„Ich weise auch gleichzeitig darauf hin, dass bis zur erfolgreichen Erziehung der Erdbevölkerung zu mehr Rücksichtnahme auf andere Geschöpfe, zu friedlichem Miteinander und zum Abbau von Vorurteilen möglicherweise Jahrhunderte vergehen werden. Ich bin mir ganz sicher, dass Ihnen diese Aussicht auf die terranische Zukunft schwer im Magen liegen dürfte. Aber ich bin kein irdischer Politiker, der seine Gesprächspartner ständig anzulügen pflegt. Dieser Zeitrahmen ist vermutlich halbwegs realistisch, auch wenn in Ihnen möglicherweise historisch begründbare Sorgen aufkommen dürften. Denn die Sklaverei der afrikanischen Bevölkerung durch Kolonialherren aller Art hat ebenfalls über Jahrhunderte stattgefunden. Die negativen Assoziationen, die sich im Zusammenhang mit meinem auf circa 500 Jahre gesteckten Zeitraum ergeben könnten, sind daher für mich völlig nachvollziehbar.”
Besondere Beachtung fanden auch Knuds sehr liberale Ansichten im Zusammenhang mit Ehe, Familie, Sexualität und Rolle von Mann und Frau. Viele der Wissenschaftler bestürmten auch Knuds Freunde mit Fragen, was sie erlebt hatten, wie die Kundschafter der Föderation sich gegenüber ihnen verhalten hatten. Und auch der Professor musste Rede und Antwort stehen. Er wurde geradezu ausgequetscht, als manche Teilnehmer von seiner - für irdische Verhältnisse - bahnbrechenden Entdeckung hörten.
„Daher, liebe Freunde, nur Mut, was die vor euch liegende Zukunft im Bereich Wissenschaft und Forschung angeht. Auch ich stamme nämlich aus einem politisch zerrissenen Entwicklungsland und habe es geschafft, eine außergewöhnliche Theorie zu entwickeln, die weit über die Leistungen vieler Wissenschaftler aus den Industrieländern hinausgeht. Trotz aller ihrer phantastischen finanziellen Mittel gehört nämlich immer noch ein gehöriges Maß an Begeisterungsfähigkeit, Pioniergeist und Kreativität dazu, um Andere zu überflügeln.
Überdies hatte ich nur sehr geringen Kontakt zu anderen Forschern. Im Gegenteil: Ich wurde von anderen Physikern mitleidig belächelt und als Spinner abgetan, der sich eher um das Fantasy-Genre kümmern sollte als um wissenschaftliche Forschung. Und trotzdem, so haben mir viele der hier anwesenden Forscher versichert, ist die von mir entwickelte Theorie einer der uralten technologischen Eckpfeiler interstellaren Reisens. Wenn auf der Erde irgendjemand im Stande gewesen wäre, die Bedeutung dieser Entdeckung hinreichend zu erfassen und zu würdigen, wäre mir ein Nobelpreis absolut sicher gewesen.”
Allmählich gewannen Knud und seine Freunde mehr und mehr den Eindruck, dass die Menschen, die sie betreuten, endlich wieder mehr Lebensmut fassten. Sichtlich erleichtert bedankten sich viele bei ihnen.
Endlich war es so weit: Nach zahllosen Stunden intensiver Befragungen wandte er sich, wenn auch ziemlich erschöpft, in einer Videobotschaft an die Neubürger der Föderation und überraschte viele damit, wie gut er sich in der kurzen Zeit in die doch sehr variationsreiche und komplexe Materie zumindest oberflächlich eingearbeitet hatte. Vieles von dem, was er gehört hatte beziehungsweise ihm zugetragen worden war, konnte er in die aktuelle Forschungslandschaft einordnen. Es kam sogar so weit, dass er schon wusste, in welche Wissenschaftler- und Expeditionsgruppen er die Menschen auf Grund ihrer spezifischen Kenntnisse jeweils einzuordnen hatte.
Schließlich nahm Knud Kontakt mit dem Leiter der Tarmora Universität auf und übermittelte ihm die Daten der Neuzugänge. Ganz unvorbereitet traf es die Universitätsleitung nicht, denn bei jeder früheren Expedition zur Erde waren Flüchtlinge mit zurückgekommen. Dass es diesmal so viele waren, war jedoch zumindest ungewöhnlich.
Knud spürte rasch an den Mienen der neuen zukünftigen Studenten, dass sie sich aufrichtig freuten, endlich eine neue Lebensperspektive vor sich zu haben. Bereits kurze Zeit später verließen die ersten Gruppen das Schiff und wurden mit Fähren zur Planetenoberfläche transportiert. Knud ließ es sich dabei nicht nehmen, viele der ehemaligen Kundschafter auf der Erde persönlich mit Handschlag oder Umarmungen zu verabschieden. Ebenso herzlich wurden viele der Flüchtlinge von ihm in eine neue Zukunft entlassen. Dabei musste er immer wieder seinen Standort wechseln, da der Abflug von verschiedenen Startbereichen der Intrepid stattfand.
Nachdem der letzte Terraner und die Nachhut der Besatzungsmitglieder das Schiff verlassen hatte, setzte sich Knud ermattet in einem der Hangare auf den Boden. Er war müde und fühlte sich ausgebrannt, während er noch auf seine Schwester und den restlichen Führungsstab wartete, die mit ihm auf den Planeten zurückkehren würden. Alle persönlichen Gegenstände von ihm und seinen Freunden waren inzwischen ebenfalls von Bord geschafft worden.
,Wie auf irdischen Schiffen’, dachte Mouad über Knuds Verhalten: ,Der Kapitän geht als letzter von Bord.’
Endlich erblickte er seine Schwester; Youness dicht hinter ihr. Und - ein Anflug von Unwohlsein überkam ihn - Worssorrgh folgte ihnen.
„Seien Sie gegrüßt, Admiral”, begrüßte Knud ihn förmlich. Seine Abneigung gegenüber ihm war deutlich zu spüren.
„Darf ich sie kurz unter vier Augen sprechen, wie das so schön bei Ihren Freunden auf der Erde heißt?”
Der Xyrchh schlängelte neben Knud über den Boden. Dabei erzeugte er ein leicht schabendes Geräusch, das durch die verhornten Gliedersegmente entstand, als diese über den hitzebeständigen Belag glitten.
Als sie schließlich einige Meter entfernt standen, ergriff Worssorrgh erneut das Wort:
„Ich weiß, dass ich als Formalist verschrien bin und ich in der Vergangenheit viel Wert auf protokollarisch korrekte Begrüßungen und Schiffsübergaben gelegt habe. Sie hätten mich trotzdem willkommen heißen können: Es ist immer noch besser, ohne Gardeuniform mir gutes Gelingen zu wünschen, als sich hier scheinbar klammheimlich zu verdrücken, um mich nicht sehen zu müssen.”
Knud wollte protestieren und etwas entgegnen, aber durch ein knackendes Geräusch in Worssorrghs Heimatsprache, die Knud sich über viele Jahre angeeignet hatte, gab er ihm zu verstehen, ihn ausreden zu lassen.
„Ich habe in der Vergangenheit bereits des Öfteren Berichte über das gelesen, was Sie auf der Erde geleistet haben; wie Sie Probleme auf diesem politischen Minenfeld in den vergangenen Jahren gelöst und was Sie darüber hinaus für diesen Staat erreicht haben. Ich rechne Ihnen auch hoch an, dass Sie sich ausgesprochen gefühl- und verständnisvoll in der Vergangenheit für die Belange vielerlei Lebewesen, egal welcher Rasse diese angehörten, einsetzten. Sie gehen dabei auf eine viel informellere Art, als ich das je konnte, an die Schwierigkeiten heran und lösen sie dabei trotzdem überaus effektiv, um nicht zu sagen elegant.
Das war schon ein ziemliches Meisterstück, wie Sie die Afrikanerin vor wenigen Stunden aus ihrer Notlage befreit haben. Die Beschlüsse, die Ihre Besatzung und Sie getroffen haben, um notleidenden Mitmenschen auf ihrer Welt zu retten, spricht in jeder Hinsicht für ihre menschlichen und sozialen Qualitäten. Ebenso trifft dies für Ihre Entscheidung zu, die Übergabezeremonie sausen zu lassen, um für die Erdlinge den Start in eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Und dass Sie einem Jungen, der, ohne ihn näher zu kennen, als gewissenloser Killer angesehen werden kann, eine zweite Chance zum Leben einräumen und dabei möglicherweise ein hohes persönliches Risiko eingehen, findet meine überwältigende Hochachtung.
Betrachten Sie mich daher künftig bitte als Ihren Freund, nicht als Gegner. Und, ganz im Vertrauen, inzwischen kann ich Ihre Aversion gegenüber dem Tamtam bei der Schiffsübergabe verstehen: Es ist ein alter, unnützer Zopf, der abgeschnitten gehört. Ich habe nicht gewusst, dass Sie auch nichts dafür übrig haben.”
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