1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Der Kapitän, der die Luxusgüter wie Bohnenkaffee und Kaffeesahne für die O-Messe verwaltete – der Rest der Besatzung musste sich mit „Muckefuck“ abfinden – brachte mich alsbald mit erhöhtem Dosenmilchverbrauch in Verbindung. Zwischen ihm und mir entspann sich ein zäher Kleinkrieg, den die Herren Offiziere damit bezahlten, dass ihre Kaffeesahne immer dünnflüssiger wurde. Hin und wieder befahl mich der „Alte“ zum Rapport in sein Kapitänslogis, sein „Heiligtum“, um mir nutzlose Vorträge über sparsameren Umgang mit Dosenmilch zu halten. Massig, wie er nun einmal war, saß er eingeklemmt in seinem Polstersessel, den runden, kurz geschorenen Schädel mit dem feisten Stiernacken über den Arbeitstisch gebeugt. Auf diesem lagerten nicht etwa Papiere oder was sonst so auf Schreibtischen zu liegen pflegt, sondern – Uhren! Armbanduhren, Eieruhren, kleinere Chronometer, teils ganz, teils in ihren Einzelteilen. Und während er mir, ohne mich dabei auch nur anzusehen, die Leviten las, hantierten seine dicken Wurstfinger mit feinen Pinzetten, winzigen Rädchen, Federchen… Das also – vom Rationieren der Luxusfurage mal abgesehen – war die Hauptbeschäftigung des Herrn Kapitän. Für alles andere hatte er ja seine Offiziere, drei Stück an der Zahl und – last not least – Bootsmann Mau. Während der Alte, vor sich hin räsonierend, mit seinem Spielzeug beschäftigt war, starrte ich wie gebannt auf dessen feisten Nacken und – dachte dabei an das unrühmliche Ende des Franzosenkönigs Ludwig den XVI…
Die Aufenthaltsräume für uns Jungs waren unter dem Hauptdeck. Es waren deren vier; zwei hintereinander an jeder Seite, getrennt durch ein mittschiffs verlaufendes Längsschott. An der niederen Decke waren in Reih und Glied die Eisenhaken für unsere Betten, die Hängematten, angebracht. Ferner waren da noch breite, bewegliche Eisenbügel. Sie dienten dem Platz sparenden Verstauen unserer Tische und Bänke – das waren glatt gehobelte lange Bretter. Dann gab es da noch den Wassergraben an der Außenbordseite. Der war zum Auffangen und Ablaufen des latent von der eisernen Außenhaut abtropfenden Schweißwassers gedacht. Diese etwa 15 cm breite und einige Zentimeter tiefe, dick mit roter Farbe beschmierte eiserne Rinne war das Lieblings-Kontroll-Objekt des allgegenwärtigen Bootsmann Mau auf seinem abendlichen Inspektionsgang durch die Mannschaftsräume. Wehe, er hatte schlechte Laune! Der Graben konnte noch so sauber geleckt und gewienert sein; auch wenn es absolut nichts zu finden gab – Bootsmann Mau fand was. Das hieß: Warten! Warten, bis der Bootsmann seine Inspektion durch die anderen Mannschaftsräume beendet hatte und… Und – auch wenn inzwischen keiner einen Finger gerührt hatte – war es ihm dann entweder recht – oder eben nicht. Auffallend war, dass es vor allem immer wieder die „Greenhorns“, also die Gruppe der Neuzugänge, traf. War es ihm dann endlich recht, holte jeder seine zu einer stabilen Wurst zusammengerollte Hängematte aus dem „Bettkasten“ und brachte sie unter den Eisenhaken in Position. Nach dem Aufschnüren der Wurst wurden die Ringe in die Haken eingehängt, und fertig war das Bett.
Sofern ich nicht durch böswillige Kameraden daran gehindert wurde, habe ich darin auch vorzüglich geschlafen. Es war nämlich ein gängiger, wenn auch schlechter Scherz, unbeliebte Kameraden durch das Aushängen des Ringes am Fußende unsanft aus dem Schlaf zu reißen. Natürlich gab es dann immer Tumult, und natürlich war es dann auch keiner gewesen. Für Bootsmann Mau war das auch keine Frage. Er dachte gar nicht daran, die Übeltäter ausfindig zu machen. Für ihn gab es nur die Sippenhaft und als Disziplinarmaßnahme „Hängemattenstemmen“! Das heißt, alle hatten – und wenn es mitten in der Nacht war und bei jedem Wetter – in Windeseile ihre Hängematte zu schnüren und damit prompt an Deck zu erscheinen. Und dann, schön in Reih und Glied breitbeinig aufgestellt, die Arme, mit der Wurst in den Händen, hoch ausgestreckt und: Eins und zwei, eins und zwei, hoch und nieder, hoch und nieder… Wehe jenen, die da ihr Bündel nicht gut verschnürt hatten. Die zu stemmende Wurst musste steif und fest wie eine Salami sein und durfte nicht wie ein schlappes Wiener Würstel Kraft raubend überm Kopf zappeln. Wer dann noch das Unglück hatte, dass ihm die Eingeweide seiner Wurst – Kopfkissen, Decke, Laken – austraten, der hatte wirklich schlechte Karten. Nicht nur, dass er nach dem „Aufbereiten“ seiner Wurst noch alleine eine Zeitlang weiterstemmen durfte – nein, er war sich auch des Spottes seiner „Kameraden“ sicher.
Kameraden? Die Übeltäter, die auch davor nicht zurückschreckten, ihr auserwähltes Opfer – in der Regel ein „schwächelndes“ Individuum bzw. jemand, der sich nicht unbedingt mannschaftskonform verhielt – am Kopfende der Hängematte auszuhaken, kamen meist selbst aus dem „inneren Kreis“ um Bootsmann Mau. Nicht, dass ich ihm im Nachhinein unterstellen will, dass er davon wusste. Das nicht. Aber dass selbst nach solch kriminellen Vergehen nicht einmal der Versuch unternommen wurde, jemanden zur Verantwortung zu ziehen, das zeigt doch deutlich, wes Geistes Kind unsere damaligen Vorgesetzten waren. Der 1. Offizier Sch., ein hoch aufgeschossener, hagerer Mann mit dem „outfit“ eines Gregory Peck in Marineuniform, hatte auf dem Schiff schon Dienst getan, als es noch unter der „Reichsflagge“ segelte. Damit will ich ihm aber nicht ans Bein pinkeln. Sch. war der Offizier, der den morgendlichen Appell mit witzigen Bemerkungen aufzulockern verstand. Sein Verständnis für die Sorgen Einzelner, seine Freundlichkeit machte ihn allseits beliebt. Was aber nun den Bordalltag betraf, da hatte er wohl wenig zu sagen. Das Regiment führte Bootsmann Mau. U. war einer der beiden 2. Offiziere. Von Statur groß und kräftig, die Uniformjacke meist ungeknöpft, leger getragen, verkörperte er den Typ eines Robert Mitchum. Er war der Klassenvorstand meines Kurses. Was wir genau bei ihm lernten – daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber irgendwas mussten wir gelernt haben, schließlich bin ich noch heute im Besitz eines benoteten Zeugnisses.
Bittesehr:
Führung: sehr gut
Fleiß: sehr gut
Praktische Kenntnisse befriedigend
Theoretische Kenntnisse gut
Bootsdienst gut
Allgemeines Wissen befriedigend
Dass mein allgemeines Wissen gerade mal nur mit einer Drei honoriert wurde, dass ärgert mich noch heute. Fühlte ich mich doch auf diesem Gebiet den meisten meiner Kollegen haushoch überlegen – siehe Ludwig der XVI … Praktische Kenntnisse, wie Knoten und Spleiße, wurden uns von dem 2. Bootsmann B. beigebracht. Der damals noch relativ junge Mann war während seiner aktiven Fahrenszeit auf einem der noch verbliebenen „Windjammer“ angeblich aus dem Mast gestürzt. Seitdem hinkte er und hieß deshalb der „Schleicher“. Es hieß, man müsse sich vor ihm in Acht nehmen. Warum? Das habe ich niemals konkret erfahren. In Acht nehmen musste ich mich vor dem 2. Offz. U., dem war ich wohl etwas zu vorlaut. Mein Platz im „Unterrichtsraum“ war unmittelbar neben dem Eingang zum Niedergang, also der Treppe zum Hauptdeck. Die Tür öffnete sich in den Raum, und ich bekam die jeweilige Person erst dann zu Gesicht, wenn sie bereits eingetreten war. Nun kam es immer wieder vor, dass durch die nur halbgeöffnete Tür, nach vorn hin, eine Meldung durchgegeben wurde und darauf der „Melder“ wieder abzog, ohne die Tür ordentlich zu schließen. Bei so einer Gelegenheit – es war schließlich Winter, und ich saß dann im kalten Luftzug – plärrte ich, echt seemännisch und aus vollem Hals: „Schott dicht!“ Das Gemurmel und Geraune im Raum verstummte abrupt. Am vorderen Ende richtete sich U. auf, wurde länger und länger, nahm mich mit kaltem, unheilschwangerem Blick in die Zange und sagte: „Steininger, du Würstchen…“ Und noch einiges mehr – wie sollte ich auch wissen, dass in diesem Fall der „Melder“ niemand geringerer war als der andere 2. Offizier, Herr B.!
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