1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Der Ausbildungskurs ging zu Ende, und ich fragte mich, was ich außer meiner „Kellnerausbildung“ eigentlich sonst noch gelernt hatte. Sicher, die meisten Knoten beherrschte ich, und auch den „Prüfungs-Spleiß“ hatte ich irgendwie hingekriegt. Von all dem theoretischen Kram hatte ich jedoch nicht viel mitbekommen – und der Bootsdienst, na ja… Ob das wohl reichen würde, um als Schiffsjunge auf einem der großen Pötte zu bestehen?
Am Vormittag des 7. März 1958 befahl mich Kapitän K. zum letzten Mal in sein Uhren-Kabinett, um mir das von der Heuerstelle der Hansestadt Bremen ausgestellte Seefahrtbuch zu übergeben.
Darin wurde mir durch Stempel und seine eigenhändige Unterschrift bescheinigt, dass ich an Bord des Schulschiffes SCHULSCHIFF DEUTSCHLAND vom 9. Dezember 1957 bis 8. März 1958 mit Erfolg an einem Vorauslehrgang teilgenommen hatte. Zugleich wies er mich an, dass ich mich so schnell wie möglich in der Heuerstelle im Europahafen bei einem gewissen Herrn Maier einfinden sollte. Der hätte bereits aufgrund seiner Fürsprache ein passendes Schiff für mich parat…
Küstenmotorschiff STADERSAND
Seefahrtbuch für Ernst Steininger – ausgefertigt in Bremen am 25. Feb. 1958
– Seefahrtbuch Nr. 0266 / Seite 14 –
Der Inhaber ist angemustert als Decksjunge auf dem Motorschiff „STADERSAND“.
Reederei: Ch. Meyer
Unterscheidungssignal: DFJM
Br.-Raumgehalt cbm 1406
Heimathafen: Stade
geführt von Kapt. Wabers
Reise: Nord- und Ostsee
Zeit: unbestimmt
Der Dienstantritt erfolgt am 7. März 1958
Seemannsamt Rendsburg, den 9. März 1958
Nachträgliche Eintragung des Seemannsamtes Brunsbüttelkoog: Ab 1. Novb. 1958 als Jungmann
* * *
Die Heuerstelle – in meiner Erinnerung verkörpert durch ein rundliches Brillengesicht, das mich durch das quadratische Loch in der kahlen Zimmerwand flüchtig musterte. Es gehörte zu jenem Herrn Maier und begutachtete mein funkelnagelneues Seefahrtbuch. Es bemängelte, dass das Passfoto noch ausstehe. Das deutsche Seefahrtbuch sei immerhin ein international anerkanntes Dokument, und ich hätte das Foto schnellstens nachzuliefern. Sprach’s, schob mir das Büchlein samt einem Notizzettel durch den Schalter und schloss vernehmlich laut die Klappe: Rumms; war es doch schon Nachmittag, und der normale Parteienverkehr endet bei deutschen Behörden immer noch mittags…
Noch im Gebäude fischte ich aufgeregt und neugierig nach dem Zettel. Darauf stand nichts weiter als der Liegeplatz und der Name des Schiffes, auf das ich gerade verschanghait worden war. So kam es mir im Moment jedenfalls vor. Der Name des Schiffes STADERSAND verhieß nichts Gutes. STADERSAND, das hörte sich irgendwie nach Kuhdorf an… So viel wusste ich: Die Namen der Frachtschiffe des Norddeutschen Lloyds endeten alle auf –stein, die der Hansa-Linie alle auf –fels und die Namen der großen Massengutfrachter der Schlüssel-Reederei, die sogar den Orinoco befuhren, endeten auf –tor. Auch eines der Schiffe der Argo- oder der Neptun-Reederei, allesamt Bremer Reedereien, konnte es nicht sein. Die Schiffe der Argo-Linie hatten so poetische Sternenamen wie „ALGOL“ oder „ALDEBARAN“; die der Neptun-Linie hatten gar Namen aus der griechisch-römischen Götterwelt wie „THETIS“, „CERES“… Aber STADERSAND – der Name roch doch geradezu nach einem mickrigen Kümo.
Auf ein Kümo – das ist in der Regel ein kleines Küstenmotorschiff in der „Kleinen Fahrt“ – war ich nun ganz gar nicht erpicht. Mein Traum war die „Große Fahrt“: Hongkong, Yokohama, Valparaiso, so hießen meine Ziele und nicht etwa Brunsbüttelkoog oder Rendsburg… Mir war unsäglich flau im Magen, als ich mich schließlich auf die Suche nach dem Liegeplatz des Schiffes machte. Im Europahafen angekommen, stellte ich niedergeschlagen, aber erwartungsgemäß fest: Weit und breit kein größeres Schiff! Der Europahafen war fast leer gefegt. Es war Ebbe, die Masten und die Brückenhäuser einiger Kümos ragten neben den hohen Spundwänden aus der Tiefe des Hafenbeckens. Der Liegeplatz „meines Schiffes“ aber, dass konnte ich bereits von weitem erkennen, war nicht belegt. Die zwei größeren Kümos, die zur Neptun-Flotte gehörten, konnte ich gleich abhaken, und nachdem es mir gelungen war, die kleineren zu identifizieren, stellte ich erleichtert fest, dass keine STADERSAND darunter war.
„Gott sei Dank“, aber was nun, was sollte ich tun? Während ich noch überlegte und dabei mehr oder weniger zufällig in Richtung Hafeneinfahrt sah, bemerkte ich, wie sich gerade ein kleiner grauer Kahn anschickte, die Hafeneinfahrt zu passieren. Mir plumpste das Herz in die Hose; instinktiv verbarg ich mich hinter dem nächsten Kranaufbau. Von da aus beobachtete ich das langsam näher kommende Gefährt, das aussah wie eine graue Wassermaus mit zwei Zahnstochern auf dem Rücken. Die Hoffnung, es möge sich bei diesem unscheinbaren Kümo doch um Himmels Willen nicht um „das Schiff“ handeln, erfüllte sich nicht. Unübersehbar groß stand da, die ganze Seite der Back ausfüllend, schwarz auf grau mit – wie ich später feststellte – aufgeschweißten Lettern: STADERSAND.
„Kartoffel, Kartoffel, Kartoffel…“ So oder so ähnlich hörte sich das gleichmäßige Tuckern der irgendwo im unteren Achterschiff versteckten Maschine an. Die STADERSAND war bereits frühmorgens ausgelaufen, nachdem man ihr noch während der vergangenen Nacht den Bauch mit Stückgut voll gestopft hatte. Nun schipperte sie die Weser hinunter. Vorbei an den beeindruckenden, gewaltigen Werftanlagen der „AG-Weser“, des „Bremer-Vulkan“ – Vegesack…; vorbei an mächtigen, irgendwie schief im Uferschlick liegenden Betonklötzen, ehemaligen U-Bootsbunkern – Elsfleth…; vorbei an Siloanlagen, Förderanlagen – Brake…; vorbei an einem Pulk vor Anker liegender Schiffe – Blexen-Reede, Bremerhaven… Ich saß auf irgendwas auf dem winzigen Achterdeck und – schälte Kartoffeln. Mir gegenüber saß, auf irgendwas, Hanna. Zwischen unseren Beinen: die Kartoffelpütz. Hanna war etwa vierzig, kleinwüchsig, fast zwergwüchsig, hatte einen Buckel und war die Schiffsköchin. Unsere Knie berührten sich, rieben sich, verursacht wohl durch das harte Vibrieren des Decks… „So, so – aus Österreich kommst du.“ Hannas neugierige Blicke musterten mich unverhohlen; und kichernd sagte sie: „Krause Haare, krauser Sinn, da steckt gewiss der Teufel drin!“ Damit hatte sie so unrecht nicht.
Zum ständigen Vibrieren des Decks hatte sich ein leichtes Schaukeln, ein kaum merkliches Schwanken des Schiffes gesellt. Ich blickte beunruhigt auf, wir waren doch noch immer auf dem Fluss, hatten gerade einmal Bremerhaven passiert… Was, zum Teufel, ging da vor? Mir ward auf einmal übel, und ich begann heftig zu schlucken. Hanna riet mir, trocken Brot zu essen – mit dem Erfolg, dass ich spätestens ab Leuchtturm „Rote Sand“ die Fische mit vorgekautem Brotbrei fütterte… Obwohl uns auf unserem Weg von der Weser in die Elbe – wir steuerten den Nord-Ostsee-Kanal an – kein Hurrikan, kein Tornado, nicht einmal ein simpler Sturm, geschweige sonst irgend ein widriges Wetter begegnete, kotzte ich, als ob wir in allen „Wettern“ gewesen wären. Erst kurz vor Brunsbüttelkoog gelang es mir, meinen Magen – dank Hannas körniger Brühe – wieder zu beruhigen.
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