Nun ein weiteres Wort über meinen Hauptmann und den Gefährten Cesare. Jenem macht die Gutmüthigkeit Ehre, die Launenhaftigkeit Mühe, das jugendliche Alter Belehrung fühlbar. Der Pharmazist, eine lange, hagere Gestalt mit glänzend schwarzen Haaren, mit einer schmalen, kurzen Stirne, einer vollen Baßstimme, ist ein seltenes Muster von einem rechthaberischen, anmaßenden Menschen. Selbst über arzneiwissenschaftliche Dinge mußte ich ihm Recht lassen, nur um unangenehme Auftritte zu vermeiden. Qualvoller kann man sich die Lage eines Arztes kaum denken, als die meinige war. Wo nur etwas Weniges haperte, war Cesare mit Arzneien, z. B. mit einem Abführmittel, bereit. Er zeigte sich unerschöpflich, dem Hauptmann Rezepte zu diktiren. Ich schwieg, weil ich zu gut einsah, daß die Quacksalberei ihr Hauptlager hier aufgeschlagen hatte. Von solchen Querköpfen als Arzt anerkannt zu werden, konnte mich nicht begierig machen. Betrübend und ergötzlich war es zu gleicher Zeit für mich, wahrzunehmen, daß die Quacksalberei im Ganzen wenig Segen hatte. Der Kapitän befand sich erst besser, als er auf das Einnehmen der Arzneien Verzicht that. Ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß man der Natur mehr vertrauen müsse, und daß, bei fortwährendem Verschlucken von Arzneistoffen, bisweilen der Körper in einem Grade von Abhängigkeit sich daran gewöhne, wofern jene ihn nicht ganz zerrütten. Cesare selbst litt nicht am wenigsten, vielleicht nicht am unverdientesten. Um durch ein Beispiel anschaulich zu machen, was für seichte Gespräche mitunter geführt wurden, so zankten sich die Helden lange, indem Cesare behauptete, daß Egypten, so zu sagen, in Europa liege. Er las in dem Universo pittoresco, einem, aus dem Französischen ins Italienische übersetzten Werke, daß Egypten, zwischen Asien und Afrika, von den Geographen bald zu jenem, bald zu diesem Welttheile gezählt werde. Er faßte die Stelle unrichtig auf, und behauptete, daß es heiße, Egypten gehöre weder Asien, noch Afrika an. Nun schloß er, es müsse Europa zufallen. Cesare wandert nach Egypten, um sich Schätze zu sammeln. In wie weit ihn edle Gründe leiten, konnte ich nicht erschauen; so viel wurde mir klar, daß er ein überspannter Glücksritter war. Als er in der gleichen Schrift las, daß, nach Pariset, der Verbreitung der Pest durch Verbrennung der Leichen, wie vor Alters, ein Ziel gesetzt werden könne, gerieth er in gänzliche Wallung, und äußerte sich, daß man dieses Mittel ausführen sollte, ja ausführen müsse, weil er an die Untrüglichkeit schon glaubte. Je mehr dem Menschen an gründlichem Wissen gebricht, desto mehr läuft er Gefahr, eine Beute der Leichtgläubigkeit zu werden.
Seit einigen Nächten fühlte ich eine Plage, die ich früher nie kannte. Ich mag die neue Auflage lebendiger Pfennige nicht nennen.
Den 8. Weinmonat.
Diesen Morgen entdeckte der Hauptmann auf dem Mastkorbe Alexandrien. Ich fühlte keine besondere Freude bei der Mittheilung dieser Nachricht, einestheils, weil die Witterung in der letzten Zeit, seit mehr denn drei Wochen, die schönste war, die je mein Leben erheiterte, anderntheils, weil ich die Zeit recht leicht mit Lesen, Schreiben, z. B. mit Uebersetzen aus dem Italienischen, mit der Tagebuchhaltung, früher auch mit Spiel, hinbringen konnte, so daß mich nur wenige Stunden eigentliche Langeweile folterte, — dann auch, weil das Landen an einem Orte mit zwei Pestilenzen einige unangenehme Gefühle erregte, so sehr das Interesse der Wissenschaft die Resignazion vorbereiten mochte.
Daß ich ruhrkrank wurde, habe ich oben erwähnt. Es entging mir nicht, daß die Ruhr einen ernsthaftern Karakter hätte annehmen können. Ich hege die Ueberzeugung, daß ich die schnelle Wiederherstellung vorzüglich einer ganz geregelten Lebensart, namentlich dem Aufenthalte im Bette, verdanke. Bei den Worten, daß ich leide, rief Cesare aus: Corpo di Dio, er macht mit der ganzen Krankheit die Reise. Ein Matrose setzte kaltblütig hinzu: Er wird bald abreisen. Das war richtig der Fall, aber in einem andern Sinne. Ich konnte so ganz bequem zuhören. Ich widerlegte den falschen Propheten damit, daß ich mich mindestens bald eben so gut befand, als zu Hause.
Die Seekrankheit konnte mir so wenig etwas anhaben, als Cesare. Wenn die See hoch ging, bekamen wir höchstens einen schweren, schwindlichten Kopf, und die Eßlust verminderte sich, welche bei mir sonst sich sehr lebhaft ankündigte. Ich verzichtete auf ein einziges Nachtessen.
Die Beschwerden zur See entspringen unstreitig aus den unordentlichen Bewegungen des Schiffes. Der wärmere Wind trägt das Seinige bei, um dieselben zu vermehren; allein die sogenannte Seekrankheit hervorzubringen, wird er kaum vermögen. Ich sage mit Fleiß: unordentliche Bewegungen; denn die gleichmäßigen würden wenig zu bedeuten haben, und das Schaukeln bald hin und her, der Länge und Breite nach, bald auf- und abwärts, zumal das stoßweise, kommt in Anklagezustand. Das Schaukeln zur See läßt sich platterdings nicht mit dem Schaukeln zu Lande auf gleiche Linie stellen. Andere Beschwerden rühren offenbar vom übeln Geruche faulender Stoffe, z. B. des faulenden Wassers im Schiffsraume, her, einem Geruche, welcher um so stärker wird, je unordentlicher das Schiff bewegt wird. Ich hörte selbst den Hauptmann oft über die sentina klagen, welche ihm Kopfweh verursachte.
Man rühmt gegen die Seekrankheit Limonade, oder schwarzen Kaffee mit Zitronensaft, ohne Zucker. So lange die Ursache, das Schaukeln oder der üble Geruch, dauert, leisten wohl wenig Mittel viel. Essen, wenn man sogar vom Appetite nicht eingeladen wird, schadet nichts, es nützt eher, wie ich aus Erfahrung weiß. Wenn die Witterung es zuläßt, begibt man sich am beßten auf das Verdeck, und statt zu liegen oder zu sitzen, steht man, indem man trachtet, den Bewegungen des Schiffes auszuweichen, und den Körper in möglichst senkrechter Stellung zu erhalten. Zudem zügle man die Einbildungskraft. Wer sich in den Kopf setzt, daß er speien müsse, kann es leicht dahin bringen. Man erwägt zu wenig, welcher Menge von Uebeln die Selbstherrschaft vorbeugt.
Ich habe von der Seekrankheit der Thiere wenig gelesen. Sie werden zuversichtlich von derselben nichts Großes sich vorstellen. Daß den Thieren das Unglück zu Theil ward, keine Vernunft zu besitzen, genießen sie andererseits das Glück, sich nicht durch Vormalung einer unglücklichen Zukunft, mittelst der Vernunft, die Tage des Lebens zu beunruhigen. An unsern Thieren, den Kanarienvögeln, Katzen, Ratten, Hühnern, nahm man keine Störung durch den Aufenthalt auf dem Schiffe wahr. Man sieht — doch, daß wir in guter Gesellschaft lebten. Wir hatten gebetene und ungebetene Gäste.
Schon seit der Frühe sah ich das Wasser des Meeres rothgelblich, trüber. Es war mit dem Nilwasser getränkt. Es fing an von Schiffen und Vögeln belebter zu werden. Erst um neun Uhr ungefähr erblickte ich mit bewaffnetem Auge Alexandrien, nämlich den Palast des Pascha — freilich nur geometrische Linien, ein todtes, vom Meere auftauchendes Viereck im Sonnenglanze. Wir waren bloß noch zehn Seemeilen von Alexandrien.
Bald näherte sich die Küste, die rechts, ein röthlicher, wenig erhabener Sandhügel, sich gleichsam ins Meer verlor; Häuser, deren Umrisse undeutlich waren, erhoben sich immer zahlreicher; im Hintergrunde aber, wie auf einen Hügel gepflanzt, strebte die Pompejussäule und, ein wenig links, der Obelisk der Kleopatra empor. Alles schien eine Insel zu sein, und hatte so wenig Ungefälliges, daß man hätte glauben mögen, von Lido aus Venedig sich zu nähern.
Es fuhr ein Schiff in solcher Entfernung an uns vorüber, daß wir es beinahe hätten entern können; seine Flagge trug das Zeichen des Halbmondes. Alles überraschte mein Auge, ausgenommen das Schiff. Wir waren schon so weit vorgerückt, daß wir den Lothsen, das ist der Wegweiser für unser Schiff, erwarteten. Endlich wimmelte ein schwarzer Punkt, der fortan größer wurde, bis man die Ruderknechte unterscheiden konnte. Doch wurden sie bisweilen von einer Wellenwand fast ganz verborgen. Weil die Einfahrt wegen der Bänke gefährlich ist, so sind Lothsen unerläßlich. Schon hat der Lothse uns eingeholt. Wir fragten nach dem Gesundheitszustande. Es steht gut, antwortete er, weder Pest, noch Cholera. Das Gespräch wurde auf italienisch geführt. Der Araber, ein großer Mann von tiefbrauner Gesichtsfarbe, mit großer Bognase, schwarzem Barte, und von etwas stolzer Haltung, sprach fertig fränkisch, wie man das Gemisch von Italienischem und wenig Morgenländischem in der Levante nennt. Er saß auf dem spitzigen Hintertheile seiner Barke, so daß die Füße von den aufliegenden Oberschenkeln bedeckt waren. Mit einer Hand lenkte er das kleine Steuer wie im Zauber. Nachdem sein Kahn an das Schlepptau unserer Brigg genommen war, erhielt er das Kommando, und unser Kapitän durfte es nur wiederholen.
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