Das hielt so zwei Wochen an und hatte schließlich, vor Erreichen des Äquators ein Ende. Die See beruhigte sich und lief endlich glatt aus. Der Teil der Besatzung, der anhand einer Urkunde den Nachweis erbringen konnte, dass er bereits getauft worden war, begann in der Messe Pläne zu schmieden, von denen die Täuflinge, jener Teil der Besatzung, der noch nicht getauft worden war, oder zu leichtsinnig in der Vergangenheit mit dem Taufschein umgegangen und diesen gar verloren hatte, nicht wissen durfte. Dann begann eine emsige Handwerkelei, die auch nachts fortgesetzt werden musste, denn der Äquator kam näher und man hätte viel früher mit den Vorarbeiten beginnen müssen, was jedoch wegen der schweren See und dem Orkan nicht möglich gewesen war. Auf dem achteren Bootsdeck, das kein Täufling mehr betreten durfte, wurden Bänke und Tische, mit Holz aus der Farblast und Stellagen aus dem Kabelgatt, roh gezimmert, aufgestellt. Ein Kasten aus Bohlen und Balken , etwa eineinhalb Meter im Quadrat und ebenso tief, musste zusammengenagelt und mit einer Persenning ausgekleidet werden. Das war das Taufbecken. Mit Signalflaggen wurde das achtere Bootsdeck festlich geschmückt, Uniformen aus Lumpen und Flicken wurden produziert und angepasst, Federschmuck aus Tauwerk kreiert.
Um zehn Uhr morgens, an dem Tag, an dem der Äquator passiert werden würde, wurden die Täuflinge, denen Bernd zugeordnet wurde, überraschend von plötzlich auftauchenden Polizisten in Lumpen überfallartig niedergerungen und nach Achtern abgeführt, um dort in die Trockenkammer geworfen zu werden, einem Raum, der unter Deck an der Seite der Backbordaussenhaut gelegen, gewöhnlich dazu diente, die gewaschenen Klamotten binnen Stunden zu trocknen und der leicht fünfzig Grad Hitze aufwies. Es ging rabiat und ohne Vorwarnung zu. Wer sich zu wehren vermochte, wurde mit einem Tampen verprügelt. Ein Entkommen war ausgeschlossen. Man befand sich auf einem Schiff in See.
Der Trockenraum besaß keine Bullaugen, dafür aber zwei Heizkörper, die, aus der Maschine gesteuert, den kleinen Raum zu einer Sauna machten und alle Ankömmlinge unverzüglich in Schweiß ausbrechen ließ, der aus in Haaren in die Augen und von dort über den Körper auf die Stahlplatten des Bodens tropfte und bald ran und im Licht der beiden, von der Decke hängenden Glühbirnen kleine, silbrig glitzernde Tümpel auf dem grün gestrichenen Boden bildete in denen alle standen und dann alle saßen. Nach und nach kamen zwanzig Mann zusammen, die in das enge Loch gepresst wurden und die alle noch nicht den Äquator betreten hatten und unter denen kein einziger Offizier des Decks oder der Maschine sich befand. Fast die halbe Mannschaft. Alle warteten sie auf das Heulen des Nebelhorns am Schornstein und das Schrillen der Alarmglocken in den Wohndecks, das den Auftakt zu der Massentaufe ankündigen würde und alle begannen zu fürchten, dass alle zuvor ersticken oder verdorren und das Ereignis nicht mehr erleben würden. Sie begannen zu dehydrieren und schrumpften auf dem Deck zusammen, da es unten, ganz unten, kühler sein musste. Wie die Sardinen.
Als alle Täuflinge eingefangen und sogar von der Wache geholt und hinter Schloß und Riegel verwahrt waren, begaben sich die Schergen Neptuns, des Herrn aller Seen, Tümpel und Ozeane in die Bierlast, die vorhandenen Kästen zu zählen. Danach wurde in Ruhe in der Messe gespeist und allmählich, am späten Nachmittag, fand sich die Zuschauerschar und die Täufer auf dem achteren Bootsdeck ein, bei einigen Flaschen Bier in Stimmung zu geraten und auf das Nebelhorn zu horchen, das der wachhabende Offizier auf der Brücke zu betätigen versprach, sobald das Schiff auf dem Äquator sich befinden werden würde, was er sorgfältig mit dem Sextanten auf der Brückennock zu überprüfen hatte.
„Sie werden uns ersaufen,“ brachte Norbert, der zu den Täuflingen gehörte mühsam krächzend hervor und stand auf, den Kopf zu schütteln, damit der Schweiß von der Nase ablaufen konnte. „Gott hab ich einen Durst.“
„Sie werden uns nicht ersaufen,“ sagte Charlie, der andere Leichtmatrose, der auch noch nicht über den Äquator gekommen war.
„Ich war schon über dem Äquator,“ sagte Bernd. „Mit der Solveig war ich schon weit über den Äquator. Singapur.“
Auf dem Boden, an die Wand gelehnt, saßen noch vier Heizer und Öler aus der Maschine, die auch noch nicht über den Äquator gekommen waren und bedrückt dessen harrten, was jetzt kommen sollte.
„Sie werden sich nicht der Mühe befleißigen müssen, uns zu ersaufen. Wir werden davor hier verdursten. Und ersticken. Und verdursten.“
„Das hast du schon gesagt. Du wiederholst dich.“
„Wer wird euch ersaufen,“ fragte ein Heizer kleinlaut.
„Sie werden uns nicht ersaufen.“ sagte Charlie. „Das ist verboten. Früher, da war es erlaubt.“ „Was war früher erlaubt ?“ Fragte Bernd.
„Früher durften hin und wieder Täuflinge ersäuft werden,“ erklärte Norbert. „Früher durften zwei Windhosen aneinandergebunden werden.“
„Wie,“ sagte der andere Heizer mit Alarm in der Stimme.
„Sie hängen zwei Windsäcke hintereinander. Das untere Ende wird angehoben. Damit das Wasser nicht rausläuft. Da kommt der Schlauch rein und füllt die Säcke mit Hochdruck mit Seewasser. Auf dem oberen, dem Hutzenteil wirst du knien und dann musst du durch den Sack. Durch den mit Wasser gefüllten Sack. Zwanzig Meter weit. Dann kommst du am unteren Ende an und kannst nach Luft schnappen. Wenn du am unteren Ende ankommst und nach Luft schnappen kannst. Aber zwei Säcke sind jetzt verboten.“
„Hoffentlich wissen die das. Dass zwei Säcke verboten sind,“ sagte der eine Heizer.
„Warum sollten die nicht wissen, dass zwei Säcke verboten sind.“ Meinte Charlie vertrauensvoll naiv.
„Warum sollten sie wissen, dass zwei Säcke verboten sind. Ich meine, wer könnte es ihnen gesagt haben. Haben sie mich gefragt? Warum würden sie es wissen wollen“
„Und wenn die nicht wissen, dass zwei Säcke verboten sind und zwei Säcke aneinander binden?“
„Ich hab mir das ganz genau schildern lassen,“ sagte Norbert in die Stille, die eingetreten war, als alle sieben Gesprächsteilnehmer sich auszumalen versuchten, was passieren würde, wenn die Täufer nicht wissen sollten, dass zwei Säcke hintereinander verboten waren.
“In der alten Handelsmarine sind mehr als fünfzig Leute beim Taufen in der Röhre ertrunken. Deshalb haben sie das verboten.“
„Wer hat das verboten,“ fragte ein Heizer.
„Mit Durchtauchen ist das nicht getan,“ sagte Norbert genussvoll in sadistischer Anwandlung. “Ihr müsst gegen den Polizisten tauchen.“
„Was gegen den Polizisten tauchen.“
„Das Ding liegt an Deck und wird durch die Rahmen gestützt. In der Mitte des Schlauches lauert ein Polizist Neptuns mit einem Tampenende in der Hand. Wenn du eintauchst und zu kriechen anfängst, passt er dich ab und setzt sich mit seinem dicken Arsch auf deinen Hinterkopf um dir mit dem Tampen deinen dicken Arsch zu versohlen. Durch die Persenning des Sackes hindurch. Was hast du eigentlich eine Ahnung von der christlichen Seefahrt. Das ist alte Tradition. Das ist heritage. Wie der Engländer sagt. Das ist Brauchtum. Heiliger Brauchtum.“
„Dann versäuft man doch.“
„Eben.“
„Ich kann nicht lang die Luft anhalten,“ sagte Bernd mickrig und fühlte sich erbärmlich und elend, “das geht nicht. Ich bin vorbelastet. Als Kind bin ich zweimal beinahe ersoffen worden.“
„Dann wirst du dich ja wohl daran gewöhnt haben. Was ist mit mir. Ich bin noch nie ersoffen worden.“
„Na, ihr Arschlöcher da drinnen,“ brüllte von außerhalb des Stahlschotts die Stimme des Matrosen Timmy, „wird gleich so weit sein. Wir trinken noch zwei, drei eiskalte Bier. Dann kommen wir, euch holen.“
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