Der Aufpasser
Reiner W. Netthöfel
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2015 Reiner W. Netthöfel
ISBN 978-3-7375-2421-6
Der Auftrag Impressum Der Aufpasser Reiner W. Netthöfel published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright: © 2015 Reiner W. Netthöfel ISBN 978-3-7375-2421-6
Die Mandantin
Auf dem Gipfel
Im Tal
Der Bär
Epilog
„Scheiße!“ Warum musste das Telefon ausgerechnet jetzt gehen? Er hatte sich gerade fertig gemacht, die Regenfront war schon in der Ferne zu sehen. Wenn er jetzt loslief, würde er es noch schaffen, aber das dämliche Telefon würde ihn aufhalten. Sollte er einfach nicht rangehen? Er schaute sich das Gerät an. Natürlich keine Nummer. Unterdrückt. Er drückte einen Knopf auf einem schwarzen Plastikkasten neben dem Telefon und nahm ab.
„Ja?“, fragte er barsch. Ein Brummen war zu hören, sonst nichts.
„Wer ist da?“, schrie er ungeduldig in das Mikrofon.
„MW? Sind Sie MW?“, hörte er eine amerikanisch sprechende Männerstimme ziemlich undeutlich. Er war geneigt, sich einen schwarzen Mann vorzustellen, denn die Stimme war eine typisch schwarze: tief und kehlig. Das Alter des Mannes war jedoch für ihn nicht bestimmbar.
„Wer will das wissen?“ Immer noch barsch. Er meinte, ein Lachen zu hören.
„Nun ja, nehmen wir einmal an, ich hieße Jackson Browne.“ Scherzkeks.
„Wie witzig. Woher haben Sie diese Nummer?“ Er würde sie ändern lassen müssen.
„Oh, Sie haben Referenzen.“ Referenzen, die diese Nummer weitergeben? Die hatte er sicher nicht. Schon gar nicht veröffentlicht. Wenn er schnell lief, würde er es vor dem Regen nach Hause schaffen. Hoffte er.
„Wovon sprechen Sie?“
„MI 5, CIA, Mossad, BND, BKA und andere.“ Was ging hier vor? Es brummte.
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“ Eindeutig ein Lachen.
„Doch, wissen Sie. Ich muss Sie dringend treffen.“
„Ich treffe mich nicht mit Leuten, deren Namen ich nicht kenne.“
„Ich sagte doch, ich heiße Jackson Browne.“
„Womöglich sind Sie die Jackson Five.“ Ein kehliges Lachen ertönte.
„Sie haben Humor.“
„Kommt drauf an.“
„Es ist sehr dringend.“ Kein Lachen, kein Humor, das war purer Ernst.
„Woher haben Sie die Nummer?“, insistierte MW.
„Ich sagte es bereits.“
„Sind Sie diesen Kreisen zuzuordnen?“
„Ja.“ Immerhin war das eine klare Antwort.
„Worum geht es?“
„Um einen Auftrag.“
„Ach.“, tat er desinteressiert.
„Und um zehntausend Dollar.“
„Machen Sie sich nicht lächerlich.“, brummte er ärgerlich.
„Pro Tag.“ Er zog die Brauen hoch.
„Oh.“
„Eben.“
„Bei welchem Dienst sind Sie?“
„Kein Dienst. US-Regierung.“
„Wie kann ich da sicher sein?“
„Wie ich hörte, haben Sie die Möglichkeit, das zu überprüfen. Wenn Sie in den nächsten fünf Minuten folgende site ansteuern,“ sein Gesprächspartner gab einen link durch, „und Jackson Browne eingeben, haben Sie meine Legitimation.“
„Hm.“
„Werden Sie es tun?“
„Was tun?“
„Es überprüfen.“
„Weiß nicht.“
„Es ist wichtig. Und denken Sie an die zehntausend.“
„Die sind nicht wichtig.“
„Zehntausend am Tag sind nicht wichtig?“ Der Mann klang schrill.
„Genau.“
„Mannomann. Überlegen Sie es sich.“
„Mal sehen.“ Ein Blick nach draußen verriet ihm, dass er nass werden würde.
„Wann kann ich Sie zurückrufen?“, fragte der Fremde.
„Ich rufe Sie an.“ Ein kehliges Lachen. Er musste gestehen, es war nicht unsympathisch.
„Das geht nicht, sie können mich nicht zurückrufen.“
„Warten Sie es ab.“, schmunzelte MW und beendete das Gespräch. Er wählte die geheime Nummer.
„Alles mitbekommen?“, fragte er.
„Si.“, erklang eine helle Stimme.
„Ich gehe jetzt auf die Piste. In einer Stunde bin ich wieder da, dann will ich den Typen zurückrufen können und etwas über ihn wissen.“ Aus den Lautsprechern im Wohnzimmer erklang Joe Cockers ‚I can stand a little rain‘.
„Wird knapp.“
„Du schaffst das.“
„Das meine ich nicht.“
„Was denn?“
„Die Regenfront.“ Abermals lupfte er die Brauen. Woher konnte sie das wissen?
MW wurde pitschenass, aber immerhin war der Regen warm gewesen.
Frisch geduscht und gut gelaunt studierte er die Informationen, die er von seiner Partnerin erhalten hatte und wählte.
„Sie heißen ja tatsächlich Jackson Browne.“ Er hörte immer noch ein Brummen.
„Verdammt, wo haben Sie die Nummer her?“ Der Kerl klang aufgeregt. MW lachte.
„Was Sie können, kann ich auch.“
„Ich habe keine Referenzen.“
„Das ist aber schade. Wenn Sie meine Referenzen kennen, müssten Sie wissen, dass ich gut bin.“
„Ich wusste nicht, dass Sie so gut sind.“
„Nun wissen Sie es.“
„Haben Sie es sich überlegt?“
„Was?“
„Ob Sie den Auftrag annehmen.“
„Ich weiß ja nicht einmal, um was es geht.“
„Deshalb will ich mich ja mit Ihnen treffen.“
„Na ja, unterhalten können wir uns ja mal. Geht das nicht telefonisch?“
„Ich bin in vier Stunden bei Ihnen.“ MW ließ fast das Telefon fallen.
„Oh, so schnell?“
„Wir landen in einer Stunde.“
„Sie scheinen ja ziemlich sicher gewesen zu sein, dass ein Treffen zustande kommt.“, sprach MW tadelnd.
„Es blieb mir nichts anderes übrig.“ Stand der Mann etwa unter Druck?
„Ich bestelle einen Tisch in einem Restaurant.“ Er nannte seinem unbekannten Gesprächspartner das Restaurant und begann, eine gewisse Vorfreude auf das Treffen zu entwickeln.
„Eine Frage noch.“
„Bitte.“
„Wie heißen Sie eigentlich?“
„Lassen Sie es bei MW oder finden Sie es heraus.“ Am anderen Ende war eine Art Grummeln zu hören und MW dachte schon, dass es das war. Er irrte sich aber hiermit.
„Noch eine Frage.“, hörte er nämlich einen Nachtrag.
„Okay, Columbo.“
„Wie erkenne ich Sie?“
„Wenn Sie Referenzen über mich haben, müssten Sie wissen, wie ich aussehe.“
„Sie haben viele Gesichter.“
„Bringt der Beruf so mit sich. Wir werden uns schon nicht verfehlen.“
Der Fahrer weckte seinen Fahrgast, als der Wagen hielt.
„Wir sind da, Sir.“ Browne schlug mühsam die Augen auf und sah aus dem Fenster in den Abend. Was er sah, konnte ihn nicht recht erfreuen, es handelte sich nämlich um die Backsteinfassade eines alten, unansehnlichen, mehrstöckigen Hauses, dessen Außenmauern dezente Leuchtreklamen zierten; einzig die geschmackvoll dekorierten Fenster gaben Anlass zu der Hoffnung, dass es sich bei dem Restaurant nicht um die Kaschemme handelte, die der erste Eindruck nahelegte.
„Ist das die richtige Adresse?“, fragte Browne misstrauisch, er traute MW nämlich vieles zu.
„Jepp.“
„Na, dann will ich mal.“, bereitete sich Browne auf den Einstieg in ein abenteuerliches Unterfangen vor und stieg aus.
„Soll ich nicht warten, Sir?“, wollte der Fahrer wissen.
„Nein.“, sagte Jackson Browne kategorisch; er hatte sich nämlich etwas vorgenommen. Er wollte erreichen, was in seinen Kreisen als unerreichbar galt: er wollte hinter das Geheimnis von MW kommen, und hierzu, so stellte er sich das vor, müsste er in dessen Sphäre eindringen. Er sah der davonfahrenden Limousine zufrieden nach.
Die Zufriedenheit wollte einer gar nicht einmal so unbestimmten Furcht weichen, als er sich dem Eingang des Lokals näherte, denn schließlich war MW nicht gerade freundlich gewesen am Telefon. Aber immerhin hatte der ihn hierhin eingeladen. Mit diesem Gedanken neuen Mut gefasst, betrat er entschlossen den Gourmettempel.
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