Die Stadtwachen und Ritter verließen den Schlachtplatz, nur Dirion blieb noch eine Weile stehen und betrachtete das Spiel der Flammen. Die Götter wären über das prächtige Feueropfer erfreut. Hoffentlich wussten sie nicht, mit welchen Früchten es heute entfacht worden war.
***
Die ersten Strahlen der Morgensonne schienen über die Firste der Dächer auf den Marktplatz und tauchten die Stadt in ein warmes Rot. Dirion atmete in tiefen Zügen die frische Spätsommerluft ein. Beißender Rauchgeruch durchschnitt die leichte Brise, die vom Hafen herüber geweht kam. Er trat unter dem Tempelvordach hervor, um den Schaden zu begutachten, den der Kampf zurückgelassen hatte.
Einige Häuser waren bis auf die Grundmauern abgebrannt, weitere Dächer qualmten noch, während Bürger und Stadtwachen unermüdlich Wasserkübel aus dem Brunnen auf die Brandherde schütteten. Dirion bemerkte eine spürbare Ruhe, die sich über die Stadt gelegt hatte, seitdem er den Tempel betreten hatte. Der Angriff schien erstaunlich schnell zurückgeschlagen worden zu sein.
Langsamen Schrittes ging der Prinz auf Vyliss zu, der immer noch dort stand, wo er ihn zurückgelassen hatte. Dirion strich dem Pferd vorsichtig über die Nüstern, dann streichelte er seine Mähne. „Na, was hast du erlebt, während ich weg war?“ Der Halmgarther schnaubte, als würde er seinem Herrn eine Antwort geben. In dem Moment merkte Dirion, wie eine gewaltige Anspannung von ihm abfiel und ihn im gleichen Augenblick die Müdigkeit überkam.
In der Nähe waren auf einmal Hufe zu hören, die auf das Pflaster schlugen und näher kamen. Eine Gruppe von Rittern kam aus der Bucklergasse geritten. Als sie sich Dirion näherten, erkannte er Aldrĭn und Eristrian, die mit dem Tross ritten. Als die Pferde unmittelbar vor Dirion angekommen waren, machten die Reiter halt. Dirion sah blinzelnd zu ihnen hinauf, von den stärker werdenden Sonnenstrahlen geblendet.
„Ihr kommt reichlich spät, meine Herren! Ich habe Euch leider nichts übrig gelassen“, sagte Dirion mit einer übertriebenen Lässigkeit. Sein Bruder und Eristrian stiegen ab und gingen auf ihn zu. „Früher habt Ihr Euch noch nach meinem Wohl erkundigt, wenn wir eine Schlacht geschlagen hatten!“, entgegnete der Marschall in einem ironisch vorwurfsvollen Ton. Dirion schmunzelte: „Da Ihr den Kampfhandlungen fern geblieben seid, wart Ihr heute aber auch nicht in Gefahr, nicht wahr? Oder gab es Probleme?“
Jetzt meldete sich Aldrĭn zu Wort: „Wir hatten uns in der Greifengasse getroffen. Da standen bestimmt drei Dutzend Triganer als Nachhut bereit“, er nahm den Helm ab und strich sich durch die strohblonden Haare, die schweißnass an seinen Schläfen klebten, „ich glaube, sie haben versucht, das Schloss über den Marktplatz zu erreichen.“ Dirion hob zweifelnd die Augenbrauen. „Warum der lange Weg? Das ist doch schwerer als von jeder anderen Richtung aus.“ Eristrian nickte: „In der Tat, aber ich habe aufgehört, mich zu fragen, was hinter deren Taktik steckt. In hundert Kämpfen habe ich versucht, irgendein Muster zu erkennen, nach dem die Spinner vorgehen, doch inzwischen bin ich mir fast sicher, dass es keines gibt!“
„Zermürbung“, murmelte Dirion, während er die verkohlten Dachstühle betrachtete. „Wie meint Ihr?“, fragte der Marschall.
„Findet Ihr nicht, dass es umso erschöpfender ist, gegen jemanden zu kämpfen, den Ihr nicht versteht?“
Der Marschall dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: „Ich finde es eigentlich immer erschöpfend. Man darf sich nur nicht unterkriegen lassen!“ Eristrian lachte herzlich über seine Worte, auch wenn Dirion nicht verstand, was daran so erheiternd war. „Wir sehen uns oben!“, verabschiedete sich der Marschall und schwang sich wieder aufs Pferd. Aldrĭn und Dirion nickten bloß und sahen ihm hinterher. Dann ritten auch einige der Ritter ab.
Dirion musterte seinen jüngeren Bruder einen Moment. Er sah zwar angestrengt aus, der Schweiß stand ihm noch auf der Stirn, die Adern auf seinen Händen waren hervorgetreten, Blutstropfen klebten auf seiner Rüstung. Doch er schien längst nicht entkräftet und weder Angst noch Reue zeigte sich in seinem Blick, während er die verbrannten Häuser betrachtete.
„Wie war es?“, fragte Dirion.
Aldrĭn zuckte die Schultern. „Ich dachte, es wäre schlimmer. Den Befehl zu haben ist kaum anders, als ihn auszuführen, denke ich. Du musst schneller denken, aber alles andere ist schließlich wie immer, oder?“
Das war definitiv nicht die Antwort, welche Dirion erwartet hatte. „Die Verantwortung liegt ganz bei dir! Wenn einer deiner Männer nicht mehr lebend zu seiner Familie zurückkehrt, ist das letztlich deine Schuld.“
Aldrĭn sah zu Boden und hielt einen Moment inne, dann sah er Dirion durchdringend an: „Ich bringe die Männer ja schließlich nicht um, sondern die Triganer.“
So hat man es uns auf der Militärakademie beigebracht , schoss es Dirion durch den Kopf.
Doch nicht, dass es natürlich falsch war!
Als hätten sie auf diesen Augenblick gewartet, kamen der Ritter von Falckenstein und seine Männer die Tempelstufen herab und Dirion wurde aus seinen Gedanken gerissen. Schweigend bahrten sie vor den Prinzen den toten Walther von Waren auf.
„Unser ganzer Dank gilt den tapferen Männern, die in der vergangenen Nacht Großes geleistet haben. Ihr seid die Verteidiger des Reiches und nicht nur der ganze Hof, sondern auch das ganze Volk schaut mit Bewunderung auf Euch.“
König Arkil hatte ein feierliches Gewand angelegt, er trug eine weite purpurne Robe, deren Kragen mit weißem Pelz besetzt war. Auf seinem Kopf saß die Reichskrone und strahlte im Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster des Thronsaals hinein schien. Es war spät am Nachmittag und der gesamte Hofstaat hatte sich im Saal versammelt, um der Ehrung beizuwohnen.
Dirion nahm kaum wahr, was sein Vater verkündete, denn er hatte nicht mehr schlafen können, nachdem er zum Schloss zurückgekehrt war. Nun hinderte ihn die Erschöpfung daran, seine Aufmerksamkeit auf die Ansprache zu richten. Außerdem waren es dieselben Floskeln, die er seit nunmehr fünf Jahren ständig zu hören bekam. Und er sah es inzwischen mehr als Pflichtgebot denn als Moment des Triumphs an, sich vor versammelter Gesellschaft lobpreisen zu lassen.
Das einzige, was ihn momentan beschäftigte, war eine bevorstehende Hochzeit.
„Also rufe ich Euch, Marschall Eristrian zu mir…“
Dirion ließ noch einmal die Geschehnisse der letzten Stunden an seinem inneren Auge vorbeiziehen. Nachdem er mit seinem Bruder zum Schloss zurückgeritten war, hatte er schnellstmöglich seine Gemächer aufgesucht, denn er hatte erwartet, darin Kyjera vorzufinden.
Doch sein Bett war leer gewesen und als er nach seinem Kämmerer rufen ließ, konnte dieser ihm bloß die Auskunft geben, dass sich seine Verlobte nach der Alarmierung nicht wieder in seinen Gemächern eingefunden hatte. Im Thronsaal war sie auch nicht gewesen, obwohl Dirion ihr doch ausdrücklich gesagt hatte, dass sie sich zu den anderen Edelleuten begeben sollte. Also war er, noch in kompletter Montur des Kampfes, quer durch das Schloss geeilt, um an ihren üblichen Aufenthaltsorten nachzuschauen.
Schließlich fand er Kyjera im Ostturm vor dem großen Fenster, das zum Meer gerichtet war. Von hier aus betrachtete sie die Sonne, welche in der Ferne über dem Wasser aufging. Da sie auf seine Ankunft nicht reagierte, ging er auf sie zu und verharrte einen Augenblick.
Unschlüssig wartete er ab und ließ schließlich seine Hände auf ihre gleiten, die sie verschränkt vor sich hielt. Zu seiner Erleichterung wich sie nicht aus, sondern lehnte sich rücklings an ihn. So stand er hinter ihr und hielt sie im Arm, während die Sonne den Himmel hinaufkletterte. Gesprochen hatten sie allerdings kein Wort mehr.
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