Von wegen: untauglicher Schluchtenscheißer! Den „Seppl“ allerdings, den musste ich mir gefallen lassen; selbst der Alte rief mich so… Eigentlich lief es für mich ganz gut in diesen ersten Tagen auf See. Wenn mich nur die vermaledeite Seekrankheit und die daraus resultierende lähmende Müdigkeit nicht so fest im Griff gehabt hätten! Das Kraft raubende Steuern in schwerem Wetter war eine einzige Qual, und der Schlaf in meiner Oberkoje, aus der ich immer wieder heraus katapultiert zu werden drohte, brachte auch keine Erholung. Die Schlafkojen in den winzigen Zwei-Mann-Logis waren querschiffs angebracht. D. h., dass man im Seegang bei Rollbewegungen, je nach Umfang des Rollens, mehr oder weniger auf den Füßen bzw. auf dem Kopf stand. Beim Stampfen hingegen wurde man gegen das Schott gedrückt oder eben, wenn man nicht mittels eines „Steckbrettes“ vorgesorgt hatte, herausgeschleudert. Heiko, mit dem ich die Kabine teilte, ging die Steuermannswache. Das war schon ein großer Vorteil, so konnte ich wenigstens mein Elend vor ihm verbergen. Die meiste Zeit in meiner Freiwache verbrachte ich zusammengerollt wie ein Hund auf der schmalen Holzbank zwischen der Bordwand und dem fest im Boden verankerten Tischchen.
Wie es gekommen war, das hatte ich gar nicht so richtig mitgekriegt. Tatsache war, als ich zur Vormittags-Wache geweckt wurde, war die Fahrt aus dem Schiff und – es rührte sich kein bisschen. Lediglich schabende, knirschende Geräusche, die von außen herein drangen, waren zu vernehmen. Auf der Brücke angekommen, staunte ich nicht schlecht: Wir steckten im Eis fest! Der Steuermann war während der Nacht völlig ahnungslos im südlichen Ende des Kalmarsunds in ein Eisfeld geraten. Weiß der Teufel, wie das geschehen konnte. Das Schiff verfügte über kein Radar, aber es war zumindest funktechnisch ausgerüstet. Somit hätte man wohl in der Lage sein müssen, Warnnachrichten abzuhören. Solche Betrachtungen jedoch gehörten damals nicht zu meinen Sorgen. Mochte sich der Alte Sorgen machen, der sich nun fluchend den Kopfhörer angelte… Für mich zählte nur: Dieses Schaukel-Schinakel, diese Sardinenbüchse von einem Schiff lag endlich still. Nun, ganz so still auch wieder nicht, eher völlig bewegungslos, völlig hilflos – weder vor noch zurück könnend. An der blechernen Bordwand – die STADERSAND hatte keine „Eisklasse“ – schob sich, vernehmlich knackend, gebrochenes Eis hoch. Dem Alten war das ganz und gar nicht geheuer, und er bat die schwedische Küstenwache inständig, uns doch aus dieser Falle zu befreien… Ich, darauf hoffend, dass dies nicht so schnell geschehen möge, betrachtete ganz entspannt die Gegend. Soweit man sehen konnte, und das war im Schneegestöber nicht allzu weit, nichts als eine schneebedeckte Eisfläche. Wenn das Gestöber nachließ, konnte ich in einiger Entfernung an Steuerbord eine schemenhaft dunkel aufragende Erhebung erkennen. Der auf dem Kartentisch ausgebreiteten Seekarte nach musste es eine klitzekleine Insel sein: „Bla Jungfrun“ geheißen. Das befruchtete meine Fantasie – aus bla wurde blau, aus blau gefrorenen Jungfrauen Weinflaschen schwingende, trunkene Bacchantinnen. Diese Wunschvorstellung – oder war es etwa schon Wahn? – erwärmte und erheiterte mein Herz so sehr, dass ich zu hopsen und zu trällern anhub. Für den Alten natürlich völlig grundlos; er betrachtete mich irritiert und verständnislos, um nicht zu sagen: misstrauisch…
Die Bemühungen unseres Kapitäns hatten endlich Erfolg. Der in der Nähe operierende schwedische Eisbrecher „IMAN“ sollte uns aus dieser misslichen Lage befreien. Es dauerte aber immerhin noch 24 bange Stunden – ich hatte mich in der Zwischenzeit prächtig erholt – bis der dunkle Koloss schnaubend, rasselnd, knirschend vor uns aus der grauweißen Einöde auftauchte. Uns umkreisend, zerbrach er das uns festhaltende Eis. Ich betrachtete interessiert seine Arbeitsweise. Das bullige Schiff schob seinen unten abgeflachten Bug einfach auf das Eis und brach es. Dabei schwänzelte es mit dem massiven Heck wie eine große, fette rußige Ente, um die gebrochenen Eisschollen auch noch zu zerkleinern. Schließlich setzte sich die „Ente“ vor uns und machte uns deutlich, ihr möglichst dicht aufgeschlossen zu folgen. Das allerdings war für unser schwachbrüstiges Schiffchen so einfach nicht. Um überhaupt folgen zu können, mussten wir uns relativ dicht hinter das spitze, zusätzlich mit Stahl verstärkte Heck des Eisbrechers halten. Das hatte zur Folge, dass es immer wieder sehr eng wurde, wenn die IMAN plötzlich stoppte oder gar ein Stückchen rückwärts fuhr, um notfalls mit einem neuen Anlauf größere Eishürden zu nehmen. Wurde indessen der Abstand auch nur etwas zu groß, steckten wir sogleich wieder im Brucheis fest.
Auf der Brücke der STADERSAND musste daher ständig der Maschinentelegraf bedient werden, der lediglich aus einem kleinen Handrad mit einem Kurbelgriff bestand. Mir traute man diese Aufgabe noch nicht zu, ich durfte steuern, was in diesem Fall ja sehr einfach war… Irgendwann dann, in der zweiten Nachthälfte, als ich friedlich schlummernd in meiner Oberkoje lag, gab es einen gewaltigen Bums. Das Schiff stoppte augenblicklich, und ich fand mich wieder auf dem harten Fußboden meiner Unterkunft. Ein Eisberg? Etwa so, wie bei der „TITANIC“? Dergleichen schoss mir durch den Kopf, und ich stürzte so, wie ich war, halbnackt an Deck. Da stand ich dann im gleißenden Licht der Scheinwerfer des Eisbrechers, dem wir offensichtlich zu nahe gekommen waren…
Und das kam so: Der Steuermann, der dem Leichtmatrosen Fiete oft genug stundenlang die Wache ganz alleine anvertraute, befahl Fiete, ja die Finger vom „Gasrad“ zu lassen. Das kränkte Fiete, schließlich war er bereits gewohnt, selbstständig zu handeln, sobald der Steuermann die Brücke zum „Zeugwäschemachen“ verließ. Nun konnte aber der gute Mann selbst in dieser heiklen Situation seine Sucht nicht beherrschen und verließ mal kurz die Brücke – wegen „Zeugwäsche“… Und wie der Teufel es will, stoppte auch mal kurz der Eisbrecher. Und Fiete, eingedenk der Order, die Finger vom Fahrtregler zu lassen, knallte kaltblütig auf das zugespitzte, Stahl verstärkte Hinterteil des Eisbrechers. Diesen störte das nicht weiter. Die STADERSAND aber schon, denn sie hatte daraufhin ein enormes Loch im Steven. Das war zum Glück hoch genug über dem Wasserspiegel, so dass wir schließlich dennoch Oskarshamn aus eigener Kraft erreichten. Dort angekommen, bestellte der Alte Handwerker. Die bastelten – als Provisorium – auf der Innenseite des aufgerissenen Buges einen Holzkasten, den sie mit Beton ausfüllten. Und, wie das halt so ist mit Provisorien – ich kann mich nicht erinnern, dass das Schiff während meiner ganzen neunmonatigen Bordanwesenheit auch nur für kurze Zeit in einer Werft gewesen wäre…
Von Oskarshamn, dem vereisten Kalmar-Sund das Heck zeigend, ging es dann weiter in Richtung Norden. Eiskalter Gegenwind peitschte das Wasser. Schäumende Gischt fegte über das Schiff hinweg und schlug sich als Eis an Deck, an den Aufbauten und Masten nieder. Das Schiff, dieser elende Wurstwagen, bockte, torkelte, versuchte immer wieder auszubrechen, was ich als Rudergänger nach Kräften zu verhindern hatte. Weiß Gott, woher ich die Kraft hatte, das störrische Steuer zu bändigen, denn mir war hundsübel. Ich verwünschte meine Geburt und bereute zutiefst meinen törichten Entschluss, mich unbedingt als Seemann bewähren zu müssen. Der Alte hatte keinen Blick für mich und mein Elend; er hatte andere Sorgen. Das Eis an Deck, besonders auf dem Vorschiff, nahm kontinuierlich an Dicke zu, und die Bewegungen der STADERSAND wurden irgendwie behäbiger, schwerfälliger. Geradezu bedächtig neigte sie sich von einer Seite zur anderen, wobei der Bug immer tiefer wegsackte…
Irgendwann erreichten wir dann doch noch Landsort, den südlichsten Punkt des Stockholmer Schärenbereichs. Die Lotsenübernahme endete mit einer Beinahe-Katastrophe: Der Lotse, der mit einem gewagten Sprung unser tief im Wasser liegendes Schiff quasi enterte, schlug auf dem vereisten Deck erstmal lang auf und rutschte der Länge nach der Treppe zum Achterdeck entgegen. Mochte seine Laune, ausgerechnet so einen „Wurstwagen“ lotsen zu müssen, schon vorher nicht die beste gewesen sein; nach der Rutschpartie, bei der auch noch sein schmuckes Käppi verloren ging, war sie sicherlich nicht besser geworden. Meine Laune hingegen besserte sich schlagartig, sobald das Schiff innerhalb der schützenden Schären wieder ruhig im Wasser lag. Die stundenlange nächtliche Fahrt zwischen den Inseln und Inselchen, die ich nur als dunkle, mit Leuchtfeuern versehene Schatten wahrnahm, nahm mich als Rudergänger voll in Anspruch. Ständig wechselnde Kurse, ins Fahrwasser ragende Felsen, Bojen, die nur mit Hartruderlage umschifft werden konnten, das Beachten und exakte Ausführen der Lotsenkommandos – das alles übte ungemein. Und obwohl ich die Kiste beinahe auf einen der vielen Steine gesetzt hätte, weil das Schweineschiff ob seiner Kopflastigkeit durch das viele Eis auf der Back sich nur schwer steuern ließ, war ich doch der Meinung, gute Arbeit geleistet zu haben. Auch der Alte schien mit mir zufrieden zu sein. Von Stockholm selbst allerdings weiß ich nichts zu berichten, außer dass wir erst mühsam das Schiff „enteisen“ mussten, um die Ladeluke überhaupt öffnen zu können.
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