Wie schon erwähnt, werden wir nicht nur von einer unüberschaubaren Menge von „Informationen“ überschüttet, sondern auch die Geschwindigkeit des Überschüttetwerdens steigt ständig. Dabei haben wir, hat die Menschheit, etliche Quantensprünge beim Austausch von Beobachtungen, Erfahrungen und Meinungen hinter sich: die Erfindung von Schrift, Druck, Film, Telegraphie, Funk, Telefon, Fernsehen, Internet, Digitalisierung. Gibt es heute noch Möglichkeiten, eine Fälschung vom Original zu unterscheiden? Machen wir uns Gedanken darüber? Haben wir Zeit dazu? Wird es nicht immer schwieriger, der Quelle einer „Information“ nachzuspüren, die Verläßlichkeit einer Quelle zu prüfen, „die Spreu vom Weizen“ zu trennen? Wie bewußt sind wir uns dieser mißlichen Lage? Fragen über Fragen. Wir haben Antworten gesucht und nicht gefunden. Nicht in den Nachschlagewerken, nicht in den sogenannten wissenschaftlichen Büchern. Weil wir auf der anderen Seite mit dem Ist–Zustand nicht klar kommen, beschreiten wir unübliche Wege, stellen unübliche Fragen. Wir wissen nicht, ob wir dadurch auch verläßliche Antworten auf unsere Fragen finden werden. Aber die Tatsache allein, daß wir begonnen haben, unübliche Fragen zu stellen, hilft uns, mit dem Ist–Zustand der Macht-Medien-Manipulation durch „Information“ immer besser klarzukommen. Wie war der Zustand der Macht-Medien-Manipulation früher?
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Wie verläßlich ist der Austausch von Beobachtungen, Erfahrungen, Erkenntnissen und Meinungen unserer Vorfahren in der Kultur der schriftlosen Zeit gewesen? Zu dieser unserer zentralen Frage erzählen uns „Sprach– und Kommunikationswissenschaftler“ so gut wie nichts. Es ist schon so lange her. Außerdem ist es nicht eine wissenschaftliche Nicht–Frage? Haben wir nicht schon immer gelernt, daß wir heute im fortschrittlichsten Zeitalter mit der höchst entwickelten Kultur aller Zeiten leben? Die Gnade bzw. das Glück der Spätgeborenen?
Die fleißigen „Wissenschaftler“ von heute sagen uns aber nichts über die Verläßlichkeit, über die Genauigkeit der Wissensvermittlung in der schriftlosen Zeit im Vergleich zu der Zeit nach der Erfindung der Schrift, bis hin zum nächsten Quantensprung, der Erfindung des Buchdrucks mittels Bleilettern. Wir haben sie auch noch nicht so eindeutig gefragt. Angeblich soll es ja keine Antworten geben, wenn nicht ausdrücklich danach gefragt wird. Angeblich. Das Gesetz des Marktes soll es sein: Keine Nachfrage, kein Angebot. Wenn wir aber – dem Markt zum Trotz – häufig den Eindruck haben, daß uns mehr Antworten gegeben werden als gefragt, dann stimmt möglicherweise etwas mit unserem Apparat der Wahrnehmung nicht. Oder? Und wenn Antworten gegeben werden, bevor überhaupt gefragt worden ist? Was dann?
Auf unsere zentrale Frage über die Verläßlichkeit des Austausches von Beobachtungen, Erfahrungen, Erkenntnissen und Meinungen unserer Vorfahren in der schriftlosen Zeit, sind wir auf unsere Vorstellungskraft angewiesen. Wir stellen uns vor, daß der ursprüngliche Austausch unserer Vorfahren über Laute und Gestik von Angesicht zu Angesicht stattgefunden haben muß. Überall. Ob neben dem Sehen und Hören auch andere Sinnesorgane für diesen Austausch herangezogen wurden, lassen wir an dieser Stelle außer Acht, weil wir uns dies nicht vorstellen können.
In unserem Zusammenhang scheint uns entscheidend zu sein, daß Laute und Gestik der Gattung Mensch schon immer nur eine endlicheBandbreite hatten und immer noch haben. Andere Gattungen haben andere Bandbreiten. Wenn sich Katzen aller Länder ohne wissenschaftlich akribische Stützen verständigen können, müßten das auch Menschen schon immer gekonnt haben und heute noch können. Auch ohne die Stütze durch Sprach– und verwandte „Wissenschaften“. Seit wann gibt es sie überhaupt, diese Wissenschaften?
Wir stellen uns vor, daß unsere Vorfahren ihr Umfeld immer genauer abgestuft wahrgenommen und für den Austausch von Wahrnehmungen und Erfahrungen die Bandbreite von Lauten zur Sprache und die Gestik zur darstellenden Kunst ausgeformt haben. Wir stellen uns ebenfalls vor, daß diese Systematisierung ein langandauernder, mühsamer Weg gewesen ist und ohne die Austauschform von Angesicht zu Angesicht nicht möglich gewesen wäre. Unterschiedliche Beobachtungen, Wahrnehmungen, Deutungen und Meinungen wurden ausgetauscht, besprochen, angeglichen und vereinbart. Einvernehmlich. Fortwährend. Gespeichert wurde der Inhalt im Kopf. Außenspeicher waren und sind bei dieser Austauschform nicht zwingend notwendig. Auch zu unserer Zeit wird diese Austauschform im Alltag hauptsächlich praktiziert. Ohne dauerhafte Mißverständnisse. Deshalb können wir uns auch ohne die so genannten wissenschaftlichen „Stützen“ verständigen. Wäre die Qualität dieser Austauschform nicht überzeugend, würde es zur Ansammlung von Wissen gar nicht gekommen sein, auch nicht das Bedürfnis entstanden sein, über Schriften das angesammelte Wissen auch außerhalb des Kopfes zu speichern. Sicherheitskopien im Außenspeicher. Aber eben Kopien, und nicht als Ersatz für den audiovisuell gestützten Kopfspeicher.
Jeder Austausch von Angesicht zu Angesicht, seien es Erfahrungen, seien es Beobachtungen, seien es Meinungen, seien es Phantasien, seien es Berichte über Geschehnisse, seien es Lügengeschichten, beeinflußt uns, verändert uns und wir wachsen dadurch, in welche Richtung auch immer. Wir hören und sehen uns dabei unmittelbar. Ohne Vermittlung durch technische Hilfsmittel, bzw. Geräte. Wir registrieren die Betonungen der Sprache und wir beobachten die Regungen im Gesicht. Wir sind gegenseitig unmittelbar Fragen und Kommentaren zugänglich. Keine andere Austauschform kann wirkungsvoller sicherstellen, daß der auszutauschende Inhalt unmißverständlich und wahrheitsgetreu übermittelt werden kann.
Wir wissen nicht, seit wann vorsätzlich gelogen wird und seit wann es Fälschungen gibt. Wir wollen uns auch nicht ablenken lassen mit müßigen Fragen wie: seit wann wir lügen, seit wann wir fälschen, seit wann wir aus Eigennutz andere aufs Kreuz legen, oder auch wann und wo zum ersten Mal eine Fälschung als solche später aufgeflogen ist. Für uns ist die Erkenntnis wichtig, daß unvermeidbare, aber doch wahrgenommene Fehler, verursacht durch die Tücke des Objekts, uns immer in die Versuchung führen können, vergleichbare Fehler von anderen unbemerkt einzuschleusen, wenn es uns nützt. Und uns nützen heißt mit anderen Worten natürlich, anderen zum Nachteil gereichen .
Wie groß ist eigentlich das Risiko beim Fälschen? Auf jeden Fall ist das Risiko kalkulierbar. Wahrscheinlich fliegt es gar nicht auf. Wahrscheinlich fliegt es so spät auf, daß der Fälscher nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann. Und sollte die Fälschung doch zeitig auffliegen, wie soll entschieden werden, ob es sich um eine Fälschung handelt oder nur falsch ist, durch die „Tücke des Objekts“, so zu sagen! Selbst wenn alle Wahrscheinlichkeit dafür sprechen würde, daß die Tücke des Objekts auszuschließen ist, gäbe es noch viele Möglichkeiten sich herauszureden. Wer kennt das nicht? Wer erinnert sich nicht an die vielen „black-outs“ der Regierenden jüngster Zeit?
Nun: die gesellschaftliche Kategorie, einem nutzen – dem anderen schaden bzw. Vor– und Nachteil setzt Verteilung der begehrten Objekte voraus. Seit wann? Wir wollen es nicht untersuchen. Aus schon bekannten Gründen. Warum sollen wir uns auf den Holzweg der Erkenntnisgewinnung begeben? Also bleiben wir bei Verteilung. Und alles was begehrt ist, wird auch knapp. Warum nicht bei den an sich gleich zu verteilenden begehrten Objekten, uns in dem Maße begünstigen, wie es auch durch die „Tücke des Objekts“ hätte passieren können. Wo ist das Risiko? Fest steht, daß schon seit einigen Jahrhunderten gefälscht und gelogen wird. Mit steigender Tendenz. Gestützt durch die rasend schnell wachsenden, vermarktbaren Technologien. Im Zeitalter der Digitalisierung ist die Manipulation eines Originals nicht mehr feststellbar. Diese Technik macht es möglich, daß beliebig viele Kopien des Originals und Kopien von Kopien ohne Qualitätsverlust hergestellt werden können. Nicht eine gewaltige Kulturleistung? So wird uns diese Technologie verkauft. Sie leistet noch mehr. Sie öffnet der Fälschung Tür und Tor. Denn im Klartext heißt diese Technologie nämlich, daß ein Dokument, ein Bild, ein Klang in Ziffern aufgelöst, beliebig oft neu geschrieben und wieder in Dokument, oder Bild oder Klang umgewandelt werden kann. Natürlich können unterwegs einige Ziffern verloren gehen, oder auch verschwinden oder aber auch hinzugefügt werden. Am Ende steht eine Endanfertigung und sie steht eben, ausschließlich und endgültig. Hauptsache sie ist schön und vermarktbar. Fortschritt eben!
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