Auf einem der zwei hölzernen Türflügel ein weißes Tableau mit dem was ich suche. Zulassungsstelle 1. Etage Raum Nr. 22. Wenn das nicht eine Fügung ist! Mein Mozart-Rondo steht im Köchelverzeichnis unter der Nr. 22, wenn ich nicht irre. Noch nie bin ich die ersten Stufen einer Treppe so stürmisch hinauf gesprungen wie jetzt. Zwei, drei auf einmal. Der Geigenkasten in meiner linken Hand wippt auf jeder Stufe heftiger. Mir ist, als hörte ich seinem Innern die Saiten schreien: „Langsam, langsam Rôm, wir fürchten zu reißen.“
Ein großer Raum mit Bänken ringsum. An der Längswand Türen mit goldig glänzenden Nummern. Alles Wichtige scheint golden zu sein. Die hier aus Messing, schätze ich. Glänzt wie Gold, ist aber viel billiger. Vielleicht um da zu sparen, wo es Mozart nicht schadet. Denn Gold ist Geld, das die Welt regiert. Wir freuten uns schon, wenn ein paar Groschen zusammenkamen. zehn, zwanzig Schillinge, um ein Paar neue Schuhe zu kaufen.
Viele junge Männer, im Alter etwa wie ich und zwei Mädchen sitzen und warten. Gehe auf die erstbeste Tür zu und klopfe an. „Da sind Sie falsch. Sie müssen die Tür mit der Nummer 22 nehmen, sich erst mal anmelden“. „Ach ja, total vergessen“. „Dann müssen ʼs warten, wie wir. Man ruft uns der Reihe nach auf, bevor wir dem Professor vorspielen können.“
Sehe das offene Gesicht des Sprechers, er ist einer wie ich, denke ich. Dunkle Haare, Teint leicht gebräunt, sicher gerade aus dem Urlaub zurück. Er lächelt, ich lächle und denke, das fängt gut an.
Wie konnte ich nur die Nummer 22 vergessen. Gesehen und gleich an Mozart gedacht. Die Frau hinter einem Pult blickt auf, als ich eintrete. „Guten Tag, gnädige Frau!“ „Grüß Gott der Herr, was wünschen ʼs?“ Wieso wünschen? Sie müsste doch wissen, dass studieren wollen, die in dieses Zimmer kommen. Oder hält sie mich für einen Vagabunden? Hallodri? Zigeuner vielleicht? Hebe meinen Geigenkasten hoch, dass sie ihn sieht. Hoch über meinen Kopf lasse ich ihn schweben. Schweben auf drei Fingern einer Hand.
Warte, beobachte ihr Gesicht. Drehe den Kasten langsam wie einen Windmühlenflügel bei schwachem Südost, warte. Plötzlich lacht sie hellauf:
„Nehmen ʼs die Geige wieder herunter, Herr Jongleur. Sie scheinen einer der Künstler zu sein, die ihre Geige nicht nur mit dem Bogen streicheln. Sondern sie lieben wie der Vater sein Kind. Mein Papa hielt mich auch so hoch über dem Kopf, noch als ich schon acht war. Von oben herunter fand ich die Welt schöner als unter dem Tisch hocken und nur Beine sehen. Strümpfe, Hosen und hölzerne ringsum. Hier das Formular, füllen Sie es aus. Gewissenhaft, bittschön. Dort auf dem Tisch sind Tinte und Federhalter. Bei uns geht alles noch altmodisch zu. Wir lieben die Tradition.“
Auf dem Tisch eine Holztafel, schräg gestellt, wie das Messbuch auf dem Altar. Darauf ein weißes Blatt, bedruckt mit goldenen Lettern:
« MOZARTEUM – WO AUS BEGABUNG EXZELLENZ WIRD -
MOZART IST UNSERE INSPIRATION – MUSIK UNSERE TRADITIONN – DIE KUNST UNSERE PASSION.»
Darunter schwarz auf weiß: «Wer geübt, immer wieder geübt, geübt und nie zufrieden ist – der darf gerne bei uns studieren. Und der Beste werden in seinem Fach.»
„Nehmen ʼs Platz bitte, draußen auf der Bank, Herr Rôm. Der Herr Professor Dr. Dr. Kowaĉević wird Sie gleich rufen lassen.“
Jetzt sitze ich hier. Wer weiß wie lange. Immer noch dieselben auf den Bänken. Unterhalten sich, lachen nur vereinzelt. Es geht ja um Zukunft. Ihre und meine. Wer hier durchfällt, ist durchgefallen. Keine andere bedeutende Akademie nimmt ihn mehr auf.
Gescheiterte Mozartschüler können nur noch tingeln. So wie wir durch die Lande ziehen. Musizieren und Geld verdienen. Um von diesem Geld zu leben. Die aber das Examen hier bestehen, haben alle Chancen. Wer von ihnen hier könnte dazu gehören? Blicke in die Runde. Gedrückt die Stimmung, wie vor jeder Prüfung. Als ginge es um Leben oder Tod. Des Herrn Professors Dr. Dr. Kowaĉević Meinung entscheidet über Sein oder Nichtsein.
Es ist aber nur seine Meinung. Er mag gut sein in seinem Fach. Vieles gehört und gesehen in der Welt. Begabte und sehr begabte Schüler gehabt. Und immer nur entschieden über Ängstliche, die fürchteten durchzufallen. Ich fürchte mich nicht. Weiß schon lange, dass ich ein Künstler bin. Weil ich es sein wollte. Nachdem alle mich schon früh als hoch begabtes Geigenwunder gelobt hatten. Jetzt sitze ich hier und warte auf denselben Professor, der schon hunderte durch seine Mangel drehte. Sich Bach, Mozart, Beethoven und Schumann anhörte. Und am Ende das Urteil gefällt. Die hier sitzen, scheinen zu den Ängstlichen zu gehören. Keiner spricht laut oder lacht. Niemand singt vor Freude. Sie haben Geige spielen gelernt, beherrschen die Technik. Sonst wären sie nicht hier. Und trotzdem so ernst. Das will ich ändern. Stimmung muss aufkommen. Befreit von Prüfungsangst. Damit sie in bester Verfassung ihr Bestes geben können.
Öffne meinen Geigenkasten, streiche die Rosshaare des Bogens über ein Stück Kolophonium. Dieses veredelte Baumharz bindet sie fest aneinander. Damit sie bei jedem Strich durch Reibung die Saiten in Schwingung versetzen. Saubere Töne erzeugen, so wie ich es will. Das Instrument jetzt in meiner Hand. Stimme es, denn die Luft im Wartezimmer ist trocken. GDAE. Sie hören auf zu reden, alle gucken mich an, als ich loslege. Den Dunkelhäutigen mit schwarzen Haaren und flinken Fingern. Den Bogen locker in der Rechten, die Saiten zu streicheln:
„Sie hören jetzt das Rondo in Es – Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Ich werde es dem Herrn Professor vorspielen. Jeder von Ihnen spiele danach, was er am besten kann.“ Doch wem sage ich das. Meine Zuhörer sind Geigenspieler. Hören mich spielen, sehe wie die Finger ihrer linken Hand auf den Oberschenkeln tanzen, als wäre Schenkel ein Geigenhals. Hals mit vier Saiten.
Da geschieht, was ich nicht wollte. Die erste, eine Frau, öffnet ihren Geigenkasten, nimmt das Instrument. Der zweite, dritte, vierte, dann plötzlich haben alle bis auf einen ihre Geigen angesetzt und spielen. Jeder sein Lieblingsstück. Gleichzeitig das, was er am besten kann, nehme ich an. Und es schrillt, schreit und schrammt aufgeregt, als wollten tausend Geigenbögen den Untergang der Welt herbeistreichen. Das chaotische Durcheinander stattdessen die Tür zum Zimmer mit der Nummer 1 aufgestoßen.
Ein älterer Herr kommt heraus, zögert. Nachdenklich einen Moment. Erblickt ein Notenblatt auf der Bank neben einem Geigenkasten. Ergreift, rollt es zusammen und schlägt den Takt damit. Die Augen geschlossen, als hätte er die Stücke aller hier gleichzeitig im Kopf. Auch wenn man sie hier nicht heraushört. Wäre er sonst Professor am Mozarteum?
Wir sehen uns an, ein letzter gemeinsamer Strich beendet das Chaos. Und alle atmen auf. Lachen plötzlich und reden, als hätte Musik ihre Stimmung gelockert: „Ich fühlte mich wie im Himmel“. „Tu a raison, mois aussi“. Du hast Recht, ich auch. „Molto amabile, Io sono felice“. Wunderbar, bin glücklich. Andante moderato könnte kommen und der Himmel wäre hier.
„Das habt ʼs Ihr raffiniert ausgedacht, mich zu überraschen. So abscheulich, dass es schon genial war. So muss sich Dantes Inferno anhören. Erst aber geht ʼs in die Vorhölle. In der ihr beweisen müsst, dass ihr ohne Fehl seid. Der erste, Herr Bast, bitte zu mir.“ Bast folgt ihm, verstaut rasch seine Geige im Etui. Die Tür fällt zu. Und der Rest? Eine der beiden jungen Frauen kommt auf mich zu:
„Sie konnten doch bestimmt nicht ahnen, dass wir Ihnen auf der Stelle folgten statt nacheinander zu spielen. Gleichzeitig unser eingeübtes Stück. Jeder das, was er am besten kann. Obwohl es überhaupt nicht dazu passen konnte. Auch ich spielte Mozart. Das Allegro aus dem ersten Satz seiner Sonate in A-Dur. Hatte es lange geprobt und Mozart verinnerlicht. So sehr, dass ich loslegte, als Sie sein Rondo spielten. Mozart, nichts als Mozart im Ohr und im Gefühl. Nicht nachgedacht und Ihnen blind gefolgt. Ihr rasantes Tempo drückte mir die Geige, den Bogen in die Hände und legte los. Ihr Rondo mit meinem Allegro zu vereinen, als wären wir Mann und Frau.“
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