„Ähm ... äh ... wie ist es mit dieser?“, stottere ich und überreiche ihm die Visa.
Ich merke, wie mir der Schweiß ausbricht. Ängstlich blicke ich zu Svenja. Die hebt wieder nur ihre Schultern. Klar, sie kann mir jetzt auch nicht helfen. Bitte, bitte, bitte, flehe ich deshalb in Gedanken. Wenn es einen Gott gibt, der die Erfindung von Kreditkarten zugelassen hat, dann soll er auch dafür sorgen, dass sie überall akzeptiert werden. Welchen Sinn hätten sie denn sonst?
„Karte nicht akzeptiert“, reißt mich der schnuckelige Verkäufer aus meinen stummen Gebeten.
Auf einmal finde ich ihn gar nicht mehr so süß. Mit solch unschönen Worten kann er jedenfalls nicht bei mir landen.
„Probieren Sie es noch mal!“, verlange ich von ihm. Meiner Stimme haftet bereits ein leichter Anflug von Panik an.
Stirnrunzelnd folgt er meiner Aufforderung, doch das ändert nichts an den Tatsachen. „Es geht nicht, tut mir leid.“
Mir wird ganz schummrig. Das kann einfach nicht sein! Das ist ein schlechter Scherz. Versteckte Kamera. Und Svenja ist der Lockvogel. Darum war sie so teilnahmslos. Wieso kommt denn niemand hinter dem Ständer mit den Negligés hervorgesprungen und ruft: „Willkommen bei der Comedy-Falle!“??
„Aber ... aber das ...“ Es gelingt mir nicht, einen klaren Satz zu formulieren.
„Anscheinend wurden Ihre Karten gesperrt“, informiert mich mein Gegenüber.
Gesperrt? Schon wieder dieses hässliche Wort. Das war's. Er ist endgültig unten durch bei mir.
„Warum sollte man mir zwei Karten gleichzeitig sperren?“, frage ich eine Spur zu hysterisch.
„Das weiß ich nicht“, meint er, obwohl auch er sich dabei nicht sehr glaubwürdig anhört.
Ich zwinge mich, einmal tief durchzuatmen und mich zu sammeln. Gefasst klemme ich mir die Haare hinter die Ohren und bemühe mich um ein Lächeln. „In Ordnung. Ähm ... könnten Sie die Sachen vielleicht für mich zurücklegen?“
Schließlich kommt es auf gar keinen Fall infrage, dass ich wegen ein paar gesperrter Kreditkarten auf den Genuss verzichte, seidene Spitzenunterwäsche am Leib zu tragen.
„Selbstverständlich.“ Freundlich bleibt er wenigstens, im Gegensatz zu dieser Frau bei Luxury-Fashion , das muss man ihm lassen. „Wie lange?“
Solange, bis ich eine Ahnung habe, warum meine beiden treusten Gefährtinnen, Visa und Mastercard, mir ohne Vorwarnung die Freundschaft gekündigt haben.
„Bis Montag? Ginge das?“
„Natürlich. Auf welchen Namen?“
„Mia“, sage ich gedankenverloren. „Äh ... ich meinte, Herrlich. Mia Herrlich.“
Schmunzelnd greift er zu Stift und Papier. „Ach, das ist ja herrlich.“
Echt witzig. Den Spruch höre ich zum ersten Mal ...
Als er meine Begeisterung über seinen lahmen Gag bemerkt, räuspert er sich verlegen und kritzelt meinen Namen auf den Notizzettel.
„Bis Montag um achtzehn Uhr können Sie die Sachen abholen.“
„Vielen Dank. Bis dahin.“
„Bis dann. Und ... vielleicht sollten Sie das Geld zusätzlich bar dabeihaben. Nur zu Sicherheit“, zwinkert er mir grinsend zu.
Zum Glück sind wir schon auf dem Weg nach draußen. Meine glühenden Wangen wären nämlich nicht sehr würdevoll gewesen.
*
„Svenja, ich kapiere das nicht. Ich kann immer mit meinen Kreditkarten bezahlen, und auf einmal verweigern beide ihren Dienst? Da stimmt doch was nicht!“
Wie ein aufgescheuchtes Huhn laufe ich vor einer Bäckerei auf und ab, an der wir Halt gemacht haben, nachdem wir den Unterwäscheladen verlassen haben.
„Jetzt beruhige dich erst mal“, redet Svenja mir gut zu.
„Ich wurde meiner Zahlungsmittel beraubt! Wie soll ich mich denn da beruhigen?!“
„Du wurdest ihrer nicht beraubt. Schließlich hast du die Karten noch. Sie wurden dir allerhöchstens gesperrt.“
„Ja, eben!!“
„Okay, mal langsam. Panik hilft dir auch nicht weiter.“
Endlich bleibe ich stehen und raufe mir mit beiden Händen die Haare. Nun bin ich froh, Svenja mitgenommen zu haben. Sie verfällt jedenfalls nie in Panik. Es könnte ein Meteorit mit Lichtgeschwindigkeit auf die Erde zurasen, und sie würde erst mal eine Berechnung anstellen, wo der Eintritt am wahrscheinlichsten ist. Ich schätze, das liegt an ihrem Job. Meine Freundin ist Steuerberaterin. In ihrer Welt kann man jedes Problem lösen, wenn man nur das entsprechende Steuergesetz oder eine passende Rechenformel kennt. In meiner Welt hingegen kann man alle Probleme lösen, wenn man eine funktionstüchtige Kreditkarte besitzt. Was augenblicklich nicht der Fall ist und somit Anlass genug für mich, die Nerven zu verlieren. Nicht so Svenja. Die Zahnräder in ihrem Gehirn laufen auf Hochtouren und versuchen, eine Erklärung für meine Kreditkartenpanne zu finden. Ich beruhige mich ein wenig. Bestimmt weiß sie, was los ist. Schließlich ist sie vom Fach.
„Svenja, wie kann das sein? Die Bank hat mir nicht wirklich die Karten gesperrt, oder?“
„Offensichtlich schon.“
„Aber wieso?“
„Tja, entweder hast du das Kreditlimit erreicht, oder die Zahlungen, die du mit den Karten getätigt hast, können nicht mehr von deinem Girokonto abgebucht werden, weil du deinen Dispo ausgeschöpft hast“, erklärt sie mir in bester Expertinnenmanier.
Entsetzt starre ich sie an. Kreditlimit erreicht? Dispo ausgeschöpft? Mir wird schwindelig. Habe ich mein Konto zu sehr strapaziert? Bin ich mit meinem Dispo tatsächlich am Ende? Die Wahrheit ist: Ich weiß es nicht. Ich habe seit Monaten kein Online-Banking mehr betrieben, geschweige denn einen Kontoauszug gedruckt. Beim letzten Mal zeigte er mir definitiv zu viele rote Zahlen an, und das dicke Minus vor dem Endbetrag war auch nicht gerade aufmunternd. Mit der nächsten Gehaltsabrechnung wird schon wieder alles im grünen Bereich sein, habe ich mir damals gedacht. Aber danach habe ich mich nicht mehr getraut nachzusehen. Mit Grauen muss ich plötzlich an all die ungeöffneten Rechnungen denken, die ich in meiner Küchenschublade verstaut habe. Bei Gelegenheit wollte ich sie unbedingt einmal durchsehen, nur ist mir irgendwie immer etwas dazwischengekommen. Und die letzten Abrechnungen von MasterCard und Visa? Wie hoch waren die noch gleich? Habe ich sie mir überhaupt angeguckt? Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich habe die starke Vermutung, dass ich auch dazu nicht gekommen bin.
„Nein, das kann nicht sein“, bestreite ich, um mir selbst Mut zu machen. „Soweit habe ich mein Konto nicht überzogen.“
„Bist du dir sicher?“ Svenja durchbohrt mich mit ihrem Steuerberaterinnen-Blick, mit dem sie garantiert jeden Mandaten dazu bringen kann, ihr seine Hinterziehungssünden zu beichten.
Nervös kaue ich auf meiner Lippe herum. „Ziemlich“, entgegne ich vage.
„Mia, du solltest zur Bank gehen und das klären. Die können dir sofort sagen, was der Grund für die Sperrung ist und dich beraten, falls du dein Limit überschritten hast.“
„Auf keinen Fall!“, entfährt es mir.
Ein Gespräch mit der Bank ist das Letzte, wonach mir gerade der Sinn steht.
„Und warum nicht?“
„Es ist Samstagmittag“, wende ich ein. „Die Bank hat sicher geschlossen. Oder die Berater haben längst Feierabend.“
Svenja runzelt skeptisch die Stirn.
„Außerdem kenne ich nicht mal meinen Kontostand“, füge ich hinzu. „Da kann ich doch nicht die Pferde scheu machen.“
Vorwurfsvoll zieht sie die Augenbrauen hoch. „Wie wäre es dann, wenn du mal einen Kontoauszug druckst?“
„Ja, das könnte ich machen“, sage ich gedehnt, während ich das Schaufenster von Dernier Crie mustere, in dem die neue Herbstkollektion ausgestellt ist. Die muss ich mir beizeiten genauer ansehen.
„Na, dann los. Da vorne ist eine Sparkasse.“ Svenja versperrt mir mit einer wegweisenden Handbewegung die Sicht auf das todschicke Strickkleid.
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