1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Darauf sagte Athene mit leuchtenden Augen: "Gut gesprochen, altes Haus! Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Telemachos deiner netten Einladung folgt. Er soll mit dir gehen und sich in deinem Palast ausschlafen. Ich werde mich jedoch zum schwarzen Schiff aufmachen. Die Gefährten brauchen ein wenig Aufmunterung und ich muss dort nach dem Rechten sehen. Denn ich bin der Einzige, der etwas gesetzter und älter ist; mit Verlaub, sie sind noch arg jung, Altersgenossen von Telemachos, und alle aus Freundschaft mitgekommen. Ich werde mich neben das dunkle, bauchige Schiff in den Sand legen, da kann ich gleich morgen früh einen Abstecher zu den Kaukonen machen, die mir seit langem Geld schulden, und zwar nicht zu knapp. Telemachos soll mit einem deiner Söhne fahren; gib ihnen deine schnellsten und besten Pferde!" Nach diesen Worten entschwebte die Göttin mit den strahlenden Augen und glich dabei einem Seeadler.
Staunen und Schrecken packte die Achaier, die es mit eigenen Augen geschaut hatten. Auch der Alte hatte das Wunder gesehen, er fasste Telemachos' Hand und sagte bedeutungsschwer: "Junger Freund, da besteht ja noch Hoffnung, dass du einmal kein schlaffer, sondern ein kräftiger und entscheidungsfreudiger Mann wirst, wenn dich schon in jungen Jahren die Götter unterstützen. Denn das war eine der Ewigen, die im Olympos wohnen, niemand anders als die berühmte Tritogeneia, die streitlustige Göttin guter Beute, die schon deinem Vater im Krieg half. Oh, sei mir gnädig, Gebieterin, gib mir bitte weiterhin Ruhm und Ehre, und meinen lieben Söhnen auch. Und natürlich ebenso meiner Ehrfurcht gebietenden Gattin! Ich werde dafür auch gleich ein einjähriges Rind opfern, eines mit schöner, breiter Stirn, das noch nie das Joch zu spüren bekam. Ja, so ein Rind will ich dir opfern und zusätzlich werde ich vorher seine Hörner vergolden lassen." So betete er laut, und Pallas Athene hörte es.
Dann stampfte Nestor voraus, der alte Pferde- und Streitwagenexperte, und seine Söhne und alle anderen folgten ihm in den herrlichen Palast. Dort ließen sie sich nieder auf Stühlen und Sesseln. Und der alte Herr goss für seine Gäste Wein in den Krug, süßen Wein, der schon elf Jahre lagerte; zum ersten Mal öffnete die Haushälterin das versiegelte Gefäß und brachte diesen reifen Tropfen. Der Greis setzte ihn selbst im Mischkrug an, betete dabei laut und ausgiebig zu Pallas Athene, und opferte vom guten Wein für die Tochter des Zeus, des Gottes der Aigis. Nachdem sie alle geopfert und selbst genug getrunken hatten, ging ein jeder in sein Haus um zu schlafen.
Der alte Nestor aus Gerenia ließ das Bett für Telemachos, den lieben Sohn des Odysseus, gleich vor Ort in der widerhallenden Vorhalle aufstellen, ein schönes Bett mit einem Rost aus Lederriemen. Und er ließ seinen Sohn Peisistratos neben ihm schlafen, einen dominanten Mann, der eine Lanze zu handhaben wusste, und der als einziger der Söhne noch unverheiratet im Palast lebte. Nestor selbst schlief im Innern des Palasts mit seiner Frau, der Königin, die das Bett mit ihm teilte und die eheliche Ruhe.
Als aber Eos die Morgenröte schickte, erhob sich der Pferde- und Streitwagenexperte Nestor von seinem Lager, trat heraus und setzte sich vor der Eingangstür auf die glatte Steinbank - leuchtend weiß glänzte sie, da stets mit Öl poliert -, auf der schon in früheren Zeiten Neleus zu sitzen pflegte, dessen Weisheit an die der Götter herangereicht hatte. Aber der Tod hatte ihn längst geholt, er wohnte unten im Haus des Haides. Dort saß jetzt Nestor - auf der Bank, wie gesagt -, der ruhende Pol der Achaier, das Zepter in der Hand. Und aus ihren Häusern traten und scharten sich um ihn die Söhne Echephron, Stratios, Perseus, Aretos, auch der göttergleiche Thrasymedes, und als sechster kam der agile Peisistratos. Der von einer göttlichen Nacht gestärkte Telemachos durfte neben ihm sitzen. Da sprach der alte Häuptling aus Gerenia:
"Liebe Kinder, tut mir doch rasch einen Gefallen, damit ich vor allen anderen Göttern besonders Athene gnädig stimmen kann. Gestern, beim großen Essen zu Ehren Poseidons, ist sie mir klar und deutlich erschienen. Einer von euch geht auf die Weiden und befiehlt dem Rinderhirten, sofort ein Rind herzutreiben. Der Nächste geht zum Strand und holt die Gefährten des Telemachos, alle bis auf zwei, die sollten weiter beim schwarzen Schiff wachen. Einer geht und sagt dem Goldschmied Laërkes Bescheid, er möge kommen und die Hörner des Rinds mit einer Goldauflage versehen. Ihr anderen bleibt hier und beaufsichtigt die Mägde; sie sollen drinnen im Palast ein prunkvolles Mahl vorbereiten, Stühle aufstellen, Brennholz aufschichten und taufrisches Wasser besorgen."
Nun kam Bewegung in die Runde. Und schon bald trabte von den Feldern ein Rind herbei, kamen vom Schiff her die Gefährten des Telemachos, und auch der Goldschmied tauchte auf mit seinen Schmiedewerkzeugen, den vertrauten Gerätschaften Amboss und Hammer. Zusätzlich hatte er ein kleines Zänglein dabei, mit dem er ausschließlich Gold bearbeitete. Auch Pallas Athene fand sich ein, es wurde ja für sie geopfert. Der alte Pferde- und Streitwagenexperte Nestor reichte dem Schmied das Gold; der schmiedete und schmückte die Hörner mit dem Edelmetall, dass es eine Pracht war und selbst das Auge der Götter erfreuten musste. Stratios und Echephron hielten die Kuh an den Hörnern fest, Aretos brachte aus dem Haus Weihwasser in einem Becher mit Blümchenornamenten, dazu Opfergerste in einem Schälchen. Der heldenhafte Streiter Thrasymedes stand bereit, das geschärfte Beil in Händen, um den tödlichen Schlag zu führen. Perseus hielt die Schale für das Blut. Zunächst versprengte Nestor zur Weihe Wasser, verstreute Gerste und betete intensiv zu Athene. Zum Beginn der eigentlichen Zeremonie schnitt er der Kuh Stirnhaar ab und verbrannte es. Auch die anderen beteten und verstreuten Gerste. Dann war Thrasymedes, der stolzeste Sohn Nestors, an der Reihe; er schlug wuchtig zu, das Beil durchtrennte die Sehnen am Nacken, und das Tier brach zusammen. Da schrien die Frauen und jauchzten rituell, alle seine Töchter und die Ehefrauen seiner Söhne, und auch seine Ehrfurcht gebietende Gattin Eurydike, die älteste Tochter des Klymenos, stimmte mit ein. Die Männer hielten das Tier fest, hoben seinen Kopf vom Boden der dunklen Erde, die viele Wege kennt, und der dominante Männerfreund Peisistratos führte das Messer und durchschnitt die Kehle. Schwarz strömte das Blut heraus, und das Leben entwich aus dem Körper. Sogleich gingen sie daran, das Rind zu zerlegen. Wie es Brauch war, schnitten sie zuerst das Fleisch von den Schenkelknochen und legten eine doppelte Schicht Fettgewebe über die saftigen Stücke. Der Alte opferte alles auf einem Haufen brennender Scheite und versprengte dazu funkelnden Wein. Die jungen Männer standen mit fünfzackigen Spießen um das Feuer. Nachdem die Schenkel verbrannt und die Eingeweide als Vorspeise verzehrt waren, schnitten sie das übrige Fleisch aus dem Kadaver, steckten es auf Spieße und brieten es über dem Feuer.
Während sie fleißig brieten, wurde Telemachos von der wunderschönen Polykaste, Nestors jungfräulicher Tochter, gebadet. Nachdem sie ihn gewaschen und ganz mit glänzendem Öl eingerieben hatte, kleidete sie ihn komplett neu ein. So kam er aus dem Bad und sah aus wie einer der Unsterblichen. Er schritt hin zu Nestor und setzte sich neben ihn, den Hirten seines Volkes. Als das Muskelfleisch fertiggebraten und von den Spießen gezogen war, setzte man sich zum Mahl. Unermüdlich gossen tüchtige Diener Wein in goldene Becher. Schließlich hatten alle genug gegessen und getrunken, und der alte Nestor sprach in die Runde:
"Auf, meine Kinder, sucht jetzt Pferde aus mit schönen Mähnen, und spannt sie vor den Wagen, damit Telemachos endlich abreisen kann."
Seine Söhne hörten auf ihn und taten, was er angeordnet hatte. In Windeseile spannten sie schnelle Rosse vor den Wagen, die Haushälterin brachte Proviant und Wein von bester Qualität, an die von Zeus privilegierte Könige gewöhnt sind. Darauf stieg Telemachos in das tiefergelegte Gefährt, und neben ihn setzte sich Nestors Sohn Peisistratos, der dominante Männerfreund, der gleich die Zügel in die Hände nahm. Mit der Peitsche motivierte er die Rosse, und gehorsam stoben sie davon. Hinaus ging es in die Ebene, die Felsenburg Pylos lag bald hinter ihnen. Den ganzen Tag lang tanzte das Joch auf dem Rücken der Rosse. Die Sonne ging unter, dunkel lagen Straßen und Wege, als sie in Pherai ankamen, auf dem Gut des Diokles, des Sohnes des Orsilochos, der wiederum von Alpheios abstammte. Dort verbrachten sie die Nacht und wurden gastlich bewirtet. Als in die dämmernde Frühe Eos ihr strahlendes Morgenrot sandte, schirrten sie die Rosse und bestiegen den Wagen. Und aus dem widerhallenden Vorhof ging's hinaus zum Tor, die Peitsche zischte, und gehorsam rasten die Rosse davon. Sie erreichten bald die Ebene, die voll Weizen stand. Das Ziel ihrer Fahrt war jetzt nah, schnell waren die Pferde gelaufen. Und wieder ging die Sonne unter, dunkel lagen Straßen und Wege.
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