Wieder herrschte Schweigen. Nur das Klimpern des Löffels in seiner Kaffeetasse war zu hören. Ramira schniefte durch die Nase und schüttelte leicht den Kopf.
Warum ist das alles nur so kompliziert?!
„Trinkst Du nun deinen Kaffee oder…?“, fragte Ramira aufmunternd, bestrebt ein wenig die getrübte Stimmung zu heben.
„Oh ja! Richtig!“
Hastig leerte Johannes die Tasse.
„Was wirst Du Robert sagen? Wo wollen wir hin? Was wollen wir tun?“
„Robert werde ich sagen, dass ich einberufen wurde. Wir werden uns zunächst in die Alpen durchschlagen. Als erstes müssen wir unser ganzes Bargeld von der Bank holen.“
„Bargeld? Keiner bezahlt heute noch mit Bargeld!“, erwiderte Ramira verwundert.
„Das ist zwar richtig, aber es geht noch! Das Problem ist, wenn sie mir auf die Spur kommen, werden sie uns zuerst den Geldhahn zudrehen indem sie unsere Konten sperren!“
„Von der Warte aus hab ich das noch gar nicht betrachtet. Aber die Alpen? Was wollen wir da?“
„Mein Hintergedanke dabei ist der, dass es um diese Zeit in den Höhenlagen so einige gottverlassene Gegenden gibt, wo wir uns die nächste Zeit verstecken können, ohne dass uns da jemand sucht. Ich hoffe in ein paar Wochen ist dann etwas Gras über die Sache gewachsen und wir können uns geordnet aus Deutschland absetzen. Im Moment, so vermute ich, sind alle Grenzen dicht und wir werden früher oder später steckbrieflich gesucht. Die nächsten Wochen werden nicht einfach! Wir werden zahlreiche Entbehrungen auf uns nehmen müssen. Aber es ist im Moment unsere einzige Chance, die Sache unbeschadet zu überstehen. Also mein Schatz, kann ich auf dich zählen?“
Er nahm ihre Hand und schaute sie fragend an.
„Ach Liebling! Natürlich werde ich dich begleiten. Ich bin deine Frau! Schon vergessen? In diesen Zeiten ist der vor uns liegende Weg wahrscheinlich auch der einzig mögliche für uns beide. Lass es uns gemeinsam überstehen!“
„Also gut! Dann machen wir es so!“ Johannes stand entschlossen auf. „Ich würde sagen, dass Du schon mal die Notwendigsten Sachen einpackst und für etwas Proviant sorgst. Denk auch an unsere Pässe. Ich werde mit Robert reden und den Wagen vorbereiten.“ Er kam um den Küchentisch herum und gab Ramira einen innigen Kuss. „Wir schaffen das schon! Du wirst sehen!“
Ramira lächelte liebevoll und streichelte seine bärtige Wange.
***
Johannes ging in sein Büro und verfasste am PC für seinen Freund und Berufskollegen Robert Mayer eine Generalvollmacht. Unterschrieben faxte Johannes sie seinem Freund zu und rief ihn an.
„Hallo Robert!“
„Mensch Jojo alter Junge!“
Robert, ein Mann von etwa vierzig Jahren, sah überrascht aus.
„Ist bei Euch alles in Ordnung?“
„Nicht ganz, Robert! Schau doch mal nach deinem Faxgerät!“
Robert griff zur Seite und hielt die Generalvollmacht ins Bild. Er überflog den Zettel und schaute Johannes verdutzt an.
„Was ist passiert, alter Freund?“
„Vielleicht hast Du es schon mitbekommen. Die Offiziere der Reserve müssen sich beim Militär melden. Dummerweise bin ich Offizier der Reserve und muss jetzt wahrscheinlich in den Krieg. Würdest Du bis auf Widerruf meine Herde und den Hof mit versorgen? Dir stehen alle meine Flächen und Futterreserven zur Verfügung. Als Entlohnung gehen alle künftigen Erlöse von jetzt bis auf Widerruf an dich. Gebäude samt Inventar, Maschinen und Geräte darfst Du nicht veräußern. Den Muttern- und Bockbestand musst Du auf gleichem Niveau halten. Morgen wollte Yusif 150 Schlachter abholen. Ich werde ihm noch absagen. Ich habe noch keine Viehpässe ausgestellt. Auf der Bank werde ich für dich eine Verfügung über die Firmenkonten hinterlassen. Geht das in Ordnung?“
Johannes hatte seinem Freund grob umrissen die Vereinbarung erklärt.
„Ja sicher doch Jojo! Mann! Was wird denn jetzt aus deiner Frau?“, fragte Robert besorgt. „Sie hat´s im Moment bestimmt a nit so leicht, oder?“
„Ich habe sie heute früh in die Türkei geschickt.“
Robert braucht nicht alles wissen!
„Ich bin Dir zu großem Dank verpflichtet. Die Herde steht im Moment am Steinbergsee in der Nähe des Schwarzdorns. Das Original der Generalvollmacht liegt direkt vor meinem PC. Du brauchst sie bloß noch gegenzeichnen. Den Hausschlüssel findest Du auf dem Balken über der Haustür. Meinen PC mit allen Geschäftsdaten habe ich auf deinen Namen codiert. Vielen Dank, alter Freund und alles Gute! Ich muss jetzt los.“
„Alles klar Jojo! I schick gleich den Bubn naus, deine Herde zu hüte. Viel Glück und pass auf dich auf.“
„Machs gut!“
Johannes trennte die Verbindung und lehnte sich einen Moment durchatmend zurück. Immerhin hat er soeben seinen Betrieb jemand Anderem überschrieben. Auch wenn Robert ein Freund war, so hatte Johannes doch ein flaues Gefühl in der Magengegend. Doch es half alles nichts!
Entschlossen stand Johannes auf und entnahm seinem Waffenschrank, der direkt neben dem Schreibtisch stand eine Schrotflinte, die doppelläufige Jagdbüchse, alle Munition und das Jagdmesser. Am Schreibtisch lud er die Waffen, sicherte sie und hängte sie sich über die Schultern. Das Messer steckte er in seinen Hosenbund und die Munition verpackte er in einer Plastiktüte. Das alles brachte er in den Wagen, verstaute die Flinten zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, das Messer in ein Fach unter dem Lenkrad und die Munition im Handschuhfach.
Aus der Werkstatt verstaute Johannes noch ein langes Seil, eine Axt und eine große grüne Plane auf den Boden des Fonds.
Zurück im Haus, schaute Johannes nach seiner Frau, die im Schlafzimmer gerade zwei Rucksäcke packte.
„Hey, Schatz!“
Er trat von hinten an sie heran. Seine Hände glitten unter ihr Hemd und streichelten liebevoll ihren warmen Bauch und ihre Brüste.
Sie drehte sich lächelnd zu ihm um und fuhr ihrerseits mit den Händen unter sein Hemd um seinen Bauch zu streicheln.
Sogleich nahm er sie in die Arme.
„Wir schaffen das schon.“, versuchte er ihr Mut zu zusprechen. „Die nächsten Wochen oder Monate werden nicht leicht.“
Er küsste sie innig.
„Ich liebe dich! Ich könnte es nicht ertragen dich zu verlieren.“
Sie schauten sich tief in die Augen.
„Mein geliebter Mann!“, sagte Ramira nur und streichelte ihm zärtlich über die Wange. Ihr Blick, ihre Anmut und Zärtlichkeit entfachten in Johannes eine intensive behagliche Wärme, wie er sie mochte und nur bei Ramira erfuhr.
„Wie kommst Du voran?“
„In zehn Minuten habe ich alles beisammen.“
„Das ist gut, mein Schatz! Ich werde noch ein wenig Ausrüstung zusammentragen. Mit Robert habe ich alles geklärt. Er wird sich in unserer Abwesenheit um alles kümmern.“
Noch einmal küsste Johannes seine Ramira und verließ das Schlafzimmer.
Oben im Speicher suchte er die Campingausrüstung zusammen und brachte sie zum Wagen. Von der Flurgarderobe schnappte er sich im Vorbeigehen noch seinen Feldstecher.
Eine halbe Stunde später hatten sie alles beisammen. Gemeinsam verließen sie ihr vertrautes Heim. Johannes hielt den Schlüssel noch in der Hand und schaute sich wehmütig um.
„Unser Hof! Mein Gott! Ob wir ihn je wieder sehen? Dieser Hof ist mein Leben! Und nun? Was wird die Zukunft bringen?“
Johannes seufzte schwer, nahm Ramira in den Arm und legte den Schlüssel auf den mit Robert vereinbarten Balken.
Sie ließen noch die Hunde in den Kofferraum des Wagens springen, stiegen ein und fuhren los.
Unten im Dorf parkten sie vor ihrer Bank. Johannes schaute zu Ramira.
„Es wird bestimmt nicht lange dauern. Wenn etwas passiert hupe einmal lang.“
Ramira nickte.
„Ist gut! Lass mich nicht so lang allein!“
„Das geht bestimmt schnell!“
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