Nikolai Leskow - Die Klerisei (Nikolai Leskow) (Literarische Gedanken Edition)

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Literarische Gedanken Edition
präsentiert
Die Klerisei
von Nikolai Leskow

"Die Klerisei", teilweise auch als «Die Domherren» oder «Die Priester von Stargorod» bekannt, ist ein Roman des russischen Schriftstellers Nikolai Leskow (1831-1895), der in der Zeit von 1866 bis 1871 entstand. Die fünf Bücher des Romans behandeln die Zeitspanne vom Sommer 1867 bis zum Frühjahr 1868 und erzählen aus dem Leben dreier befreundeter Geistlicher der Dompfarrei Stargorod an der Turiza: Propst Saweli Tuberosow, Pfarrer Sacharija Benefaktow und Diakon Achilla Desnizyn.
Alle Bücher der Literarische Gedanken Edition wurden von Originalen transskribiert und für ein verbessertes Leseerlebnis aufbereitet.
Mehr Ausgaben finden Sie auf unserer Homepage unter literarischegedanken.de.

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Die Klerisei

von Nikolai Leskow

Literarische Gedanken Edition präsentiert

Die Klerisei,

von Nikolai Leskow

Impressum

Texte: Nikolai Leskow

Veröffentlichung: 1919

Herausgeber: Jacson Keating

c/o Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

jacson@jacsonkeating.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzichtet derzeit auf eine Ablieferung von Kindle-E-Books. (Stand: Mai 2016)

Weitere Titel aus der Literarische Gedanken Edition finden Sie auf unserer Homepage unter www.literar ischegedanken . de

Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Die Leute, deren Leben und Treiben diese Erzählung schildern soll, sind die Bewohner der Dompfarrei von Stargorod: der Propst Sawelij Tuberozow, der Pfarrer Zacharia Benefaktow und der Diakon Achilla Desnitzyn. Ihre Jugendjahre, sowie auch ihre Kindheit lassen wir unberührt. Will der Leser sie vor sich sehn, wie unsere Geschichte sie faßt, so muß er sich das Haupt der Stargoroder Geistlichkeit, den Propst Sawelij Tuberozow, als Mann vorstellen, der die Sechzig bereits überschritten hat. Vater Tuberozow ist hochgewachsen und von stattlicher Leibesfülle, aber noch sehr rüstig und beweglich. Dasselbe gilt von seinen Geisteskräften: auf den ersten Blick erkennt man, daß er sich alle Glut des Herzens und alle Energie der Jugend bewahrt hat. Seinen auffallend schönen Kopf ist man versucht, als Urbild männlicher Schönheit zu betrachten. Tuberozows Haar ist dicht, wie die Mähne eines gewaltigen Löwen, und weiß, wie die Locken des Zeus von Phidias. Es türmt sich malerisch als mächtiger Schopf über der hohen Stirn und fällt in drei großen Wellen nach rückwärts, ohne die Schultern zu erreichen. In dem langen zweigeteilten Bart des Propstes und in dem kleinen Schnurrbart, der bei den Mundwinkeln mit dem Bart in eins zusammenfließt, blitzen hie und da noch ein paar schwarze Haare auf, welche dem Bart das Aussehen von schwarz emailliertem Silber geben. Die Brauen dagegen sind ganz schwarz. In zwei steilgebogenen S-Linien vereinigen sie sich über dem Rücken seiner ziemlich großen und fleischigen Nase. Die Augen sind braun, groß, kühn und klar. Sie haben es ein ganzes Menschenleben lang verstanden, der Spiegel eines regen und starken Geistes zu sein. Wer dem Propste nahestand, sah sie von freudiger Begeisterung durchstrahlt, von Schmerz umnebelt, in Tränen der Rührung gebadet. Mitunter flammte in ihnen das Feuer der Entrüstung und sie sprühten Funken des Zorns, keines eiteln, rechthaberischen Zornes, sondern des Zornes eines bedeutenden Mannes. Aus diesen Augen leuchtete die gerade und ehrliche Seele des Propstes Sawelij, die er in seiner christlichen Zuversicht unsterblich glaubte.

Zacharia Benefaktow, der zweite Pfarrer am Stargoroder Dom, ist ein Wesen ganz anderer Art. Seine Person ist die verkörperte Sanftmut und Milde. Wie sein bescheidener Geist sich in keiner Weise hervorzutun begehrt, so nimmt auch sein winziger Leib nur ganz wenig Platz weg, als wäre es ihm peinlich, die Erde allzusehr zu beschweren. Er ist klein, mager, schmächtig und kahlköpfig. Zwei kleine Löckchen graugelber Haare flattern nur noch über seinen Ohren. An Stelle eines Bartes scheint dem Vater Zacharia am Kinn ein Stückchen Schwamm zu kleben. Er hat winzige Kinderhände, die er immer in den Taschen seines Leibrocks verbirgt. Seine Beinchen sind dünn und schwach, wie Strohhalme, überhaupt erscheint der ganze Mann wie aus Stroh geflochten. Seine herzensguten, grauen Äuglein sind äußerst beweglich, aber sie werden nur selten voll aufgeschlagen, immer suchen sie sich gleich ein Plätzchen, wo sie sich vor unbescheidenen Blicken verbergen könnten. An Jahren ist Vater Zacharia etwas älter als Vater Tuberozow und viel schwächlicher als dieser, aber auch er ist gleich dem Propst gewohnt, sich stramm zu halten, und trotz aller Übel und Gebresten, von denen er heimgesucht wird, hat er sich einen lebhaften Geist und eine große körperliche Beweglichkeit bewahrt.

Der dritte und letzte Vertreter der Stargoroder Domgeistlichkeit, der Diakon Achilla, wird durch mehrere Attribute gekennzeichnet, die wir alle hier mitzuteilen für gut befinden, damit der Leser ein möglichst klares Bild von dem gewaltigen Achilla gewinne.

Der Inspektor der Kirchenschule, der den Achilla Desnitzyn aus der Syntax-Klasse »wegen Überreife und mangelhafter Fortschritte« ausgeschlossen hatte, pflegte zu ihm zu sagen:

»Ach, du langgereckter Holzknüppel, du!«

Der Rektor, der auf ein besonderes Bittgesuch hin den Achilla wieder in die Rhetorik-Klasse aufgenommen hatte, staunte jedesmal, wenn er den werdenden Recken zu Gesichte bekam, und pflegte, verblüfft über diese Riesengröße, Riesenkraft und Rieseneinfalt, zu äußern:

»Es dünkt mich zu wenig, dich bloß einen Knüppel zu nennen, sintemalen du in meinen Augen zum mindesten eine volle Ladung Holz repräsentierest.«

Der Dirigent des bischöflichen Sängerchores endlich, in den Achilla eingereiht wurde, nachdem er aus der Rhetorik entfernt und dem Klerus zugezählt worden war, nannte ihn »unermeßlich«.

»Dein Baß ist gut,« sagte der Dirigent, »er donnert wie eine Kanone; aber unermeßlich bist du bis zum äußersten, so daß ich angesichts dieser Unermeßlichkeit gar nicht weiß, wie ich dich würdig behandeln soll.«

Die vierte und gewichtigste Charakteristik des Diakons Achilla stammte von dem Bischof selbst, und zwar ward dessen Urteil an einem für den Achilla sehr denkwürdigen Tage ausgesprochen, dem Tage nämlich, wo er, Achilla, aus dem bischöflichen Chor ausgeschlossen und als Diakon nach Stargorod geschickt wurde. Sie lautete: »der Gepeinigte«. Es dürfte aber wohl angebracht sein, zu erzählen, auf welche Weise der brave Achilla zu diesem Namen kam.

Der Diakon Achilla war von Jugend auf ein sehr impulsiver Mensch, der sich nicht nur in seinen Jünglingsjahren immer wieder hinreißen ließ, sondern auch in den Jahren des nahenden Alters.

Trotz der »Unermeßlichkeit« seines Basses war Achilla im Sängerchor doch sehr geschätzt, weil er mit gleicher Leichtigkeit sich zu den höchsten Höhen emporzuschwingen und bis zur tiefsten Oktave hinabzuklettern vermochte. Eins nur machte dem Dirigenten bei dem unermeßlichen Achilla immer wieder Angst, – seine übergroße Begeisterungsfähigkeit. So konnte er etwa bei der Vesper sich nicht damit begnügen, das »Heilig ist der Herr unser Gott« nur dreimal zu singen, sondern ließ sich oft fortreißen, es ganz allein zum vierten Male anzustimmen; besonders aber konnte er den Lobgesang am Schluß des Gottesdienstes nie zur rechten Zeit abbrechen. Doch in allen diesen Fällen, die schon bekannt waren und die man deshalb auch voraussehen konnte, wurden vernünftigerweise entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen: einer der erwachsenen Sänger erhielt nämlich den Auftrag, den Achilla am Rockschoß zu ziehen oder ihn im geeigneten Moment durch einen kräftigen Druck auf beide Schultern zusammenknicken zu lassen. Indessen nicht umsonst sagt das Sprichwort, daß man sich nicht für jeden Augenblick vorsehen könne. An einem der großen zwölf Feiertage hatte Achilla in der Kommunionsliturgie ein sehr schwieriges Baß-Solo auf den Text »von Schmerzen gepeinigt« zu singen. Die Bedeutung, die der Dirigent und der ganze Chor diesem Solo beimaß, machte dem Achilla nicht wenig Sorge: er war in großer Unruhe und dachte hin und her, wie er es anstellen sollte, sich nicht zu blamieren, sondern vor der Eminenz, die ein großer Liebhaber guten Kirchengesanges war, und vor dem gesamten Gouvernementsadel, der an diesem Tage in der Kirche sein würde, in Ehren zu bestehen. Tag und Nacht ging er bald in seiner Stube, bald im Korridor oder im Hofe, bald im bischöflichen Garten oder auf dem Weideplatz vor der Stadt auf und ab und sang in den verschiedensten Tonarten: »gepeinigt, gepeinigt, gepeinigt«.

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