So war das nicht gemeint. Entschuldigung, wenn es so rüber gekommen ist.
Ich würde gerne chronologisch vorgehen.
Na von mir aus können wir so vorgehen. Ich wollte nur klarstellen, dass Sie nicht mit einem Verrückten sprechen. Ich werde oft genug für irre gehalten, wenn Sie wissen, was ich meine.
Das tut mir leid.
Ach so ein Unsinn. Das glauben Sie doch selber nicht. „Dass tut mir leid!“ Wenn ich das schon höre. Es ist Ihnen egal. Sein Sie ehrlich.
Das tut mir leid.
Papperlapapp.
Aber sei es drum. Ich erzähle Ihnen gern von Katharina. Schließlich war es, bis zum bitteren Ende eine wundervolle Geschichte.
Begonnen hat unsere Liebe auf einer Party. Wie sich später am Abend herausstellte ihre Abschiedsparty. Mein Gott war das schrecklich.
Sie hatte am nächsten Morgen einen Flug nach New York gebucht um ihr Regiestipendium an irgendeinem wohl recht renommierten Theater anzutreten. Also objektiv gesehen, ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt um sich kennen zu lernen. Aber das wusste ich in dem Moment, als ich sie das erste Mal sah noch nicht.
Wo war das? Wo haben Sie Ihre Frau das erste Mal gesehen?
Ach Gott, ich weiß das noch wie heute. Ich stand im Flur einer dieser geräumigen und prunkvollen Altbauwohnung, die sich in einer Wohngegend befand, in der entweder sehr reiche Familien oder die Studentenwohngemeinschaften der Kinder dieser sehr reichen Leute wohnen konnten.
Stammte man aber wie ich, nur aus der Mittelschicht, dann war diese Wohngegend ein Ort, der einem höchstens ein sehnsüchtiges Seufzen entlocken konnte. Wenn Sie wissen, was ich meine.
Ich war also sehr gespannt, welche Menschen ich dort antreffen würde. Für mich als junger, angehender Galerist wohnte hier nämlich ein Klientel das ich unbedingt kennenlernen wollte. Denn auch die Kinder dieser sehr reichen Leute verfügten ja mittlerweile über genügend Geld, um sich gehobener Kunst leisten zu können.
Und, haben Sie sie dort getroffen?
Ach Unsinn. Da war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Nein, nein. Die Ausbeute an diesem Abend war wirklich niederschmetternd: ein paar lausige „Ich-möchte-gern-selber-Künstler-sein-Idioten“. Ein paar junge Hippies und einige Jungspunde, die jede Ausrede nutzten, um ihr Studium auch in den nächsten zwei Jahren nicht zu Ende zu bringen. Verdammte Schnösel, die von Beruf Sohn waren. Und dann natürlich noch ein paar nett anzuschauender Frauen. Aber die waren leider allesamt mit ihren Freunden, also den Söhnen dieser besagten sehr reichen Leute da. (Er lacht trocken)
Alle sehr intellektuell, gepflegt, die Jungs mit Einheitshaarschnitten: an den Seiten kurz und das Haupthaar lang, gradlinig gescheitelt. Reiche Arschlöcher mit einem geschulten Gespür für „Parasiten“ wie mich, die so recht nicht dazugehörten und vor denen man sich besser in Acht nehmen sollte.
Ach Gott ja, verkehrte Welt . Denn ich verbrachte die ersten Stunden mit einem dieser möchtegern Künstlern. Er witterte seinerseits wohl die Chance, einen Agenten und Galeristen für seine Bilder zu finden.
Und Ihre Frau?
Ja, langsam, langsam. Das kommt doch jetzt. Sind Sie immer so ungeduldig? Das kann ja heiter werden. Da bekommen wir aber noch viel Spaß miteinander. Wenn Sie wissen was ich meine.
Na egal. Dann geschah dieses Außerordentliche!
Plötzlich begannen meine Beine zu zittern und das, obwohl ich noch nicht mehr als ein Bier getrunken hatte. Meine Güte, war mir das peinlich. Können Sie sich das vorstellen? Ich sprach ja gerade mit diesem Künstlerimitat. Und dann so etwas. Ich wusste gar nicht wohin mit mir.
Ich entschuldigte mich bei ihm und eilte, mit kaltem Schweiß auf der Stirn, zu einer der naheliegenden Toiletten.
Und dann?
Sie werden es nicht glauben. Kaum hatte ich die Toilette betreten, die übrigens größer war, als mein damaliges Zimmer, verschwand das Gefühl genau so schnell, wie es gekommen war. Ich hatte das Gefühl, als wenn ich sie nicht alle beisammenhätte. Total verrückt.
Also ging ich wieder zurück und stellte mich in den langgestreckten Flur, mit dem frisch restauriertem Stuck unter der Decke und wartete.
Als ich mich umsah, war da aber nichts, was mich wirklich nervös hätte machen können. Schwere Rauchschwaden von Zigaretten und Joints waberten durch die Gänge. Wortfetzen flogen durch die Gegend, kaum ein Lachen. Überall lehnten junge Menschen in Designerklamotten an den Wänden und diskutierten.
Mal cool, introvertiert mit schweren Brillen auf der Nase. Mal laut, wild gestikulierend, mit Rotweingläsern in den Händen und dem Duktus ihrer Väter. Also, wie gesagt, eher belustigend, als das es mir ein beunruhigendes Gefühl im Magen hätte bereiten können.
Doch dann sah ich einen Nacken!
Einen Nacken?
Ja. Wie ich es sage! Es war nichts weiter als einen Nacken! Wundervoll. Wie ein Gemälde.
Eine kleine Haarsträhne hatte sich aus dem eilig gebundenen Knoten gelöst und fiel leicht über ihn.
Dieser Nacken also war offensichtlich der Grund und das Ende meiner Suche.
Und der gehörte Ihrer Frau?
Ja genau. Sie war damals eine bildschöne, sehr schlanke, junge Frau. Anfang 20. Sie war für mich - wie eine Erscheinung. Mit diesem eleganten, enganliegenden, schwarzen Kleid und ihrem feingeschnittenen, leicht gebräunten Gesicht. Mit einem Hauch von Arroganz, die den Frauen zu Eigen waren, die wussten, wie sie auf Männer wirkten. Wahnsinn. Leider trug sie diese albernen Perlenohrringe. Die trug sie, bis zum Schluss. Furchtbar. Der einzige Kunstfehler in diesem einzigartigen Kunstwerk der Natur.
Sie stand in einer Gruppe blasierter Idioten und gestikuliere filmreif.
Erst später, als ich mit ihr sprach und ihre ambitionierte Energie spürte, wurde mir klar, welch unglaubliches Wesen mit diesem Nacken verbunden war. Welches einzigartige Gesamtpaket sich hinter ihm verbarg. Ich sah eine Suchende, die sich mit jeder Pore ihres Lebens der Regie verschrieben zu haben schien.
Und Sie?!
Ich selber hatte nach Jahren der Suche endlich einen adäquaten Beruf gefunden, bei dem ich genügend Geld verdienen konnte, um ein beschauliches, wohlhabendes Leben zu führen. Wobei ich schon sehr darauf achtete, mich nicht wirklich zu überarbeiten.
Als Galerist?!
Genau. Das war ich. 12 Jahre lang. Ein wundervoller Beruf. Eher eine Berufung. Denn neben der wichtigen Voraussetzung mich nicht zu überarbeiten, gab es für mich noch ein zweites, wichtiges Kriterium. Ich wollte mich mit meiner geliebten Kunst und den dazugehörigen Künstlern umgeben können. Sie erschienen mir, zumindest zu dieser Zeit, als ganz besonders wertvolle Menschen, mit denen ich mich gerne traf, um mit ihnen nächtelang zu philosophieren.
Ganz nebenher machte ich noch hervorragende Geschäfte mit ihnen und ihrer Kunst.
Heute hasste ich sie. Einen wie den anderen.
Ach je, das hört sich aber bitter an.
Das ist bitter, guter Mann. Das ist sehr bitter!
Aber das kam viel später. Nachdem das alles mit Katharina geschehen war.
Als wir uns kennenlernten, war ich wie besessen von Malern und Bildhauern.
Wie kamen Sie zur Kunst. Hatten Ihre Eltern auch mit Kunst zu tun?
Nicht direkt. Eher mein Großvater. Der hatte meinem Vater kistenweise Bilder vererbt. Aber um ehrlich zu sein, konnte der nun wirklich herzlich wenig damit anfangen. Und so standen die Kisten blind und eingestaubt im Keller herum und hätten sicherlich bis zu einem Sperrmülltermin der irgendwann unweigerlich anberaumt worden wäre, ein stiefmütterliches Dasein geführt.
Doch irgendwann begann ich, aus einer Laune heraus und in der Hoffnung mit dem Erlös dieser Bilder meine Reise nach Australien finanzieren zu können, einige dieser Bilder an diverse Sammler zu veräußern.
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