So räumte Bernd also das Kabelgatt auf, was den Tag in Anspruch nahm. Nach der Wache bis Mitternacht kroch er todmüde in die obere Koje, in der er lebte und wurde um drei Uhr früh von einem Ruck geweckt, der ihn beinahe aus dem Bett schleuderte. Bevor Bernd die Kojenlampe einschalten konnte, hörte er bereits das Rauschen des Wassers unter ihm in der Kammer, als das Schiff leicht nach Backbord kränkte, aber gleich wieder hochkam und ruhig auf ebenem Kiel weiterschwamm. Er sprang heraus und stand bei eisigem Schreck bis zu den Knien im Wasser. Irgendetwas musste passiert sein. Auf dem Gang, der ebenfalls unter Wasser stand, traf er auf Norbert, der eine untere Koje bewohnte und klatschnaß war und zwei Heizer aus der Maschine, die verstört und ratlos durch schwappendes Wasser wateten.
„Ich denke, wir sollten hier verschwinden und ermitteln, woher das ganze Wasser kommt,“ sagte Norbert, „das ganze Achterschiff steht offensichtlich unter Wasser. Laß uns raus hier. Vielleicht säuft der Kahn gerade ab.“
Sie wateten gemeinsam den Gang entlang und rissen das Eichenschott am Ende auf, das Hauptdeck zu betreten. Auf der Steuerbordseite, vor dem Schott des dort endenden Ganges stand Timmy, der in seiner Wache Bereitschaftsdienst hatte und kratzte sich hinter den Ohren :“Kommt mal her. Seht euch das mal an.“ Er zeigte mit spitzem Finger auf die Wand des Ganges, die hier in einem Bogen nach links lief. In dem Stahl der Wand steckten Holzsplitter der schweren Eichentür, des Schotts, das den Gang zum Hauptdeck abschloß und das nur noch aus Holzfetzen bestand, die lose in den Scharnieren hingen.
„Habt ihr so was schon mal gesehen? Holzsplitter die in einer Wand aus massivem Stahl eingestochen sind?“
„Unglaublich;“ sagte Norbert. „Das gibt es gar nicht. Was ist passiert?“
„Keine Ahnung,“ sagte Timmy,“ ich war in Bereitschaft in der Messe, als es rummste. Und dann war auch schon alles unter Wasser.“
„Wo kommt das Wasser her,“ fragte Bernd, “wir sind doch ohne Ballast und das Deck ist zehn Meter über dem Meer. Wo kann hier Wasser herkommen.“ „Ja, zum Teufel auch. Wie kann hier Wasser herkommen. Das ist doch Seewasser. Schmeckt salzig. Wie kommt das Wasser ins Achterschiff.“
„Könnte noch nicht mal bei Sturm so hoch schwappen, die See. Ist außerdem absolut ruhig und glatt wie ein Kinderarsch.“
„Irgendwelche Schäden ?“ brüllte der wachhabende zweite Offizier, der neben dem Alten auf der Steuerbord Flying Bridge stand, auf das achtere Deck herunter. „Irgendwelche Seeschäden ?“
„Eichenschott eingeschlagen und Wohndeck voll Wasser gelaufen. Halber Meter,“ brüllte Timmy zurück. „Holzsplitter vom Schott stecken in der Stahlwand.“
Der Alte enterte über das Bootsdeck ab und kam nach achtern: “Wollt ihr mich verarschen ?“ Fragte er ungehalten, “Holzsplitter in der Wand ?“
Aber dann sah er die etwa zwanzig Splitter in der Stahlwand und staunte,“ Das gibt es doch gar nicht. Von so was hab ich noch nie gehört. Und wie konnte die Eichentür so zerschlagen werden. Das Ding ist zehn Zentimeter dick. Das ist für schwere See gebaut.“
„Wird eine schwere See gewesen sein,“ sagte ein Heizer geistreich.
„Sagt der Zweite,“ sagte der Alte leutselig, „ ich war nicht auf der Brücke. Der Zweite sagt, völlig ruhige See. Urplötzlich wächst eine riesige Welle Steuerbord voraus aus dem Seespiegel und bricht über das Deck Achterkante Mittschiffs. Die Wache hat den Brecher erst gesehen, als er schon heran war. Wäre der Kurs ein paar Strich weiter nach Süden gewesen, hätten wir kentern können. Mit Mann und Maus. Unglaublich. Wer hat jemals was von so was gehört. Hier im Golf du Lion. Mit Monaco an Steuerbord in Sicht. Üblicherweise ganz friedliches Gewässer.“
Er ging wieder nach Mittschiffs, zur Brücke aufenternd und der Bootsmann kam durch das Wasser im Gang herangetorkelt. Stock besoffen und klatschnaß.“ Was ist hier los,“ brüllte er schlechtgelaunt. „Was treibt ihr hier zu dieser Stunde. In dieser Ansammlung. Welche Scheiße ist hier passiert. Wer hat das gemacht.“
Ihm wurde der Umstand von Timmy beschrieben und er beschloß spontan, die Sache zu bereinigen, “Scheißegal. Macht hier Klarschiff. Ich will, dass das Wasser verschwindet. In meiner Kammer ist das Tonband mir entgegen geschwommen gekommen, grad als ich aus der Koje gespült war und wieder auftauchte. Schüppt das verdammte Wasser aus dem Schiff. Hier gehört kein Wasser hin. Sonstige Schäden? Und macht das Panzerschott vor das Loch, wo wir jetzt kein Holzschott mehr haben.“ „Das sind massenhaft Kubikmeter Wasser, Heinz,“ sagte Timmy, der den Bootsmann duzte weil er auch Bootsmann werden wollte.“ Wie stellst du dir das vor. Sollen wir das mit Eimern ausschöpften?“
„Habt ihr Bilgenkrebse in der Maschine eine tragbare Pumpe?“ Fragte der Bootsmann den einen Heizer in der Menge, die sich zwischenzeitlich angesammelt hatte und noch anwuchs.
„Nicht dass ich wüsste,“ meinte der. „Aber ich kann ja mal kramen.“
„In der Maschine pumpen sie bereits das eingedrungene Wasser über die Bilgen außenbords,“ sagte ein Assi, der auf Maschinenwache war und watend daherkam, die Ursache des Wassereinbruchs zu erforschen. „Eine portable Pumpe haben wir nicht. Ihr müsst das schon mit der Hand außenbords bringen. Aber eine Menge läuft ja über die Schottschweller und stürzt nach unten in den Maschinenraum. Dann wird da wohl nicht so viel verbleiben.“
„Na gut. Das überflüssige Wasser wird jetzt in die Maschinenräume abgelaufen sein. Bleibt das Wasser, das an den Scherwasserblenden staut. Werden so dreißig Zentimeter sein. Hol Pützen, Moses Bernd, hol alle Pützen die du auffinden kannst. Und dann alle Mann die Freiwache haben, schöpfen. Und dann feudeln. Ich will keinen Tropfen Wasser im Wohndeck finden, wenn ich mich erholt habe und aufwache. Und macht die Blende zu, wenn ihr geht. Und verriegelt die. Und macht die Blende zu, wenn noch mal eine See überschwappt. Und Moses Erhardt kommt mit, meine Matratze auswringen und mir Ersatz aus einer Oberen Koje beschaffen. Irgendeiner Koje. Von irgendwem. Der keinen Ärger mit mir haben will. Muß ja fünfzehn Meter hoch gewesen, die Welle. Auf dem Ententeich Mittelmeer.“
Er stieg wieder ins Wasser, fluchte, winkte dem Moses Erhardt, ihm zu folgen und seine Matratze auszuwringen und eine trockene stehlen zu gehen und watete davon. Bernd ging in die Kombüse und stahl dem abwesenden Koch die Zinkeimer, die er in Wandschränken hortete, wie alle wussten, und auch einige Töpfe, die schön sauber von der Decke hingen und geeignet aussahen und brachte alles in mehreren Transporten zum achteren Hauptdeck, wo alle unschlüssig umherstanden und niemand den Anfang machen wollte.
„Mal los,“ meinte dann Norbert der Leichtmatrose,“ fangen wir an und machen wir eine Kette.“
Als es hell geworden war, entdeckten sie weitere Schäden der einsamen Superwelle, die niemand hatte kommen sehen und die aus glatter See emporgestiegen sein musste, um anschließend spurlos unter glatter See zu verschwinden. Ein Gutteil der Steuerbordreling des Hauptdecks war stark verdreht und verbogen. Massive Hohlrohre, die massiv miteinander verschweißt waren. Niemand konnte dem Geschehenen Glauben schenken.
Um die Mittagszeit war das Wohndeck zwar nicht trocken, aber das Wasser war abgeschöpft und überall auf dem Achterdeck wurden die Matratzen der unteren Kojen zum Trocknen ausgelegt. Die Tonbandgeräte und Radios stapelten sie in einem Gang in der Maschine auf, in der es schön mollig war. Der Wachtörn begann erneut.
Nach der Passage durch Gibraltar, trafen sie auf dem Mittelatlantik auf schlechtes Wetter. Die See ging hoch, der Dampfer stampfte, krängte nach beiden Seiten stark über, so dass die Bullaugen, die mit Panzerblenden gesichert wurden, die See unterschnitten, Bernd kotzte sich das Essen aus dem Leib, dann kotzte er sich die Galle aus dem Leib und schließlich folgte die Seele aus dem Leib. er erfreute sich bester Gesellschaft an der Reling. Das Schiff hieb mit dem Steven in die See, stieg mit dem Achterdeck wie ein Fahrstuhl in die Höhe, wippte mit der Poop, dass man Furcht bekam, es möge zerbrechen und unversehens versinken, dann fiel die Poop steil nach unten und das war dann jeweils der Augenblick, an dem alles was im Körper lose umherschwappte, mit Wucht und Druck durch die Kehle und die Nasenlöcher hochkam und mit dem Wind an Leeseite waagerecht davonschoß. Ein Gutteil der Decksbesatzung, auch Leichtmatrosen und gar Matrosen kotzten um die Wette, torkelte kreidebleich und grün um die Nasen daher und schleppte sich abwechselnd auf Wache, um beim Ausguck auch schon mal über die Brückennock zu speien und urplötzlich das Ruder zu verlassen und nach draußen zu hetzen, was untersagt wurde. Ein Eimer wurde forthin neben dem Ruder in Bereitschaft angebunden, der die Übelkeit stark förderte, da der Blick auf das zuvor Gekotzte große Anregung gab. Wo kein Essen mehr zu finden, kam Schleim mit heller Farbe, wo kein Schleim mehr nachweisbar, kam Galle, die grün und schwer zu befördern war, dann, als man dachte, dass man endlich leer sei, kam wieder Schleim, der zäh an Fäden aus den Mundwinkeln und den Nasenlöchern kroch und im Wind um die Nase herum in die Augen flatterte und in den Ohren sich verabschiedete. Bernd war krank. Bernd war zu Tode erschöpft. Bernd starb. Bernd fror erbärmlich. Bernd kroch auf allen Vieren in die Koje unter die Decke, hob diese und würgte, bis er sicher war, ersticken zu müssen. Das Schiff war in Ballast, das heißt, es lag nur flach im Wasser und tanzte wie ein Korken. Wippte die Poop, das Achterdeck, verlor man den Boden unter den Füßen und bekam den Eindruck der Schwerelosigkeit. Schlug die Poop dagegen zurück in die kochende See, knickten die Knie ein und man fühlte sich gestaucht. Unentwegt suchte man Halt an überall vorhandenen Handläufen ohne die eine Fortbewegung nunmehr nicht mehr möglich war.
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