Köhler betätigte seinen Communicator.
„NATO-Hauptquartier Brüssel!“, wählte er via Spracherkennung.
Eine junge schwarzhaarige Frau mit dem Rang eines britischen Lewtenant erschien.
Hübsches Ding! , dachte sich Köhler einen Moment Wie es wohl wäre mit der mal...?
Schnell wischte er diesen frivolen Gedanken beiseite und legte eine mürrische Mine auf.
Junge Frauen, eigentlich sehr junge Frauen, waren seit jeher seine große Schwäche. Je jünger sie waren, desto mehr fühlte er sich zu ihnen hingezogen! Doch jedes Mal, wenn er mal wieder etwas mit so einem jungen Ding am Laufen hatte, überfiel ihn auch bald die Angst, diese kleinen Biester könnten ihn zum Negativen beeinflussen. Daher beendete er diese Beziehungen immer schon nach wenigen Tagen unter irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden. Oder, wenn es Soldatinnen waren, was auch oft genug vorkam, sorgte er dafür, dass sie einfach in irgendein entlegenes Kaff versetzt wurden, und Köhler mit ihnen nichts mehr zu tun hatte.
„Generalmajor Köhler in Berlin-Karlshorst vom MAD.“, meldete er sich in seinem gewohnt selbstsicheren Ton. „Geben Sie mir sofort General Burck vom NATO-Abwehrdienst.“
„Der General befindet sich gerade in einer Besprechung.“, erwiderte die junge Frau mit emotionslosem Gesichtsausdruck.
„Erzählen Sie mir keinen Mist. Sie geben mir sofort den General! Das hat oberste Priorität!“, schnauzte Köhler die junge Frau ungehalten an.
„Ich schau was ich machen kann.“
Das Hologramm des Lewtenant verschwand, ohne dass die Verbindung unterbrochen wurde. Stattdessen erklang eine säuselnde Melodie. Dieser Lewtenant hatte Köhler doch tatsächlich in einer Warteschleife geparkt!
Köhler lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an. Diese bezog er über windige Kanäle aus Russland, wo der Genuss von Tabakwaren noch erlaubt war.
Nach einigen Minuten stoppte endlich diese nervige säuselnde Melodie und ein Hologramm baute sich auf. Es erschien ein afroamerikanischer Army-General.
„General Burck! Wie geht es Ihnen?“, rief Köhler in einem kumpelhaften Tonfall, obwohl sich die Beiden kaum kannten.
„Wie es einem so geht wenn man eine Armee zu führen hat, die sich ganz frisch im Kriegszustand befindet! Was haben Sie!?“, erwiderte Burck kühl und distanziert.
„Was sagt Ihnen der Codename VIRUS 10?“, fragte Köhler ohne Umschweife als er merkte, dass er zu diesen General kein vertrautes Verhältnis aufbauen konnte.
Burcks Gesicht verfinsterte sich schlagartig. „Woher wissen Sie davon?“
Da habe ich wohl ins Schwarze getroffen!
„Unsere Kriminalpolizei ist da an einem fünffachen Mörder dran. Als er anonym blieb traten sie an mich heran. Ich kam bis VIRUS 10. Was können Sie mir darüber erzählen?“
„VIRUS 10 ist eine schlafende Infiltrationseinheit in ganz Europa. Mehr darf ich Ihnen dazu nicht sagen. Wie ist sein Name?“
„Johannes Kramp!“, antwortete Köhler. „Ein Schläfer in Deutschland? Warum weiß ich nichts davon?“
„Weil Sie für diese Information eine Gehaltsgruppe zu tief angesiedelt sind! Ich darf Ihnen nichts weiter sagen. Tut mir leid!“
„Ich glaube schon, dass Sie mir Informationen zukommen lassen können! General! Wir haben Krieg und einer Ihrer Jungs läuft gerade in meinem Revier Amok! Was ist VIRUS 10 genau? Und wie können wir diesen Mann stoppen?“
„Diese Einheit wird, so Gott will, für Sie nie interessant! Beten Sie, dass VIRUS 10 nie aktiviert wird. Denn dann ist der Krieg bereits verloren. Mehr kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Burck Ende!“
Das Hologramm von General Burck verschwand.
„So ein Arschloch!“, fluchte Köhler und ging ins Vorzimmer.
„Leutnant Klausmann!“, schnauzte er den jungen Leutnant an, der ihn zuvor mit diesen beiden Polizisten verbunden hatte.
Der sprang sogleich auf.
„Rufen Sie sofort die Abteilung Lambda zusammen! Oberste Priorität! Und vergessen Sie Stabsunteroffizier Schütt nicht!“
„Zu Befehl, Herr Generalmajor!“, brüllte der Leutnant und griff sogleich nach seinem Communicator.
Köhler ging wieder zurück in sein Büro und setzte sich in seinen Sessel. Plötzlich begann auf seinem PC die Anzeige für eine eingegangene E-Mail rot leuchtend zu blinken. Sogleich rief Köhler sie auf. Es erschien ein Hinweisfenster.
» Dies ist eine zeitlich begrenzte E-Mail. 120 Sekunden nach ihrem Aufruf wird sich diese E-Mail Rückstandslos selbst löschen. «
Köhler nahm eilig einen Zettel und einen Stift aus einer Schublade. Er wusste, dass diese Art E-Mails in Geheimdienstkreisen durchaus üblich waren und oftmals brisante und halblegale Informationen beinhalteten. Dadurch, dass die Absender anonym blieben und sich die E-Mail unaufhaltbar selbst löschte, konnte kein Absender ermittelt, geschweige denn dem Verfasser irgendetwas nachgewiesen werden.
Der Generalmajor öffnete die E-Mail. Sie war wie erwartet anonym und enthielt einen Code aus Zahlen, Buchstaben und Trennungsstrichen. Hastig schrieb er ihn auf. Nach zwei Minuten verschwand wie angekündigt die E-Mail vom Display.
Polizeipräsidium von Nürnberg, 28. März 2031, 13.15 Uhr
Stübner und Gerlach verließen das Büro des Polizeipräsidenten.
„So ein blöder Hund!“, stieß Stübner wütend hervor. „Was der sich einbildet! Lässt uns da stehen wie ein paar Deppen! Von diesem Arschloch können wir wohl keine Hilfe erwarten!“
Die beiden Polizisten gingen durch die langen Flure des Polizeigebäudes. Gerlach blätterte in der Akte Kizmir.
„Ich würde sagen, wir fahren erst mal nach Waldheim und befragen die Kramps, sofern sie noch da sind!“
Stübner schüttelte den Kopf.
„Ich glaube nicht, dass die Kramps noch bei sich zu Hause sind. Wenn Kramp, wie wir vermuten, eine Geheimdienstgröße ist, dann wird er clever genug sein und das Weite gesucht haben. Deswegen brauchen wir nichts überstürzen. Zuerst werde ich uns beim Richter einen Durchsuchungsbeschluss besorgen. Du kümmerst dich um was zu essen aus der Kantine. Es ist Mittag und ich habe Hunger. Danach fahren wir nach Waldheim.“
Hof der Familie Kramp, Waldheim, 28. März 2031, 14.17 Uhr
Der blaue Mercedes der Kripobeamten fuhr auf den Hof. Jedoch stand dort bereits ein Geländewagen mit Viehanhänger. Auf der Suche nach etwas fressbarem scharten ein paar Hühner um ihn herum.
Gerlach parkte den Wagen direkt neben jenem Gespann aus Fahrzeug und Anhänger.
Sollte Kramp wider Erwarten doch noch zu Hause sein? , fragte sich Stübner und schaute mit hoch gezogenen Augenbrauen zu seinem Partner, der nur ahnungslos mit den Schultern zuckte. Ansonsten schien es auf dem Hof ruhig zu sein.
Die beiden Polizisten stiegen aus dem Wagen und gingen zum Wohnhaus, einem dunkelbraunen uralten Holzhaus mit tiefem Holzschindeldach und kleinen Fenstern. Vor dessen Fassade breitete sich, ebenfalls überdacht, eine schmale Veranda über die gesamte Breite des Hauses aus.
Als die beiden Polizisten am Geländewagen vorbei kamen sprangen plötzlich zwei zottelige schwarze Hunde gegen die Heckscheibe des Wagens. Sie kläfften wild und fletschten die Zähne.
„Scheiß Köter!“, fluchte Gerlach erschrocken und drohte den Hunden mit der Faust. Da wurden sie gleich noch wilder.
„Vielleicht sind die Kramps widererwarten doch noch da?“, frohlockte Stübner. „Das müsste der Wagen eines Schäfers mit seinen Hütehunden sein.“
An der Haustür aus Eiche, wuchtig, niedrig und schwer, war keine Klingel. Nur ein schwerer schmiedeeiserner Klopfer hing auf dem Türblatt. Er war kunstvoll verschnörkelt und schwarz lackiert.
„Hübsch altmodisch!“, meinte Gerlach und klopfte dreimal an.
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