„Ich werde dir erzählen, was unter uns vorbeihuscht,“ sagte Bernd zu Harry, „mach Platz, damit ich meinen Seesack unter den Stuhl schieben kann.“
Die Mannschaft, zwei Piloten und zwei geile Stewardessen, die nach achtern an die Wand der Pantry gedrückt waren, alles Deutsche und im Dienste der Lufthansa befindlich, bemühten sich mit der Flugplatzmannschaft, die zwei Mann stark war, das Flugzeug wieder ins Lot zu wippen, da man so nicht starten konnte, weil die Eisenstange am Heck die Piste aufreißen würde, was niemand haben wollte. Die Mannschaft wurde von dem Alten aufgefordert, Hilfe zu leisten, aber niemand hörte und alle hatten sich auf den Stühlen behaglich eingerichtet und die Flaschen begannen zu kreisen und die Stimmung wuchs. Es gelang den vereinten Kräften, das Flugzeug in die Waage zu schubsen und der eine Pilot stellte sich vorn auf und hielt eine kurze Ansprache, weil es keine
Lautsprecher gab, über die er aus seinem Flugzeugführerschapp heraus hätte kommunizieren können. Alle lauschten andächtig.
„Meine Herren,“ sagte er aufgeräumt, „eine kleine Vorstellung. Und eine Beschreibung unseres gemeinsamen Vorhabens.“
Er machte eine Pause und sammelte sich,“ Wir sind ein Flugzeug der Lufthansa und fungieren als Chartermaschine für die Rickmersen Reederei. Es ist unsere letzte Reise. Es ist die letzte Reise der Maschine, die in Hamburg außer Dienst gestellt und verschrottet werden wird. Wir sind von Australien. herbeigeflogen und fliegen jetzt gleich nach Hamburg. Die Maschine ist eine DC 3, hat aber vier Motoren, so dass alle beruhigt einer ruhigen Reise entgegensehen werden können.
Wir müssen Zwischenlandungen machen, um Treibstoff zu tanken, denn wir haben nicht viel Treibstoff an Bord. Die erste Zwischenlandung machen wir in Taipeh. Das liegt auf Formosa. Ich bitte zu beachten, dass wir keine Druckkabine haben. Das hier ist ein Transportflugzeug und Transportflugzeuge haben in der Regel keine Druckkabinen. Wenn der Druck auf den Ohren wächst, hilft schlucken.“
„Das hilft immer,“ brüllte jemand.
„Ich bitte um Ruhe, um meine Ausführungen rasch zu beenden. Der Druck auf den Ohren wächst aber nur, wenn wir uns im Sinkflug befinden. Nicht wenn wir uns im Steigflug befinden. Die Stewardessen werden gleich Papiertüten an jeden Passagier austeilen. Ich bitte nicht auf den Boden zu speien, sondern in die Tüten, die ausgewechselt werden, sobald sie voll sind. Wir haben ausreichend Tüten an Bord. Nunmehr bitte ich alle Passagiere, sich entspannt zurückzulehnen und die Stahlrahmen der Sitze fest zu fassen. Wir werden jetzt starten.“
Er blickte zufrieden über die Horde seiner Passagiere hinweg und die Stewardessen eilten mit den Papiertüten heran, sie zu verteilen.
„Wir hoffen in drei Tagen wohlbehalten Hamburg zu erreichen. Ich wünsche angenehmen Flug,“ setzte der Pilot hinzu und begab sich in das Cockpit, die Motoren anzulassen.
„Haben Flugzeuge eigentlich nicht immer Halteriemen oder so?“ Fragte Harry, „Haben wir keine Gurte oder so ?“
„Wozu,“ sagte Bernd, lehnte sich entspannt zurück und griff mit beiden Händen nach dem Stahlrohrrahmen, wie empfohlen.
Sie gewannen Höhe und der Pilot war so freundlich, dem allgemeinen Wunsch zu entsprechen und flog zunächst nach Nordosten, damit alle zum Abschied von den japanischen Inseln den Fuji Yama mit seiner Schneekappe sehen konnten, denn alle Welt wusste, dass wenn man beim Verlassen der Inseln den Fujiyama sah, kam man wieder. Und alle wollten unbedingt wiederkommen.
Es war heiß in dem Flugzeug und stickig. Alle zogen ihre Hemden aus und saßen in bester Stimmung auf ihren Segeltuchstühlen.
„Schroffe Felsen, Harry,“ sagte Bernd zu Harry erklärend,“ unter uns. Vielleicht fünf Kilometer unter uns. Wie bei dir zuhause.“
„Bei mir gibt es keine schroffen Felsen zuhause. Alles ist platt. Ich wohne in Wien.“
Dann wurde gesungen - Einmal dein Badewasser schlürfen, die Stewardessen wurden rot und verzogen sich in ihre achtern abschließende Pantry, Tee zu brühen. Alsbald wurde gespeist. Dreiecke aus pampigem Weißbrot ohne Rinde und mit einer Scheibe Käse dazwischen, wurden zu starkem Ostfriesentee gereicht. Die Papiertüten wurden zurückgegeben und sauber aufgestapelt, da niemand kotzen wollte und auch kein Grund zum Kotzen bestand. Das Flugwetter hätte besser nicht sein können. Als Taipeh mit vielen Lichtern unter ihnen in Sicht kam und mit dem Abstieg begonnen wurde, der sich langwierig gestaltete, denn Taipeh liegt in einem Kessel, der von Gebirge umsäumt, wie ein kreisender Adler anzusteuern ist, war es stiller geworden. Die Besoffenen schliefen und die nicht ganz so Besoffenen starrten leere Flaschen an, die über den Boden kullerten und bald von der Bedienung aufgelesen wurden, sobald sie deren Füße erreichten. Die letzten Lieder waren verstummt. Die Ohren fingen an zu sausen und zu dröhnen. Manche hielten ihre Köpfe zwischen beiden Händen. Andere schluckten beharrlich, was half. Der Druck stieg diametral zu dem recht senkrechten Abstieg. Dann stand der Flieger auf der Betonpiste und der Tankwagen rollte herbei.
„Der Tankwagen rollt heran,“ sagte Bernd zu Harry, dem schlecht schien, von all dem Schnaps.
Das folgende Ziel war Hong Kong. Auch hier kam rasch der Tankwagen und füllte ab. Die Stimmung war gereizt. Kein Bier. Kein Schnaps. Dann landeten sie in Saigon. Über den Urwäldern Vietnams oder Kambodschas, so genau war das nicht auszumachen, wurde ein Motor an Steuerbord abgestellt, weil er Probleme machte, wie der zweite Pilot aufklärte, als er schwitzend vor die Tür des Pilotenschapps trat und die Neuigkeit verbreitete.
“Aber das macht nichts. Wir haben ja noch drei andere Motoren.“
„Wir haben noch drei Motoren übrig,“ sagte Bernd zu Harry.
„Ich habs gehört,“ entgegnete der mürrisch.
Es wurden pampige Weißbrotdreiecke mit Käse dazwischen serviert.
In Kalkutta ließ man sie auf dem Rollfeld in einer Ecke stundenlang in praller Sonne schmoren, bevor man sich entschloß, die Betankung vorzunehmen.
Das dauerte dann zwei weitere Stunden, denn von hier aus wollten sie in einem Satz nach Karachi gelangen, das sehr weit entfernt war. Nach Bahrain und nach Damaskus landeten sie in Napoli, wo zum fünften Mal pampige Weißbrotdreiecke ohne Rinde, aber mit der Scheibe Käse dazwischen gereicht wurden und über den Alpen geriet der Transport endlich in schlechtes Wetter und die Stimmung hob sich abrupt. Sie fielen in ein Loch ohne Balken, stiegen mühsam und fielen in das nächste. Die Mannschaft war begeistert und johlte. Es ging fünfzig Meter wie ein Stein nach unten und riß die Leute aus den Regiestühlen, die am Boden festgeschraubt waren, dann wieder fünfzig Meter verbissen und mühselig nach oben. Die Stewardessen hatten blasse Stellen um die Nasen und klammerten sich achtern an ihre Stühle, krampfhaft Papiertüten zwischen weißen Knöchelchen festklammernd. Aber auch diese Freude währte nicht sehr lange und nach sechzig Stunden Flug, der Vogel bewältigte nur zweihundertfünfzig Sachen in der Stunde, kam Hamburg in Sicht.
„Hamburg kommt in Sicht,“ brüllte Bernd Harry ins Ohr, damit er verstehen möge, bei dem Motorenlärm. „Hamburg in Sicht.“
„Ja, ja, leck mich am Arsch.“
„Hamburg kommt auf. Man wird dich erwarten und wegschliessen.“
„Halt die Fresse.“
Man landete gekonnt in Fuhlsbüttel, wo ein Spalier aus Menschenmassen weilte, die alle gekommen waren, weitest reisende Fluggäste zu bestaunen. Es war 1960. Und es wird die erste Flugreise von Japan nach Hamburg gewesen sein.
Harry, den man überraschenderweise nicht erwartete, Tom und Bernd gingen mit ihren Seesäcken in das Flughafenrestaurant und tranken die letzten drei Biere. Tom würde nach Hause an der Elbe fahren und sich in Ruhe überlegen, ob er immer noch zur See fahren wollte. Harry war wieder da, wo seine Flucht vor wenigen Monaten begonnen hatte und beabsichtigte, unauffällig zu verschwinden, sobald er morgen sein Restgeld von der Reederei abgeholt haben würde, um sich in Wien eine neue Existenz als Zuhälter aufzubauen.
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