»Ich möchte jemanden herausholen, ja!«
Sie lächelte.
»Wollen wir nun beginnen?«
Kaspar wurde erneut von der unsichtbaren Kraft gepackt und schwebte, ohne sich dagegen wehren zu können, dicht an das große violette Feuer in der Mitte des Steinringes heran. Er konnte die sengende Hitze auf seiner Haut spüren. Die Hexe flog durch die Luft und ließ sich langsam auf einen der großen runden Steine hinab gleiten. Mit gespreizten Beinen, die Arme und Hände dabei weit in den Himmel gerichtet, rief sie ihre magischen Zaubersprüche in den nun immer dunkler werdenden Abendhimmel. Sie stand da, vollkommen nackt, und der Edelstein auf ihrer Brust leuchtete heller denn je. Kaspar wurde, als er in den Himmel sah, erst jetzt bewusst, dass der gesamte Tag verstrichen sein musste. Er war sich daher ziemlich sicher, dass die Hexe ihn in einen magischen Schlaf versetzt hatte, um ihr schauriges Ritual pünktlich zum Anbruch der Nacht beginnen zu können.
Der Vollmond leuchtete hell, und es wurde wahrlich ein gespenstisches Treiben um ihn herum. Den magischen Worten der Hexe folgend, stieg gespenstisch dichter Nebel aus der klaffenden Tiefe, und die wabernden Schwaden umschlossen Kaspar, sodass dieser nichts mehr sehen konnte. Hilflos schaute er den unheimlichen Schatten dabei zu, wie sie in diesem unnatürlichen Dunst wild umhertanzen. Starre Augen belauerten ihn und scharfe Zähnen blitzten auf. Unheimliches Schmatzen, lautes Kreischen und gequältes Stöhnen war zu hören. Der Lärm verstummte, und plötzlich biss und griff etwas nach ihm. Er versuchte sich zu regen, sich zu wehren, doch war dies, wie auch alles andere um ihn herum, nur Spuk und fiel schließlich in sich zusammen, löste sich so schnell wieder in Nichts auf, wie es gekommen war. Das Feuer wechselte die Farbe, nun war es leuchtend grün und kleine Blitze kamen heraus. Diese wurden dann von den Felsen wieder zurückgeworfen. Kleine giftiggrüne Feuerbälle formten sich aus der lodernden Glut und sprangen wie wild umher, bis sie mit lautem Knall plötzlich wieder verschwanden. Im Hintergrund zog ein Sturm auf. Es wehte, und die Flamme fing an zu wirbeln und dies immer schneller.
Walburga ließ sich erfreut in die Luft aufsteigen. Sie schwebte über dem höchsten der runden Steine und gebieterisch ertönte ihre Stimme. Der wilde Flammenwirbel stieg an zu einer mächtigen Feuersäule, die nun hoch in den Himmel ragte. Sie beschwor die dunklen Mächte und schien nichts Menschliches mehr an sich zu haben.
»So höret mich!!!«, rief sie, und ihre Haare wehten im Sturm.
Dann kam sie zu Kaspar hinabgeschwebt, packte ihn grob an seiner Schulter, und ihre Krallen bohrten sich dabei in seine Haut. Er stöhnte auf vor Schmerz, und sie zog ihn mit sich hinauf in die Höhe.
»Nehmt dies Opfer!!!«, rief sie.
Die gigantische Feuersäule teilte sich, und Kaspar meinte undeutlich Umrisse erkennen zu können. Etwas entstieg dem Feuer, etwas dunkles, etwas großes und recht furchteinflößendes. Ein Mischwesen: halb Schlange, halb Mensch! Den Köper einer Schlange, doch hatte es Kopf, Arme und Beine…
»Komm zu mir, Geliebter!«, sagte die Hexe und blickte zufrieden hinab.
Kaspar ahnte, dass es nun bald sterben würde. Er wartete und seine Verzweiflung stieg. Während Walburga triumphierend lachte, zerbrach er sich den Kopf, wie er ihr entkommen konnte.
»Komm zu mir, ja!«, lockte sie mit tiefer Stimme.
Er spürte, wie der Druck in seiner Schulter nachließ. Die Hexe hatte einen kurzen Moment der Schwäche, ließ sich unvorsichtigerweise von ihren Gefühlen leiten. Er war sich nicht sicher… Würde dies ausreichen? Noch bevor sie ihre Unachtsamkeit bereuen konnte, hatte Kaspar ihr die Kette vom Hals gerissen. Er hielt das Schmuckstück fest in seiner Faust, während er hart auf den Boden knallte und sich duckte. Ihre spitzen Fingernägel verfehlten nur knapp seinen Kopf, und sie schrie, schrie laut auf vor Zorn und Hass.
Die Erde erzitterte, brach auf, und der diabolische Feuerspuk stürzte mitsamt der unheimlichen Kreatur hinab in die Tiefe. Kaum war dies geschehen, verschloss sich der riesige Schlund auch schon wieder, ganz wie von selbst, und bis auf ein kleines Feuerchen war nichts mehr von alledem übrig geblieben.
»Du Wurm, was hast du getan!!!«, schrie sie ihn hasserfüllt an.
Kaspar versuchte aufzustehen, doch im Bruchteil einer Sekunde war sie schon über ihm. Ihre Augen glühten ihn wütend an.
»Ich werde dich dafür leiden lassen! Oh ja!«
Er sah, wie sich ihr Gesicht veränderte. Der kraftspendenden Macht des Hexensteins beraubt, wurde sie wieder zur fürchterlichen Kreatur, dem alten scheußlichen Weib.
»Nein, nimmer! Nimmermehr!!! Gib es uns den Stein zurück!«, krächzte sie mit ihrer alten, heiseren Stimme.
Krumm über ihn gebeugt, grabschten ihre knorrigen Hände gierig nach der goldenen Kette, dann packte sie zu. Kaspar hielt so gut es ging dagegen. Während er mit ganzer Kraft zog, spürte er, dass er der Alten nicht mehr lange Widerstand leisten konnte, denn die Hexe war auch ohne die Macht des Hexensteins kräftiger, als jeder normale Mensch. Ihre langen spitzen Fingernägel bohrten sich unerbittlich in seine Haut, und das Blut lief hinab.
»Gib es mir!!! Garstig ist es! So garstig!«, geiferte sie.
Er roch ihren fauligen Atem, und der Sabber spritze ihm ins Gesicht. Die wütende Kreatur zerrte wie wild. Was konnte er nur tun?
»Hier hast du ihn!«, rief Kaspar und ließ die Kette überraschend los.
Die überrumpelte Alte fiel nach hinten und prallte mit ihrem Rücken mit voller Wucht gegen einen der großen, harten Steine. Sie stöhnte auf und schüttelte sich kurz, dann hatte sie sich aber schnell wieder gefangen. Sie lachte und kicherte triumphierend, endlich wieder im Besitz ihres Schatzes zu sein. Ja, Walburga konnte sie spüren, die Macht. Sie durchfuhr erneut ihre alten Glieder, gab ihr neue Kraft. Begierig schloss sie die bleichen Augen, verwandelte sich mit Hilfe des Steins zurück, und als sie ihre strahlend schönen, jungen Augen öffnete, sah sie Kaspar mitten in dessen Gesicht, direkt in seine entschlossenen, blauen Augen und erschrak.
Mit nur einem Hieb hatte er ihre den Kopf vom Hals getrennt, und Ihr Körper fiel in sich zusammen und auf den Boden. Er zuckte noch, als Kaspar triumphierend ihr Haupt an den Haaren in den Abendhimmel hielt.
»Sei verflucht auf ewiggggg!«, gurgelte sie mit blutigem Mund.
»Ddddu und dddeine ggganze Sippe!«
»Das bin ich bereits, Hexe«, antwortete er ihr unbeeindruckt.
»Für all die Kinder wirst du nun bezahlen.«, drohte er.
»Ggggnade…«, winselte sie.
Dann ging er zum Rand der Felsenklippe und schaute hinab in den tiefen Abgrund.
»Nein! Hab dddoch Ggggnade, Fremder«, winselte sie, doch er schüttelte den Kopf.
»Gnade? Dieselbe, die du den Kindern zukommen lassen hast?«
Noch bevor sie ihm antworten konnte, warf Kaspar den Kopf der Hexe hinab. Im Sturz drehte sich dieser mehrmals um sich selbst, und ihre langen Haare wirbelten umher. Er sah, wie ihr Haupt schließlich in einer der tiefen Spalten verschwand. Das Dunkel verschluckte die Ausgeburt der Hölle. Hoffentlich, so wünschte er es sich, für sehr lange Zeit! Er wischte das Blut an seinem Beinkleid ab und steckte den Säbel dann wieder zurück in die kostbare Scheide. Vom ehemals gewaltigen Feuersturm war nur noch ein kleines Feuerchen übrig geblieben, doch dies war ausreichend. Während der Rest der Hexe Walburga langsam in Asche aufging, schrie ihr abgetrennter Kopf in der Tiefe laut auf vor Schmerz und Pein.
Auf dem Rückweg kam Kaspar an einem tiefen Bergsee vorbei. Dessen Wasser war dunkelblau und in der Mitte nahezu schwarz. Er hatte am eigenen Leib erfahren müssen, und dies recht schmerzhaft und beinahe sogar tödlich, wie mächtig der Edelsteins war, den alle gemeinhin nur als Hexenstein bezeichneten. Tief in sich spürte er, dass es falsch gewesen wäre, diesen weiterhin bei sich zu tragen. Sollte doch das Schicksal darüber entscheiden, wer dessen neuer Besitzer sein würde. So griff er in die Tasche, zog die goldene Kette hervor und nahm den Edelstein sorgfältig ab. Die Kette steckte er wieder zurück. Dann holte er weit aus, warf, und der Stein plumpste ins dunkle Nass. Er sank schnell hinab, bis er schließlich ganz in der Tiefe verschwunden war. Keiner würde ihn so ohne weiteres finden können. Erleichtert setzte er seinen Weg fort. Er wollte unbedingt noch in Erfahrung bringen, was mit den Kindern geschehen war, bevor er sich wieder auf seinen Heimweg machen konnte.
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