1 ...7 8 9 11 12 13 ...27 „Ja, ich weiß. Aber du bist erst jetzt bereit, denke ich.“
Sie gingen durch den Thronsaal auf eine Büste zu, welche für die Ehrung aufgestellt worden war. Sie bildete einen gesichtslosen Mann ab. Man hatte ihm den Helm und den Brustpanzer des Ritters von Waren angelegt, sodass Arkil ihm im Zuge der Zeremonie die Ehrenmedaille umlegen konnte. König und Prinz blieben einen Moment vor dem Denkmal stehen und verharrten, dann hob Arkil die Augenbrauen und schüttelte den Kopf: „Es ist eine Schande, dass wir inzwischen Tote mit Orden versehen, um sie im nächsten Moment zu vergessen.“ Aldrĭn hörte seinen Vater selten so ehrliche Worte sprechen, die zudem den höfischen Gepflogenheiten widersprachen.
Arkil hatte den Kopf gesenkt, als wollte er seiner Scham Ausdruck verleihen und Aldrĭn musterte ihn. Auf einmal schien der alte König keineswegs mehr unantastbar, sondern durch und durch menschlich und angreifbar. Vor seinem inneren Auge hatte Aldrĭn sich schon oft selbst auf dem Thron gesehen, die Last und Bürde der Krone tragend, auch wenn zuerst dem älteren Dirion die Königswürde zuteil kommen würde.
Es erschien ihm unerträglich. Wie sollte ein Mann über ein Reich herrschen, das so unfassbar groß war? Es fiel Aldrĭn schwer, sich vorzustellen, dass man als einzelner die Geschicke Hunderttausender lenken sollte. Trotzdem gelang gerade das seinem Vater. Zu dem Preis, dass er nach außen hin immer eine übermenschliche Leitfigur darstellen musste.
Aldrĭn fand es zwar einerseits erschreckend, wenn er ihn in solchen Momenten wie jetzt für einen Augenblick gebrochen sah. Doch wurde ihm auch warm ums Herz, es erinnerte ihn daran, dass Arkil bloß ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Und mit einem Herzen, das beileibe nicht so hart war, wie man es ihm auf Ratsversammlungen und Rechtsprechungen zubilligen würde.
Der König erhob seinen Blick und sofort war das Feuer in seinen Augen wieder entfacht, als er zu Aldrĭn sagte: „Du wirst dich einer Aufgabe stellen, wie du noch nie einer gegenüber gestanden hast.“
Aldrĭn wartete auf eine Erklärung und wagte es nicht, irgendetwas Unüberlegtes zu entgegnen, während Arkil mit festem Blick die Reaktion seines Sohnes abwartete. Da Aldrĭn den Blick bloß wortlos erwiderte, bedeutete der König ihm, zu folgen und sie verließen den Thronsaal.
***
Die untergehende Sonne tauchte die Gänge, welche zur Westseite des Schlosses ausgerichtet waren, in rotgoldenes Licht, das den weißen Mauern eine ungewohnte Wärme verlieh.
Aldrĭn grübelte darüber, wohin sein Vater ihn führte, denn die Gemächer der höheren Aristokraten, sowie die Ratssäle, Bibliotheken und Schreibstuben befanden sich alle in den östlichen Trakten des Schlosses.
Sie schritten gerade durch einen Gang, in den das Abendrot durch eine Reihe hoher Fenster fiel. Diese glichen in ihrer Form denen des Bogengangs, doch war hier kein Glas eingesetzt, sodass ständig ein kühler Luftzug vom angrenzenden Gebirge herüberwehte. Von diesem Trakt aus erreichte man die Kammern der Diener und Mundschenke, sowie der Knechte und Mägde, die in der Küche arbeiteten.
Manchmal übernachteten auch die fahrenden Gaukler und Minnesänger in den Kammern, besonders im Sommer, wenn die Stallungen nicht mehr genug Platz für das fahrende Volk boten. Aldrĭn war selten in diesen Gängen gewesen, denn die Regeln des Hofes geboten es ihm, sich nur in Gesellschaft des Adels aufzuhalten.
Deswegen wusste er auch nicht, wohin die Tür führte, die das Ende des Ganges bildete und durch die Arkil jetzt hindurchging. Es musste sich um den Eingang zum Westturm handeln, wie Aldrĭn vermutete.
Diesen hatte er bisher nur über die äußere Treppe erklommen, die von der Zinnmauer auf den Rundturm führte.
Die Wendeltreppe im Inneren hatte er nicht gekannt. Umso mehr erstaunte es ihn, dass sich auf dem Weg abwärts keinerlei Fackeln oder Kerzenständer an den Wänden befanden und es ihm nach kurzer Zeit schon schwer fiel, die Stufen unter sich zu erkennen.
Schließlich standen sie vor einer Tür und Arkil zog einen Schlüsselbund hervor, an dem eine Reihe massiver Schlüssel hing, wie sie in die schweren Schlösser der Schatz- und Ratskammern passten. Arkil öffnete die Tür und dahinter ging die Wendeltreppe weiter hinab. Doch nur einige Stufen darunter schien eine Fackel den Weg zu weisen, denn schummriges Licht ließ Aldrĭn zumindest die Konturen des kalten Steins erkennen, der die Treppe bildete.
Arkil wies ihn an, vorauszugehen und verschloss die Tür hinter ihnen sorgfältig. Was hatte Aldrĭn nur zu erwarten, wenn sein Vater eine derart große Geheimniskrämerei darum machte?
Sie mussten inzwischen schon einige Klafter unter der Erde sein. Es kam dem Prinzen so vor, als hätten sich seine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt, so lange gingen sie nun Stufen hinab. Außerdem wurde es zunehmend kälter und Aldrĭn glaubte sogar, Moos an den Wänden zu erkennen, was bedeutete, dass es hier feuchter war als weiter oben. Vielleicht näherten sie sich dem Grundwasser?
Plötzlich endete die Wendeltreppe und Vater und Sohn befanden sich in einem Raum, der etwa so groß war wie die Waffenkammer, in der sie sich nachts zuvor gesammelt hatten. Die Wände waren mit Holz beschlagen, die Decke hingegen bildete glattes Gestein und Aldrĭn mutmaßte, dass man den Raum geradewegs in den unterirdischen Fels geschlagen hatte. An den Wänden hingen Fackeln, welche das Licht ausstrahlten, das er bereits von weitem gesehen hatte, und schwarze Spuren von Ruß am Gestein verrieten, dass diese Feuer schon lange brannten.
Ansonsten war der Raum völlig leer, nur einige Spinnenweben zierten seine Ecken. Am Ende der Kammer, das der Wendeltreppe gegenüber lag, befand sich eine weitere Tür, wieder mit einem großen Schloss darin, und Arkil nahm wiederum den Schlüsselbund hervor. Aldrĭn wagte nicht, zu fragen, wohin sie gingen, denn er glaubte, dass sich das Geheimnis im nächsten Augenblick lüften würde. Doch als sein Vater den Weg frei gemacht hatte, verstand er, dass sie ihr Weg noch weiter in die Tiefe führte.
„Nimm dir eine der Fackeln von der Wand!“, wies Arkil seinen Sohn an und dieser löste die nächstgelegene aus ihrer Halterung. Sie durchschritten die Tür und Arkil verschloss auch diese hinter sich.
Nun gingen sie durch einen Schacht, der in den Fels getrieben worden war und genug Platz geboten hätte, um mit einer Kutsche hindurch zu fahren. Er führte aber stetig abwärts, sodass Aldrĭn vorsichtig sein musste, nicht auf dem glatten Gestein auszurutschen. Der feuchte Boden war von einem Geflecht verschiedener Moospflanzen bedeckt, er konnte Alvschimmel und Norrgenwurz auf dem Gestein erkennen.
„Wie du weißt, waren die ersten Bewohner dieses Landes die Unterirdischen. Sie haben tiefe Stollen in den Bergen angelegt, um die edlen Metalle zu Tage zu fördern, welche im Berg schlummern. Aber die meisten Zugänge sind inzwischen verschüttet.“
Sie befanden sich also tatsächlich bereits unter dem Drudenkofel, jenem Berg, an dessen Fuße das Schloss im Norden grenzte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Stollen in seiner Form änderte und merklich breiter wurde. Aldrĭn hatte erwartet, dass er schließlich schmaler werden und sie sein Ende erreichen würden, doch der Schacht mündete in eine Höhle.
Diese war ungleich höher als der Tunnel, Aldrĭn konnte nicht einmal die Decke ausmachen, denn der Schein seiner Fackel reichte nicht aus, um über wenige Ellen hinaus etwas erkennen zu können. Es war offensichtlich, dass sie mindestens so groß sein musste wie der Thronsaal, denn die Schritte der beiden Besucher hallten bei jeder Bewegung nach, wenn auch kaum hörbar. Doch Aldrĭn bemühte sich darum, dass ihm keiner der spärlichen Eindrücke entging, die seinen Sinnen hier dargeboten wurden.
Nach wenigen Schritten schon entdeckte er Gegenstände auf dem Boden liegen. Da lagen Äxte und Steinhacken, Hämmer, einzelne Wagenräder und etliches weiteres Werkzeug, das Aldrĭn bisweilen fremd vorkam und offenbar von den Unterirdischen bei Aufgabe des Stollens zurückgelassen worden war. Was am wunderlichsten an allen Dingen schien, war ihre Größe, weil die meisten Gegenstände in ihrer Form zwar denen zumindest ähnlich sahen, welche die Menschen benutzten, jedoch immer etwas kleiner ausfielen.
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