1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Bei der Reflexion über politische Kultur und ihre Deformation wählt Erhard Eppler 42einen grundsätzlicheren, nämlich sprachkritischen Ansatz, indem er die Frage stellt, ob Sprache dem entgegenkommt, was den Erfordernissen und Aufgaben entspricht, vor allem in einer global ausgerichteten Risikogesellschaft, die sich nicht mehr so stark wie bisher von traditionellen Fortschrittsideen, Verwaltungsansätzen und dem Handeln in Stückwerksarbeit leiten lassen dürfe. Er beklagt insbesondere Mängel der Sprache an Präzision, Bildschärfe, Konkretheit, Differenzierung, Wirklichkeitsnähe, Verbindlichkeit, Ausdrucksstärke. Neue Handlungsnotwendigkeiten erforderten auch eine veränderte Sprache. Wandel der Herausforderungen und Wandel der Sprache bedingten sich wechselseitig. Eine Dominanz zu falschen Begriffsbesetzungen könnte dazu beitragen, den Druck auf die Politik, Kehrtwendungen vorzunehmen, zu reduzieren. Allerdings haben sich mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland in politischen Institutionen und bei der Bevölkerung zahlreiche ökologische Begriffe, Maßstäbe und Orientierungen herausgebildet, die sich aber leider häufig in einer apodiktischen, aggressiven, moralisierenden und auf Freund-Feind-Verhältnisse abstellenden und nicht verständigungsbereiten Sprache zeigen.
Die zivilisatorische Entwicklung hin zu einer modernen Gesellschaft und freiheitlich-demokratischen Ordnung wäre ohne Einschränkung von Emotionen, ohne „Affektdämpfung“, ohne Bändigung von destruktiven Kräften wie Hass, Wut, Aggression, gerade auch in verbal-rhetorischer Form, nicht möglich gewesen. Hass gilt als das Zerstörende, das Extreme, das sich im äußeren und inneren „Staatsfeind“ verkörpert, der in demokratischer Ordnung zum einzigen Objekt legitimen Hasses werden darf. Hass als Extremform der Verneinung und Lust auf „Vernichtung“ des anderen gilt ansonsten als infam und unterliegt starker Tabuisierung, ebenso auch andere Regungen wie Rache, unkontrollierter Zorn; es findet sich kaum jemand, der solche Dispositionen zu verteidigen oder zu propagieren bereit wäre. Sie sind niedrige Instinkte, die bestenfalls hingenommen werden dürfen (müssen), wenn Verstöße gegen grundlegende Prinzipien und Ordnungen freiheitlicher Gesellschaft erfolgen.
In extremen Ideologien finden sie jedoch Akzeptanz, ja sie werden geradezu eingefordert, zumeist für ausgegebene hohe und höchste Ziele wie Schutz von Volk und Nation, der Rasse, Klasse, von Weisen der religiösen Hingabe; Feindschaft gerät zu offenem Hass auf Personen und Gruppen, die als zutiefst verabscheuungswürdig dargestellt werden. Leidenschaftliche Verneinung des Feindes ist dann moralisch, wenn sie der Bewahrung hoher Werte dient. Maßhalten bezüglich der Affekte ist Verrat, Maßlosigkeit gegenüber dem Feind gehört zu den propagandistischen Postulaten.
Es gibt aber auch in unserer Demokratie außerhalb der Verurteilung von Extremismus häufig Hass, Zorn, Wut, die ein beachtliches Maß an Akzeptanz erfahren, vor allem in Gestalt demonstrativen Protests, wie der vielfach positiv besetzte Begriff des Wutbürgers signalisiert. Hier geht es zumeist nicht um Infragestellung fundamentaler Werte und Ordnungen, sondern um vehemente Kritik an einzelnen Vorhaben, Praktiken, Gestaltungen etc., wobei die sich als Gutmenschen Verstehenden einen hohen, ja überlegenen moralischen Status gegenüber anderen, zumeist schweigenden Mehrheiten beanspruchen, auch wenn es sich primär um eigene Interessen und Vorteile handelt. Der Glaube an den hohen Wert der vertretenen Sache ist unabdingbar, damit nicht die fanatische Gesinnung unglaubwürdig wird und selbst bei den Protestlern ein schlechtes Gewissen wachruft. Für solche Phänomene der öffentlichen Demonstration ist der Begriff des Protestes angemessen, der auf eine relativ sanfte Kultur rhetorischen Drucks hinweist.
Politische Führung wird heute herausgefordert durch in jüngster Zeit recht stark gewordene Protestformen und soziale Bewegungen wie beispielsweise Stuttgart 21, Occupy mit ihrer Kapitalismus- und Globalisierungskritik, Anti-Atomkraft-Demonstrationen, durch öffentlichen Dauerwiderstand gegen Flughafenausbau und Fluglärm, Piraten und Piratenpartei, vor allem auch durch Aktivitäten im Internet, das im Rahmen der vielfältigen öffentlichen Protestkultur zunehmend an Bedeutung gewinnt 43. Die Formen des Protestes reichen von eher passiv-demonstrativen über provokativ-aktivistischen bis zu gewaltbereiten Protesten, und ganz unterschiedliche Ideen und Ziele liegen diesen Phänomenen zugrunde, oft in einer schwer zu entwirrenden Mischung: anarchistisch, kommunitaristisch, basisdemokratisch, antietatistisch und auf kleine Einheiten abstellend. Immer geht es um eine größere Partizipation im öffentlichen Raum, um eine Art demokratische Eroberung von unten nach oben, vielfach getragen von dem Leitmotiv „Empört euch!“. Der Bahnhof Stuttgart wurde zum Symbol für den Typus des neuen sog. Wutbürgers, der die Missachtung seiner Ziele für großes Unrecht hält und protestierend auf die Straße geht, oft über Wochen und Monate in regelmäßigen Zeitabständen, aber auch bei ganz konkreten Anlässen, wobei die Anliegen in einen Kontext mit hehren Werten wie Umweltschutz, Freiheitsrechten, Gesundheit, Lebensschutz etc. gebracht werden, man sich häufig nicht scheut, den eigenen Protest in großer Anmaßung in den Zusammenhang mit den Montagsdemonstrationen in Leipzig zu DDR-Zeiten oder den Befreiungsbewegungen in der arabischen Welt zu stellen, entsprechend Abscheu, Wut, Spott, Hass gegen Andersdenkende verbreitet, Starrsinn und Unbelehrbarkeit zeigt und sich des breiten Spektrums aggressiv-fanatischer Kommunikationsmittel bedient. Für die etablierten Parteien und die Regierungen werden diese unerbittlichen Wutbürger vor allem deshalb auch zu einem großen Problem, weil sich hier eine neue, breite Trägerschaft des Protests herausgebildet hat, deren Mitglieder in hohem Maße aus der Bevölkerungsgruppe der Mittelschicht, dem sog. Bürgertum, stammen. Neue Milieus der bürgerlichen Welt, die sich bisher weniger an öffentlichen Protesten in Gestalt von Straßendemonstrationen betätigt hatten, fühlen sich nun hier besser repräsentiert als in den offiziellen politischen Vertretungen. Augenscheinlich setzt eine neue Ära ein, wo sich viele Bürger auch mithilfe der neuen Medien und ihrer Vernetzungsmöglichkeiten in kurzer Zeit mobilisieren lassen. Es geht bei den Protestbewegungen um ganz verschiedene Bereiche wie beispielsweise neue Technologien, Veränderungen des vertrauten Ortsbildes, Überfremdung von Gebieten durch Migration oder Grundstücksspekulation, soziale Verwerfungen, Lärmbelästigungen, Naturschutz, Denkmalschutz, Teilhabe an Kommunikationsprozessen, Transparenz von Entscheidungen, neue Architektur, Großprojekte etc.
In den Vereinigten Staaten ist 2009 das Buch „Nimby Wars“ erschienen; Nimby – das ist die Abkürzung für „not in my backyard“, d. h. „nicht in meinem Hinterhof“, nicht in meinem Vorgarten, nicht in meiner Straße, meiner Stadt. Man ist also z. B. für die Windkraft, für den Ausbau der Elektrifizierung, für eine Umgehungsstraße, für Geothermie oder Pumpspeicherkraftwerke, für die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid, für die Endlagerung des Atommülls, für den Ausbau einer S-Bahn – aber bitte nicht bei mir, sondern beim Nachbarn, in anderen Orten, in anderen Städten. Selbst Umwelt- und Klimaschutz werden häufig zweitrangig, wenn man sich von Veränderungen negativ betroffen fühlt, sprich: Gar bei grüner Wertorientierung dominieren dann häufig Eigennutz und Egoismus. Trotzdem ist der sprachliche Habitus häufig sehr aggressiv und gewaltbesetzt.
In Demokratien geht es nicht einfach nur um Sachlichkeit von Politik, um Rationalität von Strategien, um empirisch fundierte, Objektivität beanspruchende Auffassungen und Handlungen, um plausible Begründungen in Argumentationen, sondern auch um Emotionen wie beispielsweise Leidenschaft, Empathie, Empörung, Angst. Gefühle motivieren Handlungen, unterliegen Wertvorstellungen und prägen Situationsdeutungen. Entsprechend zielt die politische Rhetorik nicht nur auf rationale Auseinandersetzung über Interessen, Normen und Werte, auf kognitive Konzepte der Bürger, sondern auch auf Emotionen; Herz und Verstand gehören eng zusammen im Streit über politische Gemeinschaft und Gemeinwohl; überzeugend sind seit der antiken Rhetorik solche Argumente, die sachlich überzeugen, aber auch die Menschen emotional berühren. Oft sind es Gefühle, die einem kognitiven Inhalt Bedeutsamkeit verleihen. Da aber Emotionen, so z. B. Patriotismus, Liebe zur Heimat, zivilreligiöse Leidenschaft, Opferbereitschaft für das Gemeinwesen etc., nicht selten zu gefährlichen Übertreibungen und extrem negativen Formen neigen, müssen sie dort ihre Grenze finden, wo sie zu Einbrüchen des Irrationalen führen, vernünftige Argumentation eliminieren, individuelle Freiheit und Menschenrechte bedrohen und im Medium der Gewaltsprache zu Bevormundungen, Zwängen und Unterdrückungen führen. Die Respektierung solcher Grenzen und die Bekämpfung und Ächtung von verbaler Gewalt gehören zu den Essentials freiheitlicher Ordnung.
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