Auch meine Eltern hatten ihn gern. In ihren Augen war er genau der Mann, den sie sich für ihre einzige Tochter wünschten. Oft genug ließen sie mich wissen, wie beruhigt sie hinsichtlich meiner Zukunft wären, wenn aus unserer Freundschaft endlich etwas Festes und Dauerhaftes werden würde.
Manchmal glaubte ich wirklich, verliebt in ihn zu sein, doch sobald er begann, für eine gemeinsame Zukunft Pläne zu schmieden, sobald er von Verlobung sprach oder den Vorschlag machte, wir könnten endlich zusammenziehen, war mir nicht wohl in meiner Haut, und ich drückte mich vor einer Antwort.
Ich war zwanzig, und gewiß wollte ich nicht als alte Jungfer enden, dennoch scheute ich mich vor der Endgültigkeit eines festen Versprechens. Natürlich mochte ich es, wenn wir Zärtlichkeiten austauschten und uns küßten, wenn wir uns liebten und ich danach in seinen Armen einschlief. Doch niemals war ich mir meiner Gefühle für ihn ganz sicher. Immer wieder gab es Augenblicke, in denen ich eine tiefe Leere in mir spürte, ein Unerfülltsein, vielleicht sogar Enttäuschung. So, als hätte ich mir die große Liebe ganz anders vorgestellt. Fantastischer, überwältigender, einzigartiger. Ich hätte mit Klaus darüber reden sollen, doch dazu war ich zu feige. Ich hätte es vielleicht endlich an diesem Tag im August tun sollen, an dem ich ihm gegenüber Dr. Weißgerbers Projekt erwähnt hatte, über das ich nicht reden durfte. Ich hätte ihm sagen sollen, daß die Phase, in der ich seiner Meinung nach steckte, ganz sicher nicht so schnell vorübergehen würde, wie er es erhoffte. Im Gegenteil! Mein Abenteuer mit dem 'Timeflyer' würde jetzt erst beginnen. Es tat mir leid für Klaus, daß ich ihn nicht daran teilhaben lassen durfte, gleichzeitig wußte ich aber auch, daß er es weder verstanden noch gutgeheißen hätte.
Nachdem Klaus an jenem Abend gegangen war, stand Dr. Weißgerbers Ansinnen wieder ganz deutlich vor mir, mit all seiner Schwere, mit all seiner Macht.
Ja, ich wollte tun, was er mir vorgeschlagen hatte, ich wollte den Schritt wagen, der mein ganzes Leben, - vielleicht sogar das Leben der ganzen Menschheit, - verändern würde. Doch vorerst durfte niemand davon erfahren. Zwar hatte ich das Bedürfnis, all das, was ich gesehen und erlebt hatte und was mir möglicherweise bevorstand, mit jemandem zu teilen, doch das durfte ich nicht. So beschloß ich, auch dieses Mal Blackhead-Charly in mein Geheimnis einzuweihen. Ich war überzeugt davon, daß er mich verstehen würde, könnte er mir tatsächlich zuhören. Vom ersten Augenblick an war ich mir sicher gewesen, daß sich ein ganz anderer hinter der Maskierung aus schwarzem Leder verbarg, als man uns glauben machen wollte. Ich fühlte es, und ich glaubte daran. Ich wollte daran glauben.
In einem Brief schrieb ich ihm, was auf meiner Seele lastete. Ich erzählte ihm von Dr. Weißgerber, Prof. Riechling und ihrer großartigen Erfindung. Ich berichtete ihm von ihren Plänen, in denen ich eine ganz gravierende Rolle spielen sollte. Und schließlich schweifte ich ab und erzählte ihm auch von mir und meinem Leben, von meinen Eltern und von Klaus, und von all meinen Wünschen und Träumen. Ich versuchte, ihm zu erklären, was Musik für mich bedeutete, - und im Besonderen seine Musik, und wie leid es mir tat, daß er Angel, seinen guten Engel, verloren hatte.
Nach fünf Seiten war mir leichter, und ich fühlte mich ihm so nah, als säße er neben mir und höre mir zu. Dann setzte ich die Kopfhörer auf und ließ mir noch einmal von ihm seine Geschichte erzählen. Und ganz allmählich wurden aus meinen Gedanken Träume und aus meinen Träumen tiefer fester Schlaf.
Am nächsten Tag fuhr ich zur Eisenbahnbrücke hinaus, blieb in der Mitte stehen und schaute auf das wirre Netz der Schienen unter mir. Langsam zerriß ich meinen Brief in tausend kleine Schnipselchen, ließ sie durch die Luft flattern und schickte mit ihnen all meine Sehnsucht auf die Reise.
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