„Schöne Scheiße, was?“, fluchte er frustriert.
„Da möchte man ja fast Sympathien mit dem Killer hegen!“, pflichtete Gerlach angewidert bei. „So ein paar widerliche Schweine! Wie können Menschen nur so tief sinken?“
„Ja! Man fragt sich! Nichts desto trotz, Klaus! Auch wenn es schrecklich ist, lass uns objektiv unsere Arbeit machen. Im Moment haben wir es mit einem fünffachen Totschlag zu tun, wenigstens! Alles andere müssen wir, auch wenn es schwer fällt ausblenden.“
„Das sagst Du so leicht! Mein Gott! Das waren noch Kinder!“, rief Gerlach.
„Ich weiß! Ich würde dem Typen auch lieber einen Orden verpassen als ihn zu jagen. Aber das ist nun mal unser beschissener Job!“
Ein Fax kam herein. Gerlach las es durch. Nach einigen Sekunden sah er Stübner ungläubig an. „Das wirst Du jetzt nicht glauben!“
„Nun ließ schon vor!“, sagte Stübner ungehalten.
„Das ist von der Spusi. Am Tatort im Rasen befanden sich einige schwarze lange Haare, die laut DNA-Analyse Ramira Kramp zuzuordnen sind.“
„Das überrascht mich nicht. So etwas habe ich schon vermutet. Dort wurde sie vergewaltigt.“
„Das Beste kommt jetzt! Am Axtstiel wurden Hautpartikel gefunden, die weder den fünf Leichen noch irgendeiner anderen Person im internationalen DNA-Register zuzuordnen sind.“
„Wie bitte?? Das kann doch nicht sein! Jeder Mensch auf der Welt ist ab dem achtzehnten Lebensjahr mit einer Speichelprobe registriert! Wie soll das gehen?“
Stübner stand auf und schnappte sich von Klaus das Fax.
„Komm lass uns zum Chef gehen. Der soll sich mit dem MAD in Verbindung setzen. Verschlossene Militärakte, keine Registratur im DNA-Register, das schreit doch förmlich nach Geheimdienst!“
Zentrale des militärischen Abschirmdienstes (MAD), Berlin-Karlshorst, 28. März 2031, 12.45 Uhr
Generalmajor Manfred Köhler war ein bulliger Mann von etwa fünfzig Jahren. Er hatte dunkelblonde streng nach hinten gekämmte Haare, die seine Geheimratsecken umso mehr betonten. Dieses kleine Detail, die Art wie er sich bewegte, kraftvoll, keine Schwäche zeigend, selbst wie er sein Barett trug oder sein befehlsgewohnter Ton, bildeten die Gesamtkomposition seines Erscheinungsbildes des absoluten Machthabers. Dieses Erscheinungsbild sollte seinen Untergebenen unbedingten Respekt und Gehorsam abverlangen. Die Uniform, die er trug, saß wie angegossen, geradeso, als wäre er für sie geboren worden.
Köhler saß an seinem nierenförmigen Schreibtisch aus schwarzem Marmor und debattierte in einer Runde mit sechs Hologrammen von hochrangigen Generälen anderer NATO-Staaten, um die europäischen Geheimdienste des Militärs international zu koordinieren.
„Meine Herren.“, sprach er mit autoritärem und machtbewusstem Ton. „In Anbetracht der weltpolitischen Lage haben wir schon im Vorfeld des Krieges die muslimischen Grenzstaaten infiltriert. Unsere Agenten melden schon seit Wochen massive Truppenverlegungen in allen europäischen Grenzregionen. Ebenso wurden Langstreckenraketen in Nordafrika und Vorderasien stationiert. Alles deutet darauf hin, dass eine Invasion unmittelbar…“
Es klopfte an der Tür.
„Entschuldigen Sie einen Moment!“, unterbrach Köhler missmutig seinen Satz.
Er hörte sich gerne reden und hasste es wie die Pest dabei unterbrochen zu werden. Mit einem Tastendruck auf seinem Communicator ließ er die Hologramme verschwinden.
„Herein!!“, rief er gereizt.
Die Schallgedämmte Tür ging auf. Ein Leutnant trat ein und salutierte.
„Herr Generalmajor! Ein dringendes Gespräch auf Leitung 5.“
„Danke Leutnant! Wegtreten!“
Der Leutnant verließ wieder das Büro des Generalmajors und schloss die Tür hinter sich.
Köhler aktivierte wieder die Hologramme der Generäle.
„Ich bin untröstlich meine Herren. Unterbrechen wir unser Meeting für eine halbe Stunde.“
Er trennte die Verbindung und bestätigte Leitung 5.
Das Hologramm eines hageren Mannes in Zivil, der wohl so alt wie Köhler sein mochte, baute sich auf. In der Hand hielt dieser Zivilist irgendeine Akte.
„Generalmajor Köhler! Was kann ich für Sie tun?“, fragte Köhler gelangweilt.
„Baumgartner, Polizeipräsident von Nürnberg.“, stellte sich sein Gegenüber ehrfürchtig vor. „Entschuldigen Sie die Störung. Aber ich befürchte wir benötigen Ihre Hilfe! In einer Mordsache brauchen wir Informationen über einen Tatverdächtigen.“
Der Polizeipräsident lächelte zaghaft und knetete in seinen Händen jene Akte.
„Warum glauben Sie, dass ich Ihnen da helfen kann?“
Köhler war drauf und dran zu gähnen, konnte sich aber geradeso zurückhalten. Er hielt den Mund geschlossen und verzog nur eine leichte Miene.
„Nun ja, unser Rechner spuckt nichts aus, Herr General!“, versuchte der Polizeipräsident fast seinen Anruf zu rechtfertigen.
Seine mangelnde Selbstsicherheit fiel Köhler natürlich sofort auf. Entsprechend passte er seinen Tonfall an, um seine übergeordnete Machtposition zu unterstreichen.
„Das tut mir leid für Sie! Aber was soll ich da machen?“
„Der Mann, um den es hier geht, heißt Johannes Kramp.“
Köhler zog die Augenbrauen zusammen.
„Johannes Kramp? Tut mir leid! Der Name sagt mir nichts.“
Ein zweites Hologramm baute sich auf.
„Stübner!!“, zischte sogleich dieser Baumgartner den anderen Mann an.
Dieser Stübner war wohl auch so um die fünfzig Jahre alt, hatte bereits schlohweiße Haare und trug eine Brille auf seiner runden Knollennase. Er sah wütend aus und polterte los.
„Wie, das sagt Ihnen nichts!? Sie werden doch wohl Ihre Agenten, Killer, oder was auch immer aus ihrem Verein kennen! Dieser Typ hat fünf Männer bei einem Kampf umgebracht. Als wir seine Militärakte abrufen wollten bekamen wir ein »Zugriff nur mit erweiterter Autorisation« zu lesen. Seine DNA ist nicht registriert. Läuten da bei Ihnen etwa nicht die Alarmglocken?“
In Köhler begann es zu brodeln. Er war es nicht gewöhnt, dass man in einem solch respektlosen Ton mit ihm sprach. Und das schon gar nicht von so einem dahergelaufenen Zivilisten!
„Herr Baumgartner!“, richtete Köhler das Wort an den Polizeipräsidenten und versuchte diesen Stübner so gut es ging zu ignorieren. „Bringen Sie Ihren Mitarbeitern gefälligst mal Benehmen bei! Nichts desto trotz werde ich diesen Kramp mal für Sie checken und melde mich bei Ihnen, sollte ich denn etwas herausbekommen. Auf Wiedersehen!“
Abrupt beendete Köhler die Verbindung ohne diese Polizisten noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Er drehte sich zu seinem PC und öffnete die Personaldatein der Bundeswehr. Er war doch neugierig geworden, wer da wohl ohne sein Wissen in seinem Zuständigkeitsbereich agierte. Diesbezüglich hatte Köhler wirklich nicht gelogen! Der Name Johannes Kramp sagte ihm so rein gar nichts!
In den Personaldateien gab er über eine Suchleiste den Suchbegriff » Johannes Kramp « ein.
Ein Identifikationsfenster erschien, woraufhin Köhler seinen Daumen auf einen Fingerabdruckscanner neben dem Partikeldisplaylegte. Ein neues Fenster erschien. »Guten Tag Herr Generalmajor Köhler« war da zu lesen. Darunter erschien die gesuchte Personalakte.
„Ah ja!“, stellte Köhler zufrieden fest. „Da haben wir es ja! Johannes Kramp, geboren am 7.10.2001, 2019 bis 2022 europäische Militärakademie in Rom, 2022 bis 2025 spezifizierte Ausbildung in Edinburgh, 2026 Entlassung aus dem Dienst zur besonderen Verfügung, Codename VIRUS 10.“ Köhler lehnte sich zurück. „Virus 10?“
Das sagte Köhler auch wieder nichts. Also gab er einen neuen Suchbegriff ein: »VIRUS 10«
»Zugriff nur mit erweiterter Autorisation!«, war die Antwort.
„Verdammt noch mal!“
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