MÄDCHENNAME
KÜSSE AUF MIRABEL
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Lektorat/Korrektorat: Kornelia Schwaben-Beicht, ABC-Lektorat
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
„Ich habe was gegen Millionäre, aber wenn ich die Chance hätte, einer zu werden, könnte ich für nichts garantieren.“
Mark Twain
HIGH NET WORTH INDIVIDUAL
„Vielleicht heirate ich ja auch einen Millionär?“ Julia Sandhagen schob ihren leeren Teller zur Seite und strahlte ihre Freundin Stella an.
Stella grinste. „Mach ruhig. Solange du mich auf deine Yacht einlädst, erlaube ich dir das.“ Sie freute sich, dass Julias anfängliche Trauer weg war. „Nun lies schon vor, was das für ein geheimnisvoller Job sein soll!“
Julia hob theatralisch die Brauen und las die Anzeige vor:
„Für einen langjährigen Kunden suchen wir zur Ergänzung des Teams auf einem Anwesen an der Côte d‘Azur im Zeitraum Juni bis August ein Personal Assistant, der/die auch eine zeitlich überschaubare Betreuung eines distinguierten älteren Herrn mit vorübergehender Immobilität übernimmt. Erfahrung aus der Assistenz von High Net Worth Individuals ist wünschenswert. Weiteres Personal für Reinigung, Garten etc. sind vorhanden. Die gut dotierte Position bietet sehr angenehme Arbeitsbedingungen bei erstklassiger Kost und Logis. Umfang ca. 30 Stunden bei einer 5-Tage-Woche.
Bei Interesse und Qualifikation senden Sie uns bitte Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen.“
Julia ließ den Zeitungsausschnitt sinken.
„Das ist nicht dein Ernst, Julia?“ Stella schaute sie ungläubig an. „Du bist doch Juristin! Und was um Himmels willen ist denn dieses High Net Dingsda überhaupt? Hört sich pervers an.“
Julia verdrehte die Augen. „Es heißt ‚High Net Worth Individual’. Das ist ein anderes Wort für Millionäre. Aber ich gestehe, ich musste das auch erst googeln.“ Schmunzelnd faltete Julia die Seite mit der Stellenanzeige wieder zusammen und steckte sie in ihre Handtasche.
Stella kratzte nachdenklich den Milchschaum aus ihrer Cappuccinotasse. Ihr gemeinsamer Lunch im Kölner Café Alcazar war schon beendet, und sie hätte eigentlich wieder in ihre psychotherapeutische Praxis gemusst, die sie zusammen mit ihrem schwulen Sandkastenfreund Bernd im Belgischen Viertel in Köln betrieb. Aber der unwirtliche Nieselregen vor den Fenstern, der den Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite verschleierte, hielt sie beide auf ihren Plätzen, und sie hatten sich lieber noch einen Kaffee bestellt.
Stella betrachtete ihre beste Freundin genauer. Sie hatten sich seit Monaten nicht mehr gesehen. Ihr gemeinsamer Trip in ein Wellnesshotel auf Elba lag über zwei Jahre zurück. Mehrfach hatte Julia Treffen mit ihr aus fadenscheinigen Gründen abgesagt, was Stella sehr verwundert hatte. Sie selbst, frisch verheiratet mit Steven und mit Kleinkind und Praxis viel um die Ohren, hatte sich sogar ein Wochenende freischaufeln können, um Julia in Zürich zu besuchen. Aber Julia hatte drei Tage vorher wegen eines angeblichen Fristenablaufs bei einem wichtigen Rechtsstreit abgesagt. Ein Ersatztermin war nie Thema gewesen. So war es gekommen, dass sie sich seit Stellas Hochzeit letzten Oktober, also ganze sechs Monate, nicht getroffen hatten.
Aus heiterem Himmel hatte sich Julia aber gestern gemeldet und darum gebeten, ab dem nächsten Tag bei Stella unterzukommen. Vor Freude war Stella mit ihrem glucksenden Töchterlein durch die Wohnung getanzt. Steven hatte angeboten, Antonia von der Krippe abzuholen, damit sie nach Julias Ankunft in Ruhe lunchen könnten.
Stella hatte bereits seit einiger Zeit aus der Ferne die Entwicklung ihrer Freundin kritisch beobachtet. Ihr war aufgefallen, dass Julia trotz oder gerade wegen der vermeintlich blendenden Karriere immer weniger Zeit für die schönen Dinge des Lebens zu bleiben schien.
Julia sah mitgenommen aus, obwohl sie nach Stellas Auffassung mit Überschreiten der dreißig an Attraktivität gewonnen hatte. Vor einem knappen Jahr, zu ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, hatte sich ihre Freundin von ihrem langen dunkelblonden Haar getrennt und sich einen Bob schneiden lassen. Zum Glück waren die wunderschönen vollen Haare inzwischen wieder gewachsen.
Feine Lachfältchen um Mund und Lider unterstrichen die intelligent blickenden grauen Augen Julias. Ihr in Teenagerzeiten recht extravagantes Outfit war einem dezenteren Stil gewichen. Dies hatte auch mit ihrer beruflichen Entwicklung als Justiziarin in einem großen Schweizer Energiekonzern und ihrer Beziehung mit dem erfolgreichen Partner einer internationalen Großkanzlei zu tun. Marcus Sowieso – seinen Nachnamen konnte sich Stella noch nie merken. Julia war vor vier Jahren der Liebe wegen in die Schweiz gezogen und dort geblieben. Stella hatte ihre Freundin in Köln seitdem schmerzlich vermisst.
Bereits bei der Begrüßung war Stella der unbekannt herbe Zug um Julias Mund aufgefallen. Noch bevor der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte, war es aus Julia herausgesprudelt.
„Stella, es tut mir so leid, dass ich in letzter Zeit so furchtbar war.“
„Furchtbar? Ich würde es eher als abwesend bezeichnen.“
„Ja, ich weiß. Es lag allein an mir. Ich würde es ja gerne auf die Arbeit schieben. Oder auf Marcus ...“
Julia runzelte bei der Erwähnung ihres Freundes derart die Stirn, dass Stella bereits ahnte, was jetzt anstand. Sie ergriff in einer tröstenden Geste Julias Hand.
Diese räusperte einen Kloß in ihrem Hals fort. „Wie du dir schon denken kannst … ich habe Marcus verlassen. Es ging einfach nicht mehr.“
Stella, die dem konservativen Marcus noch nie etwas hatte abgewinnen können, schwieg.
Julia hatte während eines Praktikums in Zürich diesen in ihren Augen wunderbaren Mann getroffen. Hals über Kopf brach sie ihre Zelte in Köln ab und zog zu ihm nach Zürich. Schon bald stellte sich heraus, dass Marcus ein sehr „einnehmendes“ Wesen hatte. Als Stella Julia auf Marcus’ krankhafte Eifersucht ansprach, zuckte diese nur mit den Schultern und behauptete: „Er liebt mich eben sehr.“
Die wenigen Male, die Stella Marcus erlebte, schürten in ihr jedoch Zweifel daran, Marcus könnte jemand anderen als sich selbst lieben. Ihrer Freundin Julia zuliebe, die so glücklich schien, hatte sich Stella jedoch jeglichen Kommentar verboten. Bevor Stella mit Steven zusammengekommen war, war sie ohnehin keine gute Adresse als Ratgeber in Beziehungsfragen gewesen – zumindest im privaten Umfeld.
Mit einer kleinen Prise Genugtuung stellte sie jetzt fest, dass ihr damaliger Instinkt sie anscheinend nicht getrogen hatte.
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