Mouad sah seinem Freund in die Augen. Er spürte, wie Knud sich sehr zusammennehmen musste, um vor Freude, Rührung und Erleichterung nicht die Fassung zu verlieren.
„Dieser Anblick des Saphirs ist jedes Mal einfach nur wunderschön, die absolute Erleichterung, nachdem man den aufwühlenden Anflug hinter sich gebracht hat”, flüsterte er.
Auch Mary und Youness standen dicht davor, von Gefühlen überwältigt zu werden.
„Dies wird für alle Zeiten meine Heimat sein...”, flüsterte Knud.
Knud wurde reichlich unsanft aus seinen Erinnerungen gerissen.
„Wie läufst du denn hier herum?”, zischte Astrid ihm plötzlich etwas erbost hinter seinem Rücken zu, während sie den vollkommen aufgewühlten Saleh vor sich her schob, der das planetare Schauspiel und den Anblick der fremdartigen Besatzungsmitglieder immer noch nicht verkraftet hatte.
„Worssorrgh kommt in wenigen Augenblicken an Bord. Zieh dir gefälligst die offizielle Uniform an, bevor du ihm unter die Augen trittst.”
„Sie passt mir nicht mehr und ich kann mich obendrein kaum in ihr fortbewegen, da ich zu viel Sport auf der Erde getrieben habe.”
Fatima mischte sich ein:
„Astrid, dein Bruder sieht unmöglich darin aus, als wenn der Stoff jeden Moment platzen würde.”
„Könnt ihr nicht einfach sagen, dass Knud es geschafft hat, innerhalb weniger Stunden einige tausend Erdlinge auf die neue Umgebung vorzubereiten und er noch dabei ist, die letzten Zweifler unter ihnen über ihre neue Lage zu informieren?”, schlug Yossi vor.
Youness und Astrid überlegten.
„Das dürfte sich machen lassen”, bemerkte Astrid nach geraumer Zeit und immer noch mit einigem Zögern in ihrer Stimme.
„Dann los! Weg mit euch allen, damit sich keiner verplappert, wenn der Admiral hier auftaucht! Ich denke, es ist am sinnvollsten, wenn ihr alle im Quartier von Stephanie Kaba verschwindet. Da wird er euch wohl als letztes vermuten.”
„Danke, Schwester. Und obendrein wird mit völliger Sicherheit dir die Aufgabe zufallen, das Schiff kommandotechnisch zu übergeben und die Sicherheit aller Föderationisten beim Verlassen des Schiffes zu gewährleisten.”
Astrid nickte ihm kurz zu und fauchte ihn barsch an:
„Seht zu, dass ihr endlich Land gewinnt.”
Während sie sich auf den Weg machten, wandten sich Fatima und Mary Saleh und Kanei zu, die mit der fantastischen neuen Perspektive noch stets nicht umzugehen wussten. Kaneis undurchdringliche Mauer, die er als Kindersoldat aufgebaut, mit der er versucht hatte, seine inneren Gefühle zu isolieren und die sein bisheriges Handeln und Tun bestimmte, war nämlich zu nutzlosen Trümmern zerfallen. Bei Saleh war es wohl auch zum Teil Erleichterung, seiner völlig ausweglosen Situation endlich entkommen zu sein. Die syrischen Flüchtlinge hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut an die neue Lage adaptiert: Sie waren nämlich vollends von der föderalen Welt begeistert.
Und so kam es, dass Knud und alle seine Freunde nur über Videobilder an der pompösen Zeremonie teilnahmen, die mit der Schiffsübergabe verbunden war -wobei Fanfarenstöße, Reden und Haltung annehmende Besatzungsmitglieder einander abwechselten. Er sah es an den Gesichtern der Teilnehmer dieses Theaters und spürte zugleich an ihrem nicht vorhandenen Engagement, wie lustlos alle an diesem alten Zopf mitwirkten. Vollkommen überrascht stellte er fest, dass selbst Worssorrgh diesmal offensichtlich wenig Freude an dem ganzen Firlefanz hatte. Er schien sogar durch irgendetwas betrübt zu sein.
,Sei’s drum. Ich habe jetzt keine Zeit dafür’, dachte Knud und wandte sich einer Auswahl der Wissenschaftler zu, die dieses für sie ungewohnte Schauspiel verfolgten, während er Kanei zu Stephanie schob, damit er sich bei ihr für sein brutales Verhalten entschuldigte. Er stellte schon bald zu seiner Beruhigung fest, dass sich die beiden bereits nach kurzer Zeit angeregt unterhielten.
Knud schaltete die Übertragung ab und begann ohne weitere Verzögerung an Hand einer Liste, die ihm Stephanie Kaba eingereicht hatte, die ersten Naturwissenschaftler zu befragen. Er stellte im Verlauf der Kurzgespräche fest, dass unter diesen Menschen zahllose absolut unvoreingenommene Köpfe waren, die brillant und vollkommen logisch denken konnten.
Viele der von den Wissenschaftlern verfolgten Ansätze über nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung der tropischen Böden zur Rettung von Regenwäldern waren durchaus beeindruckend. Maßnahmen zur schonenden Selektion von Pflanzen zur Verbesserung des Ertrages sowie rücksichtsvoller Umgang mit tropischen Hölzern zählten ebenfalls zu den Forschungsaktivitäten der Institute.
Besonders faszinierte ihn eine Kenianerin, die sich ihr ganzes Leben mit der botanischen Vielfalt der afrikanischen Lebensräume beschäftigt hatte. Ihre Kenntnisse über Pflanzengemeinschaften im Zusammenhang mit den davon abhängigen Tieren waren genial.
Knud erfasste rasch, dass diese Forscher insgesamt ein ungeheures Wissen angehäuft hatten, das aber den wissenschaftlichen Mainstream auf der Erde in keiner Weise interessiert hatte. Auch die Virologen hatten einen Schatz an Daten in Bezug zu seltenen Tropenkrankheiten angehäuft, die man gewissermaßen als das Immunsystem des Planeten ansehen konnte: Einmal freigesetzt, besaßen diese Erreger die Fähigkeit, die gesamte Menschheit in kürzester Zeit fast vollständig zu eliminieren.
Von anderen Beratern, die sich bereits seit mehreren Stunden um die Afrikaner gekümmert hatten, liefen überdies Berichte über viele weitere verborgene Talente bei Knud ein. So hatten drei Physiker aus Nigeria, obwohl sie nur spärlichen Kontakt zur so genannten westlichen wissenschaftlichen Welt hatten, bemerkenswerte Kalkulationen über die Natur der Dunklen Materie im Kosmos erstellt. Ihre mathematische Brillanz übertraf manche Leistungen anderer Kollegen in den Industrieländern, die ihre Erkenntnisse nur der experimentellen Mithilfe von sündhaft teuren Synchrotonen bei CERN zu verdanken hatten.
Und immer wieder wurde er nach seiner Aufgabe befragt, was er auf der Erde untersucht hatte, warum die Föderation gerade gegenüber den Armen der Welt ein besonderes Interesse an deren Schicksal hatte.
„Sie müssen unser Engagement auf ihrer Heimatwelt nach einer möglichen Eroberung, um eine Selbstzerstörung abzuwenden, unter diesem Aspekt sehen: Die Mittellosen auf der Erde sind in den meisten Fällen, insbesondere in jungen Jahren, viel besser formbar als die reichen, gesättigten Menschen in den Industriestaaten. Die nämlich sind von der bestehenden industriell geprägten Lebensweise bereits so weit negativ beeinflusst, dass ein Wechsel zu einer anderen Technologiestruktur und -kultur mit unglaublichen Schwierigkeiten verbunden sein wird.”
Knud musste zudem immer wieder auf’s Neue versichern, dass es keinesfalls im Interesse der Föderation lag, die Erde als neues Kolonisationsgebiet aufzufassen, das man ausplündern wollte:
„In diesem Gemeinwesen hat es niemals Sklaverei gegeben. Und dass dunkelhäutige Menschentypen nur auf Grund ihrer Hautfarbe als minderwertig angesehen werden, ist in diesem Staat undenkbar. Denn wenn wir uns wie die weißen oder arabischen Ausbeuter des afrikanischen Kontinents verhalten hätten, würden wir mit Sicherheit nicht mit tausenden anderer Rassen friedlich und respektvoll zusammenleben. Die physiologischen und psychologischen Unterschiede zwischen uns Menschen und den anderen Rassen sind zudem um ein Vielfaches größer als die zwischen Menschen verschiedener Pigmentierung auf der Erde.”
Mit diesen Ausführungen erntete Knud sehr viel Lob und Zuspruch. Aber er war Realist genug, dass ein zentraler Aspekt absolut im Vordergrund stand. Und er wurde nicht müde, ihn besonders zu betonen:
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