Gegenüber der Erzpier lag Bettys Inn. Gut sichtbar vom Schiff aus. Man traf sich dort wieder, so man Wachfrei hatte, mit Vorschuß in der Landeswährung in der Tasche und es kam zu einem kollektiven Besäufnis, in dessen Verlauf immer mal wieder zwei Mann Pause machen mussten, eine Schnapsleiche zum Wachantritt an Bord zu schleppen, wo diese regelmäßig an dem Fallreep einschlief, was niemanden störte, der über sie nicht stolperte.
Hans, der Leichtmatrose und Kurt, der Matrose nahmen Bernd in einem Taxi mit, den Tanzpalast Locarno aufzusuchen, von dem einheimische Trinker erzählt hatten und der sich als riesige Halle auftat, in der sie sich verliefen. Locarno - Dancing - Palace, wie Leuchtziffern über dem Eingangsportal grell verkündeten, teilte sich zu fünfundsiebzig Prozent in Tanzfläche, zu vierundzwanzig Prozent in Sitzgelegenheit und zu ein Prozent in Bar ein. Es gab nur Fruchtsaft zu trinken, aber sie waren gewarnt worden und hatten eine Flasche Rum mitgeführt und als sie kernige Lieder zu brüllen begannen wurden sie des Platzes verwiesen und unter Verwünschungen auf die Strasse gedrängt.
Der nächste Tag brachte bereits morgens beim schwarzen Kaffe und großer Übelkeit vor Wachantritt, Bernd hatte seine Wache getauscht und musste um zwölf Uhr Mittags antreten, eine gute Nachricht. Die Hafenarbeiter hatten beschlossen, in den Streik zu treten. Sie blieben eine Woche und Bernd traf eine Gwen mit blonden Haaren, mit der er sich anfreundete, jedoch nicht zum Stich kam. Sie begannen zu schreiben, aber es führte zu nichts und so verloren sie sich nach ein paar Monaten aus den Augen.
Aus den Augen verloren sie auch Glasgow, das wenig nach Streikende in dem Nebel hinter ihnen versank, als das Schiff wendete und flussabwärts Fahrt aufnahm, Venezuela und dem anderen Kontinent zu zueilen.
Der Törn lief wieder an. Zurück nach Ordaz, dann Port of Spain, Öl und Post und Schnaps auflesen, dann nach Gibraltar. In Gibraltar war die ganze Mannschaft so besoffen, dass am nächsten Tag niemand sagen konnte, wo genau sie standen und ob Gibraltar schon passiert war. Das hatte Folgen. Die Obrigkeit verkündete einen Alkoholstopp und schloß die Bierlast ab. Schnaps wurde einer möglichen medizinischen Notwendigkeit vorbehalten, wenn der zunächst zu reichende Esslöffel Rizinusöl nicht wirken sollte, was niemand zu versuchen sich überwinden konnte. Ausgeruht und nüchtern lief die Mannschaft in Genua ein und machte an der Pier fest, riß die Patentluken Mac Gregor auf und forderte penetrant den nächsten Vorschuß ein.
Erhard, der andere Moses und Bernd fuhren zu einem Strand, den sie bei der Einfahrt in den Hafen rechter Hand gesehen hatten und legten sich in die Sonne, nachdem sie geschwommen hatten. Genauer, Bernd ging Baden und Erhardt ging in den Pavillon und begann Martinis zu kippen. Dann reichte Bernd das mit dem Baden und er setzte sich zu Erhardt und versuchte, seinen Vorsprung mit Gin einzuholen, der fürchterlich schmeckte aber hübsch auszusprechen war, wobei er in der Folge ein Gespräch mit Gloria, der Tochter des Pavillon Besitzers, begann und der hernach einfiel, ihn zu erneutem Bade einzuladen. Als sie getrocknet zurückkamen, fanden sie Erhardt vor, der vom Hocker gefallen war und mit glasigem Blick, umherlallend, auf den Fliesen des Bodens hockte.
„Du bist besoffen Erhardt,“ stellte Bernd fest ,“du siehst aus wie eine Mumie.“ „Mir ist schlecht. Sauschlecht. Ich vertrag diese Sorte Schnaps nicht.“
„Du verträgst keine Sorte Schnaps. Martini ist Wein, oder so. Du verträgst auch keinen Wein. Du wirst es niemals ins Bordell machen, wenn du schon am Nachmittag breit bist. Was soll nur aus dir werden. Du bist eine furchtbare Enttäuschung für deine Familie.“
„Looks like hes bad off.“ Fand Gloria, die perfekt in englisch sprechen konnte und keinen Hehl daraus machte, Eingang in die Konversation.
„Du bist eine fürchterliche Enttäuschung für deine Familie, Erhardt.“ sagte Bernd erneut. „Sag niemandem, dass du auf der Clyde lebst.“
„Ich weiß.“ Lallte er. “Deswegen haben sie mich ja auch zur See geschickt.“
Aber Erhardt war jenseits der Realitäten angelangt und konnte nicht mehr einer schlüssigen Konversation folgen und Bernd bestellte ihm ein Taxi, als er zu würgen begann und drohte, vor die Theke zu kotzen.
„Fall nicht in das Hafenbecken,“ riet er ihm beim Abschied.
„Der Taxifahrer hofft, dass er ihm nicht ins Auto speien wird,“ übersetzte Gloria hilfreich.
„Kotz auf die Pier,“ rief Bernd Erhardt nach.“ Warte bis du auf der Pier bist. Stopf dir die Socke in den Schlund.“
Gloria war ein niedliches, junges Mädchen, sicherlich Jungfrau, und Bernd beschloß sich zu verabschieden und in der Stadt eine Nutte aufzusuchen, bevor die Liegezeit sich dem Ende nähern und der Taxifahrer zurückeilen und Schadensersatz fordern würde.
Über die Uferpromenade und einen Marktplatz, den er etwas unsicher im Gang überquerte, kam Bernd zur Texas Bar, in die er einkehrte und dann zur Mosambique Bar, die gleich daneben lag und in die er auch einkehrte, um sodann in die Sansibar Bar zu wanken, hallo zu rufen und den Nachmittag in der Tiger Bar, die auch gleich daneben lag, ausklingen zu lassen und zu sinnieren, wo er die Tür wohl gesehen haben konnte, durch die er herein gekommen sein musste und durch die nun alsbald das Lokal zu verlassen wäre. Nichts war los. Und es war wohl noch zu früh am Tage. Bernd begann, aus der mitgeführten Schachtel die Streichhölzer zu lesen und die Schwefelköpfe abzubrechen, um die Hölzer zum wachsenden Erstaunen des irritiert am anderen Ende der Theke lungernden Barkeepers zu verzehren. Ein alter Trick, den ihm der Matrose Björn in Kawasaki nahegelegt und den er seither mehrmals mit Erfolg angewendet hatte.
„Freß ne Schachtel Streichhölzer auf, wenn du das Weib noch ficken willst. Das macht nüchtern. Schön richtig durchkauen und runterschlucken. Kannst du die nächsten vier Schnäpse bestellen. Aber probier nicht die japanischen Streichhölzer. Die sind aus Wachspapier. Das schmeckt nicht. Das liegt im Magen. Wie Brikett.“ Björn war danach hastig aufgestanden und vor die Tür geeilt, um auf den Bürgersteig zu kotzen. „Siehst du, so macht man das,“ hatte er gesagt, als er sichtlich erfrischt zurückkam und ein Folgebier in Auftrag gab.
Nachdem der Barkeeper Bernd ausreichend angeödet und er fast die ganzen Streichhölzer verzehrt hatte, wechselte er zurück zur Mosambique Bar, die ihm angenehmer in Erinnerung war. Als er die Tanzfläche auf dem Weg zur Bar überquerte, fiel ihn von hinten etwas an, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte, so dass er um ein Haar zu straucheln drohte. Vorn links entdeckte er eine Abordnung der Decksmannschaft, die um eine Tisch herum saß und Bier trank. Timmy, ein Matrose, der auf seiner Wache ging, war dabei. Anita, hieß das kleine hübsche Mädchen, das ihn von hinten angefallen hatte und das ihn nunmehr zum äußersten rechten Rand der Theke schob, wo sie Bernd auf den Hocker half und daneben intim Platz nahm. Bernd erntete kein Hallo von der Mannschaft an dem Tisch, sondern finstere Blicke, denn Anita, die Anita hieß, weil sie sich als Anita vorzustellen begann, war das einzige Mädchen in der Kneipe und alle hätten sie gern gefickt. Anita hatte lange schwarze Haare und Bernd bestellte sich ein Bier und einen Kaffee und machte ihr radebrechend klar, dass er pleite und im Besitz eines sehr begrenzten Vorrats an Scheinen wäre, worauf sie ihm Rabatt einräumte und er ihr einen Martini bestellte, der ihr zusagte und wenig später verließen beide, nachdem Einigkeit über das Honorar und das Vorhaben erzielt werden konnte, die Taverne und suchten eine enge, parallel gelegene Gasse auf, in der ein altes Haus gefunden wurde und eine dunkle Treppe hinaufzusteigen war. Anita klopfte an eine Tür, die unverzüglich von einer alten Schlampe mit wirren Haaren aufgezogen wurde und nach Austausch einiger Wortfetzen in der Landessprache, fanden sie sich allein in einem düsteren Zimmer wieder, in dem das Bett neben der Beistellkommode die einzige Möblierung ausmachte.
Читать дальше