„Und wie bewerten Sie normalerweise solche Aussagen?“, interessierte es den Richter.
„Wenn 90% der Befragten eine eindeutige Aussage machen und der Rest das Gegenteil behauptet oder es nicht genau zu wissen vorgibt, neigen wir dazu, der Mehrheit zu glauben. So, wie die Antworten ausfielen, konnten wir nur in Erwägung ziehen, dass Herr Hummel möglicherweise am Tattag sein Auto benutzt hatte.“
„Sie haben doch gewiss auch die Öffentlichkeit um Hinweise zu dem verdächtigen Fahrzeug gebeten”, nahm Mühsam an.
Harald lächelte gequält. „Das liegt auf der Hand, aber es liegt auch auf der Hand, dass es uns nicht erlaubt ist, die kompletten Kennzeichen eines Fahrzeugs preiszugeben. Der Golf des Angeklagten ist kein Unikat. Von der Sorte in der Farbe fahren hunderte durch die Stadt, und dementsprechend wollten auch viele Zeugen ein solches Auto zur passenden Zeit mal am Worringer Bruch, mal in der Nähe des Truckstopps und mal in der Nähe des Geschäfts der Herrn Manherr und Hack gesehen haben. Übrigens wusste keiner der Zeugen, jemals ein komplettes Kennzeichen des von ihnen beobachteten Fahrzeugs zu benennen, geschweige denn eine Beschreibung seines Fahrers zu geben, die auf Herrn Hummel zutrifft.“
Der Richter seufzte. „Herr Hummel, setzen Sie sich bitte zu Ihrem Anwalt. Und Sie Herr Steiner nehmen bitte im Zeugenstand Platz.“
Also doch, dachte Steiner.
„Herr Steiner, lediglich die Schüsse auf Walter Hack sind von Zeugen beobachtet und gehört worden. Mich interessiert nun exakt das, was die Zeugen gesehen haben wollen. Berichten Sie bitte.“
„Insgesamt gibt es acht direkte Zeugen dieser Tat. Man sah Herrn Hack aus dem Geschäft kommen. Er schloss die Tür ab und drehte sich um, wohl um zu seinem Auto zu gehen. Ein Mann trat vor ihm hin, zog eine Waffe, feuerte zwei Schüsse auf ihn ab und rannte davon.“
„Soweit, so gut. Mich interessiert das, was man über den Täter aussagte.“
„Er war etwa 1,75 bis 1,80 Meter groß, trug Bluejeans, braune Schuhe, und einen dunklen, vielleicht gar schwarzen Kapuzenanorak, dazu überlange Handschuhe. Niemand hat sein Gesicht oder seine Haupthaare gesehen. Bei der späteren Gegenüberstellung mit dem Verdächtigen glaubten die Zeugen, Herrn Hummel am ehesten als den Mörder wiederzuerkennen.“
„Am ehesten, Herr Hauptkommissar, was ist das, ‚am ehesten‘?“
„Körpergröße, Statur, Körperhaltung eben.“
„Ist das nicht reichlich subjektiv?“, fragte Ibrahim Mühsam vorwurfsvoll.
„Wir haben nur Fakten zusammengetragen. Für die Anklageerhebung sind wir nicht zuständig. Wenn Sie mich aber um meine persönliche Meinung fragen, ja, das ist subjektiv.“
„Haben Sie denn wenigstens entsprechende Kleidungsstücke bei Herrn Hummel sichern können?“
„Ja, das haben wir bis auf solche Handschuhe.“
Hier meinte sich Klaus Gehör verschaffen zu müssen. „Als ob ich der Einzige wäre, der Bluejeans und einen Kapuzenanorak im Schrank hängen hätte. Da wird es doch wohl noch tausende andere Männer meines Alters in dieser Stadt geben.“
„Sicher, Herr Hummel, aber ich habe Sie nicht um eine Stellungnahme gebeten”, rügte ihn der Vorsitzende. „Herr Steiner, Sie betonten soeben, dass Sie nicht für die Erhebung der Anklage verantwortlich sind. Aber warum, denken Sie, ist ausgerechnet gegen Herrn Hummel Anklage erhoben worden?“
„Da bin ich wohl nicht die richtige Stelle, diese Frage zu beantworten.“
„Ich könnte Frau Wimmer direkt fragen. Aber ich will Ihre Meinung hören.“
Harald schnaubte missmutig. „Die erste Frage, die sich uns bei einem scheinbar kalkulierten Mord aufdrängt, ist die Motivfrage. Die Firma Hack-Manherr hatte keine Schulden, es lagen keine Streitigkeiten mit Kunden oder Lieferanten vor. Die Angestellten waren äußerst zufrieden mit ihren Chefs. Die Nachfragen über die familiären Verhältnisse der beiden Firmeninhaber ergaben nicht die geringsten Unstimmigkeiten. Das Einzige, was bei den Vernehmungen der Angestellten zu Tage trat, war die Entlassung des Herrn Hummel wenige Wochen vor den Geschehnissen. Daraufhin fokussierten sich unsere Ermittlungen auf seine Person. Selbstverständlich haben wir uns auch mit den Alibis der nächsten Verwandten und der Mitarbeiter der Opfer befasst. Die erwiesen sich aber als wasserdicht. Nur Herr Hummels Alibi hinkte. So haben wir es der Staatsanwaltschaft weitergeleitet.“
„Sind Sie selber also gar nicht von Herrn Hummels Täterschaft überzeugt?“
„Ich halte sie nicht für erwiesen.“
„Herr Vorsitzender…“, versuchte sich die Wimmer Gehör zu verschaffen.
„Nein!“, rief ihr Mühsam brüsk und bestimmt zu. „Sie sind jetzt nicht gefragt.“ Er sah Steiner wieder an, während die Antonia Wimmer rot vor Scham anlief. Es war ihr noch nie passiert, dass ein Richter sie so abgekanzelt hatte. In der Regel lassen es die Richter zu, dass sich Staatsanwälte nach Herzenslust austoben können. Ein Unding, das sich aus Kaisers und Führers Zeiten hinübergerettet hat, aber durchaus üblich ist. Diesmal war es eben nicht üblich.
„Herr Hauptkommissar, nehmen wir einmal an, der Angeklagte hat keinen der Morde begangen, wer könnte denn dann die Taten ausgeführt haben?“
„Wäre nur einer von zwei Firmeninhabern umgebracht worden, könnte man auf ein sehr persönliches Motiv tippen. Bei beiden muss man ja schon zwangsläufig von einem Zusammenhang ausgehen, der mit dem Betrieb zu tun hat. Ein irrer Triebmörder kommt wohl kaum in Betracht. Ich muss hervorheben, dass die Stelle, an der Herr Manherr erschossen wurde, nur wenigen Leuten als jene bekannt war, wo er anzuhalten pflegte, um sich zu erleichtern. Einer davon war Herr Hummel, ein anderer war Herr Hack. Ansonsten haben wir niemanden auftreiben können, der darüber Bescheid wusste, was aber nichts bedeuten muss.“
„Wie erfuhren Sie denn davon, dass Herr Manherr diese Stelle am Worringer Bruch zum Austreten zu benutzen pflegte, wenn er zu seinem Kunden nach Dormagen fuhr?“
Steiner war über den Scharfsinn des Richters erstaunt. „Ludo Hack, der Bruder von Walter Hack hat das ausgesagt. Er habe das einmal beiläufig von seinem Bruder gehört.“
„Mit anderen Worten, es könnten doch mehrere Leute von dieser Gepflogenheit gewusst haben”, stellte der Richter fest. Er entließ Steiner aus dem Zeugenstand und rief Gerhard Hummel auf.
„Herr Hummel, es wird Sie erstaunt haben, dass wir Sie nochmals als Zeugen vorgeladen haben. Uns sind einige Aspekte nicht ganz klar”, sprach der Richter beruhigend auf den Vater des Angeklagten ein. „Klar ist, da sind drei Waffen des Kalibers 9 mm und eine nicht genau bestimmbare Menge an entsprechender Munition aus Ihrem Waffenschrank verschwunden. Das wurde festgestellt, als die Kripo Köln bei Ihnen vorstellig wurde. Aber wie lange war es da her, dass diese Objekte Ihres Wissens noch vorhanden gewesen sein müssten?“
Gerhard Hummel wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her. „Das war sehr lange her. Ich bin zwar Sportschütze, aber ich habe sehr wenig Zeit, mich meinem Hobby noch zu widmen. Ich denke, das letzte Mal, dass ich die Waffen bewusst gesehen hatte, war damals vier oder fünf Monate her.“
„Die Schlüssel zum Raum und zum Schrank bewahrten Sie in einer verschlossenen Schublade Ihres Schreibtischs auf. Der Kellerraum und der Waffenschrank sind aber nachweislich nicht mit Drähten, Dietrichen oder sonstigem Gerät aufschlossen worden. Es bleiben also nur noch die Schlüssel aus Ihrer Schreibtischschublade, nicht?“
Hummel gebärdete sich zweifelnd, kam aber zum selben Ergebnis. „Die Schlüssel und die Ersatzschlüssel befinden sich immer in dieser Schublade. Der Schlüssel dieser Lade befindet sich an meinem Schlüsselbund für Haus, Firma und Auto, und den Bund trage ich nahezu laufend bei mir. Ich sehe aber schon, worauf Sie hinaus wollen. Sie wollen wissen, wer sich der Schlüssel aus der Schublade bemächtigt haben könnte.“
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