Als er schließlich nach einiger Zeit und etwas Mühe das Haus der Besenbinderfamilie erreicht hatte und ihn die beiden Kinder überglücklich begrüßten, war er froh und erleichtert zugleich. Er drückte sie, und als den verdutzten Eltern nun langsam dämmerte, wer dort eigentlich vor ihrer Türe stand, fingen sie an sich bei ihm zu bedanken. Kaspar musste ihnen alles berichten und dies tat er auch. Natürlich nur das, was er ihnen auch erzählen wollte und konnte. Und die Kinder erzählten ihm, wie sie ganz alleine den restlichen Weg zurückgelegt und außerdem dabei auch sein Säcklein mitgebracht hatten. An jenes hatte Kaspar gar nicht mehr gedacht. So wurde der fremde Mann ein Freund der Familie, und er verbrachte noch einige erholsame Tage im Haus der armen, aber sehr gastfreundlichen Besenbinderfamilie. Sie waren einfache Leute, und zum Dank für ihre Gastfreundschaft und weil er selber ja genug besaß, jedenfalls mehr als er eigentlich benötigte, überließ er ihnen all die Juwelen und Goldstücke, die er in der Hexenhütte eingesammelt hatte. Die Besenbinderfamilie brauchte fortan nie mehr Hunger leiden. Jedoch mussten sie ihm im Gegenzug versprechen, dass niemand davon erfahren durfte, dass eigentlich er es gewesen war, der die Hexe zur Strecke gebracht hatte. Dies versprachen sie ihm, und so ersannen sie gemeinsam ihre ganz eigene Version des Geschehenen. Diese erfuhren dann auch die neugierigen Leute, die alles genau wissen wollten, denn das ganze Dorf freute sich darüber, dass die Knusperhexe nun für ewig besiegt war.
So wurde die Mär über Generationen hinweg weitererzählt. Und so wie es bei solchen Dingen meist geschieht, dabei ein wenig verändert, noch etwas hinzugefügt oder gar ganz weggelassen. Die beiden Kinder, die Hütte und auch die Hexe wurden schließlich zur Legende, zum Märchen, doch Kaspar kam darin nicht mehr vor, und darüber war er sehr froh.
Die goldene Kette des Hexensteins tauschte er schließlich gegen ein sehr gutes Pferd, mehr als genug Proviant und einiges an Kleidung ein und machte sich dann alsbald daran den Rückweg anzutreten. Die beiden Kinder und ihre Eltern winkten ihm zum Abschied, während er seinem Pferd die Sporen gab.
Kaspar hatte sie vor dem sicheren Tod bewahrt und den Namen des Dämons erfahren, somit konnte er eigentlich recht zufrieden mit sich sein. Eng war es gewesen, ja, aber dies war es ja meist! Und auch nur eine weitere, kleine Etappe auf dem noch weiten Weg hin zum großen Finale. Hier war die Welt jedoch von einem Übel befreit worden, und er seinem großen Ziel einen weiteren, sehr wichtigen Schritt näher gekommen. Dies munterte ihn dann doch noch ein wenig auf, während er allmählich den Harz hinter sich ließ und weiter gen Süden ritt.
Doch war das Übel in diesem sagenumwobenen Teil des Mittelgebirges nicht gänzlich vernichtet, nein! Es sollte weiterleben, bis in die heutige Zeit hinein. Und so ist manchmal, meist in kalten und dunklen Abendstunden und nur wenn man sehr still lauscht, leise noch ein unheimliches Fluchen aus der Tiefe zu hören, jedoch so undeutlich, dass es auch nur als Plätschern des Wassers gedeutet werden könnte.
Kapitel 2
»Ketzerei! Teufelswerk! Nichts anderes als dies.«, stellte Kaspar fest und schlug das dicke, alte Buch so heftig zu, dass der Staub in der Luft umherwirbelte.
»Lest ruhig weiter, mein Freund! Traut Euch! Niemand kann uns hier belauschen… Die Mauern sind dick, die Tür gut versperrt. Niemand außer uns beiden ist hier unten. Ich habe es so gewollt.«, ermutigte ihn sein Gegenüber und lächelte dabei milde.
»Ich schäme mich beinahe dafür, es mitgebracht zu haben. Allein schon der Besitz könnte für Euch und mich den grausamen Flammentod bedeuten…«
Kaspar war beunruhigt.
»Ja, für gewöhnlich schon! Doch hat es neben den vielen Nachteilen und Unannehmlichkeiten auch Vorteile Vorsteher eines Klosters zu sein. Unter anderem jenen, Herrscher über ein ausgeklügeltes System versteckter Räume und Gänge zu sein. Überaus nützlich für die sichere Lagerung, aber auch zum heimlichen Studium jener Schriften, die nicht jedem zugänglich sein sollten.«
Johannes von Sponheim, der Abt, grinste.
»Ist es das, was ich glaube, was es ist?«, wollte Kaspar wissen und strich über den Rücken des uralten Buches.
Sein Gegenüber nickte.
»Ja, die Haut eines Menschen! Ich nehme an, bei diesem besonderen Exemplar, sogar die eines Säuglings. In jenen dunklen Kreisen ein eindeutiges Merkmal besonders mächtiger Zauberbücher. Wahrhaft meisterlich und kunstvoll gearbeitet.«, erklärte ihm der Abt.
Kaspar lief ein Schauer über den Rücken, und er schüttelte angewidert den Kopf.
»Der Inhalt… reine Blasphemie!«
»Könnt Ihr dies mit Gewissheit sagen? Ich jedenfalls nicht, denn es gibt nur eine allwissende Macht, unseren Herrgott! Er alleine weiß, was wahr und unwahr ist! Nur er, nicht die Kirche!«
Der Abt war sich dem Gewicht seiner Aussage vollends bewusst. Kaspar bewunderte Ihn dafür, seine Ansicht so unverhohlen zu äußern, denn dies war in den dunklen und blutigen Zeiten der Inquisition gefährlich und nicht selten auch tödlich.
»Bitte, versteht mich nicht falsch, Herr Abt! Ich sorge mich nicht um Eure geistige Haltung, sondern um Euer Leben. Es ist in diesen Zeiten gefährlich, seine eigene Sicht der Dinge zu haben und diese offen nach Außen zu vertreten, doch ich achte und bewundere Euren Verstand schon lange, und mich interessiert die Meinung der Kirche wenig. Wir, mein Freund, kennen und verstehen uns schon zu lange, als dass ich Eure Freigeistigkeit nicht schätzen würde. Was ich eigentlich sagen möchte ist, wir wissen noch nicht wirklich, was wir hier in Händen halten, denn dies Buch befand sich im Besitz einer sehr mächtigen Hexe und könnte somit für uns alle überaus gefährlich sein! Ebenso können wir uns über den Inhalt noch keine rechte Meinung bilden. Darum würde ich vorschlagen, solange wir es noch nicht ganz verstehen und richtig deuten können, sollten wir dies Werk voller Argwohn und mit größter Vorsicht betrachten.«, erklärte sich Kaspar und sah sein Gegenüber ernst an.
»Ich verstehe, was Ihr meint und gebe Euch damit vollends Recht. Solch ein komplexes Machwerk ist mir bisher auch noch nicht in die Finger geraten. Ich bin aber durchaus gewillt und fest entschlossen, dies mysteriöse Buch solange zu studieren und zu untersuchen, bis es vielleicht eines Tages gänzlich enträtselt werden kann. Jedoch alles mit der gebührenden Vorsicht.«, versicherte ihm Johannes.
»Das beruhigt mich, mein Freund! Niemand außer Euch darf es sehen, nicht auszudenken, wenn…«, antwortete Kaspar.
»Natürlich! Es ist hier unten, ganz im Verborgenen, gut aufgehoben. Keine Menschenseele wird es zu Gesicht bekommen, außer mir. Ich gebe Euch mein Wort! Und wenn es dadurch einfacher für Euch wird, so kann ich Euch beruhigen und gleichfalls versichern, dass es ja vornehmlich als ein Mann Gottes auch zu meiner heiligen Pflicht gehört, solch ein, dem Anschein nach, ketzerisches Grimoire in Verwahrung zu nehmen, um so die schwachen und leicht verführbaren Menschen vor großem Schaden zu bewahren. Doch sagt, was ist eigentlich mit ihr geschehen?«, wollte der Abt wissen.
»Ihr meint die Hexe? Was mit ihr geschah? Nun, sie hat bekommen, was ihr zusteht.«, antwortete Kaspar kurz und knapp.
»Ich verstehe… Nun, allesamt sind sie verdammte Seelen! Gott wird sie richten und bestrafen für ihre Sünden…«
Johannes bekreuzigte sich.
»Ich werde Euch lieber nicht weiter dazu befragen.«
Kaspar nickte und zeigte dann auf einen der vielen hohen Stapel.
»Ihr wart fleißig mit Eurer Sammlung bisher, mein Freund!«
»Ihr könnt Euch ja gar nicht vorstellen, wieviel Mühe es mir bereitet hat, den Toten- oder Dämonenbeschwörern, Hexen, Magiern, ihre Zauberbücher rechtzeitig abzunehmen, um diese vor dem verzehrenden Feuer der Inquisition zu bewahren. Es lag leider nicht in meiner Macht, sie alle zu retten, doch konnte ich so wenigstens einige für die Nachwelt erhalten, worüber ich sehr froh bin. Nebenbei kann ich Euch versichern, dass dieses von Euch mitgebrachte Werk hier, wie auch all die anderen selbiger Machart, natürlich in keiner meiner öffentlichen Listen auftauchen wird. Bei meinem Eintritt in dies Kloster gab es lediglich 48 Bücher, nun sind daraus einige Tausend geworden, diese besonderen Schriften hier unten natürlich nicht mit eingerechnet.«, erklärte ihm Johannes, doch auch ein wenig stolz.
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