatte schon saubere Arbeit geleistet. Ihr wurdet im Tempel überrascht, hörte ich? Es tut mir Leid um Euren Verlust.“
Dirion zuckte mit den Schultern, denn besonders nahe hatte ihm der tote Ritter nicht gestanden. „Er hat uns eine große Ehre erwiesen und den Kampf schließlich zu unseren Gunsten entschieden, indem er sein Leben gab.“
Dirion widerte es an, was er gerade gesagt hatte und es erschien ihm, als seien fremde Worte aus seinem Mund gekommen. Die Heldenverehrung von Toten schien ihm gänzlich falsch. So war es mit dem Fortschreiten des Krieges üblich geworden, keine Trauer mehr zuzulassen, sondern zunehmend die Taten der getöteten Ritter mit denen der Götter zu vergleichen und sie schlichtweg zu Heiligen zu erklären, derer man nicht mit Tränen gedachte, sondern denen ein jeder Mann nachzustreben hätte.
Umso erschreckender war es, dass Dirion selbst zunehmend blinder dafür wurde, was eigentlich vor dem Krieg normal gewesen war. Er konnte sich kaum erinnern, welche Denk- und Redensarten, welche Zeremonien oder welches Urteil über Richtig und Falsch sich erst über die Jahre des Elends in die Köpfe und Herzen der Menschen eingeschlichen hatten. Ganz so war es bei ihm selbst geschehen.
„Sicherlich, aber er war doch trotzdem ein Freund“, entgegnete von Asyc. Dirion nickte nur stumm und obwohl von Waren nun gerade keiner seiner Freunde im eigentlichen Sinne gewesen war, erstaunte der Graf ihn mit dieser Antwort von neuem. Denn ebensolche Ansichten waren es, die Dirion in seinen Reihen fehlten.
„Ich wollte Euch eigentlich in einer Angelegenheit sprechen, die wir nicht hier bereden sollten.“
Dirion sah sich kurz um und fand nun Aldrĭn, der vorn beim König stand und offenbar in ein Gespräch vertieft war. Er verschob eine Unterhaltung mit ihm auf später und wandte sich wieder von Asyc zu: „Gehen wir doch in die Gärten, es gibt einige Abschnitte, die von den Hofleuten wenig genutzt werden.“
„Eine sehr gute Idee“, pflichtete der Graf ihm bei und sie verließen das Schloss in Richtung der Gartenanlagen, die sich auf der Ostseite des Gebäudes befanden.
***
Arkil wartete noch, bis der ganze Hofstaat den Saal verlassen hatte. Dann nickte er den beiden Palastwachen zu, woraufhin diese ebenfalls den Saal verließen und die Portaltüren hinter sich verschlossen. Er schritt zu einem kleinen Sockel hinüber, der nahe dem Thron stand, setzte seine Krone ab und legte sie behutsam auf den Marmor.
Der alte König sah zu den hohen Fenstern auf und blinzelte, während ihm die Strahlen der Abendsonne ins Gesicht fielen. Dann wandte er sich wieder Aldrĭn zu, der am Fuße der Stufen vor dem Thron verharrte. Er ging zu seinem Sohn hinunter und musterte ihn. Aldrĭn erwartete eine Erklärung, warum sein Vater ihn nach der Zeremonie gebeten hatte, noch zu bleiben.
„Ich bin froh, dass du soweit bist. Darauf hatte ich gewartet“, begann Arkil. Da er nicht weitersprach, entgegnete Aldrĭn nur knapp: „Ich habe mich immer bemüht.“
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