1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 An vielen Stellen der Stadt tobten trotz der nächtlichen Niederschläge noch immer Brände.
Nach dem massiven Regen der letzten Nacht hatten sich die Wolken verzogen und die Sonne schien am blauen Himmel. An den Straßenrändern standen noch immer Pfützen. Fast unrealistisch zwitscherten in den Bäumen zahlreiche Vögel, geradeso, als wollten sie die schrecklichen Geschehnisse der letzten Nacht vergessen machen.
Panzerwagen der Polizei patrouillierten durch die Straßen von Nürnberg. Nur vereinzelt wagten sich die hoffnungslos verängstigten Bürger vor die Tür. Auch wenn die zurückliegende Nacht schrecklich war, so durfte man nicht vergessen, dass diese Gewaltexzesse das Werk einer fanatischen und verblendeten Minderheit war. Doch mit den historischen Konsequenzen würde, wie es schon einmal war, das ganze deutsche Volk leben müssen!
Die Löschtrupps kämpften sich von Brand zu Brand. Auch Löschtrupp 14, von der Berufsfeuerwehr Nürnberg, fuhr gerade durch ein nobles Villenviertel der Stadt. Sie folgten einer einzelnen Rauchsäule, die sich in diesem Viertel ihren Weg in den blauen Himmel bahnte. Die Feuerwehrleute in ihrem Löschfahrzeug bogen jetzt in die Lilienstraße ein und fanden auch die Quelle jener Rauchsäule. Jenes Haus, eine ehemals schöne große Villa, war gänzlich ausgebrannt. Auf dem Klingelschild aus Messing an der Toreinfahrt stand in großen eingravierten Lettern „Familie Ibrahim Kizmir“. Der Zugführer ließ absitzen. Vielleicht gab es ja in dieser qualmenden ausgebrannten Ruine noch den einen oder anderen Schwelbrand. Die C-Rohrschläuche wurden ausgerollt und am nächsten Hydranten angeschlossen. Vier Mann mit zwei Schläuchen kletterten über die niedrige Gartenmauer und suchten sich einen Weg hinter das Haus. Vier weitere Feuerwehrmänner, unter ihnen der Zugführer blieben vorn. Die verbleibenden zwei Männer des Zuges suchten unter Vollschutz einen Zugang in die Ruine.
Die Schläuche wurden unter Druck gesetzt. Vorsorglich hielt man mit dem Löschwasser zunächst auf die zu vermutenden Schwelbrände der Ruine.
Plötzlich wurde der Zugführer angefunkt. Einer der Kameraden, die hinter dem Haus löschen wollten, meldete sich aufgeregt.
„Markus! Ruf sofort die Bullen hierher!“
„Warum?“ fragte der Zugführer und visierte mit seiner Löschdüse den Ursprung einer weiteren Rauchsäule an.
„Mensch, hier hinten vor dem Haus liegen fünf böse zugerichtete Leichen!“
„Ja na und? Das sind nicht die ersten Leichen die wir heute sehen!“
„Hey! Ich glaube das sind Deutsche!“
„Sofort Wasser Stopp! Ruft die Polizei!“
***
Ein dunkelblauer Mercedes kam in die Lilienstrasse gefahren und stellte sich vor das Löschfahrzeug. Ein untersetzter stämmiger Mann mit einer Brille auf seiner eher runden Nase, einer hohen Stirn und bereits mit schlohweißem Haar, entstieg dem Wagen. Wenn es hoch kam, dann war er so um die 50 Jahre alt. Sich einen ersten Eindruck verschaffend, schaute er sich einen Moment die noch qualmende Ruine an und betrat schließlich das Grundstück. Ihm folgte sein Partner, welcher der Fahrerseite des Wagens entstiegen war.
Dieser Partner war ein junger blonder Mann in Jeans und Lederjacke. Er hatte breite Schultern und die Frisur eines Surfers. Unter seiner schwarzen Lederjacke war die Dienstwaffe im Halfter zu erkennen.
Auf dem Hof hinter dem Haus erwartete sie ein Szenario, dass sie für einen Moment erstarren ließ. So etwas hatten die beiden Kripobeamten in ihrer Laufbahn auch noch nicht gesehen! Klaus Gerlach, der jüngere der Beiden, wurde blass. Sein Partner und Vorgesetzter Rolf Stübner hatte schon die Befürchtung, dass sich Gerlach gleich übergeben würde, sagte aber nichts. Die Beiden traten näher an den grausigen Tatort heran. Fünf böse zugerichtete Leichen lagen da verstreut herum. Überall auf den Gehwegplatten und dem Rasen, ja sogar an der Hauswand klebte Blut und andere noch nicht näher zu bestimmende organische Masse. Zweien waren die Schädel eingeschlagen und graue von Blutfäden durchzogene Gehirnmasse quoll hervor.
Stübner fand als erstes seine Stimme wieder.
„Klaus!“, begann er noch immer etwas geschockt zu stammeln. „Lass uns hier einfach unseren Job machen, Okay?“
Gerlach nickte wortlos.
„Hier muss sich sofort die Spurensicherung ans Werk machen. Ruf auch gleich in der Gerichtsmedizin an. Wir haben hier einen Sonderfall, der oberste Priorität hat.“
Gerlach ging mit einem Wink, der so viel heißen sollte wie, „Hab verstanden!“, wieder zurück zum Dienstwagen und leitete via Funk alles in die Wege.
Stübner unterdessen betrachtete sich die Leichen und den Tatort. Er zückte ein Diktiergerät und begann in einem ruhigen sachlichen Ton zu reden. Dabei versuchte er alle seine Sinne zu sensibilisieren und konzentrierte sich auf jedes noch so kleine Detail, um am Ende ja nichts zu vergessen. Zumindest versuchte er das! Jedoch war es nicht so einfach, sich bei einem solch grausigen Anblick auf das Wesentliche und Wichtige zu konzentrieren.
„Fünf Leichen, wahrscheinlich alles Deutsche.“, begann er mit langsam gesprochenen Worten, um ersteinmal einen Einstieg in die visuelle Erfassung des Tatortes zu finden. „Der eine hat einen senkrecht gespaltenen Schädel. Die Mordwaffe scheint ein herumliegender blutverschmierter Spaten zu sein. Bei der zweiten Leiche ist das Genick gebrochen. Es ist eine abnorme Kopfhaltung zu erkennen. Bei einer dritten Leiche ist die Todesursache nicht eindeutig auszumachen. Einem Vierten wurde mit einem breiten scharfen Gegenstand der Schädel quer gespalten. Vermutlich ist ebenfalls der Spaten die Mordwaffe. Der Fünfte hat wahrscheinlich auch einen Genickbruch als Todesursache. Zudem haben wir ihn mit einer herunter gelassenen Hose vorgefunden. Alles deutet auf ein sexuell motiviertes Verbrechen hin. Notwehr? Eine Frau? Negativ! Zu einer solchen Brutalität mangelt es den meisten Frauen an der körperlichen Kraft. Eher wahrscheinlich ist hier die Nothilfe eines oder mehrerer männlicher Täter. Die Axt liegt neben dem zweiten Leichnam mit einem Genickbruch. Ergänzung, er hat eine Fraktur im rechten Ellenbogengelenk.“
Gerlach kam wieder und stellte sich neben Stübner.
„Mann oh Mann! Derjenige, der das angerichtet hat, macht aber auch keine halben Sachen, was?“
Beim Anblick dieses Schlachtfeldes wurde ihm wieder übel.
„Meinst Du, dass das wirklich nur einer war? Einer gegen fünf Männer?“
Stübner schaute Gerlach ungläubig an.
„Hier oben sind noch zwei, aber schon ziemlich verkohlt!!!“, rief plötzlich ein Feuerwehrmann und schaute aus einem Fenster im Obergeschoss.
„Nichts anfassen!!!“, rief Stübner zurück.
„Ich werde mich hüten.“, murmelte der Feuerwehrmann und wandte sich, den Kopf schüttelnd, ab.
Stübner und Gerlach betraten das Haus. Vorsichtig kletterten sie die verkohlte Holzwendeltreppe empor, die bedrohlich knarrte.
Sie betraten ein Zimmer welches wahrscheinlich mal das Schlafzimmer der Eheleute Kizmir gewesen ist. Da wo früher das Bett stand, sah man nur noch das Federgestell einer Federkernmatratze. Auf ihm lagen friedlich nebeneinander die verkohlten Leichen. Neben dem Bett war noch ein verbrannter Hundekadaver zu sehen.
„Das sind wahrscheinlich die Eheleute Kizmir!“, vermutete Gerlach.
„Das denke ich auch. Ich möchte alles über diese Leute wissen, was Du in Erfahrung bringen kannst. Ich vermute mal, dass die beiden im direkten Zusammenhang mit dem oder den Tätern standen.“
Sechs Mann der Spurensicherung, gehüllt in weißer Schutzkleidung, und mit Aluminiumkoffern in den Händen, betraten den Hof. In deren Schlepptau folgte der Gerichtsmediziner, ein kleiner dicklicher Mann mit Glatze und Nickelbrille. Als Stübner und Gerlach die Geräusche vom Hof hörten, verließen sie das Schlafzimmer und gingen wieder nach unten zum Tatort.
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