Acharyya Verlag
für kritische Wissenschaft
Zu diesem Buch
Dokumentarische Erzählung einer Geschichte aus einem bewegten Leben, die sich zwischen 1957 und 1987 in Deutschland und in Indien ereignete. Eine in der Alltagssprache erzählte Widerstandsgeschichte. Akteure sind Deutsche, Inder und andere.
Die Geschichte ermöglicht Einblicke in die Verhältnisse der deutschen und der indischen Gesellschaft, in die moralische Befindlichkeit der Elite, und in die Art und Weise des Wissenschaftbetreibens und vieles mehr. Aspekte, die in beiden Ländern noch nicht thematisiert sind.
Der Autor Prodosh Aich ist geboren 1933 in Kalkutta. Schulbesuch und Studium der Philosophie in Indien. Studium der Ethnologie, Philosophie und Soziologie in Köln. Lehrte Soziologie in Köln, Jaipur und Oldenburg. Hat neben Buchveröffentlichungen und Aufsätzen auch viele Rundfunkfeatures und Dokumentarfilme gemacht.
Prodosh Aich
Preis des
aufrechten Gangs
Lebenserinnerungen
eines Universitätslehrers
aus den Jahren 1957–1987
Februar 2001
Acharyya Verlag, Oldenburg (in Oldenburg)
© 2001 Prodosh Aich
Umschlaggestaltung: [FEINDESIGN] Oldenburg (in Oldenburg)
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-0028-9
Ein unerwarteter Anstoß
Prolog
Die verborgenen Gesichter einer Universität
Jaipur ist auch anderswo, und Mathurs sind überall
Eine „orientalische“ Überraschung in einem undurchsichtigen Stellvertreterkrieg
Und wie mahlen die Mühlen des „Okzidents“?
Zeit zum Auftanken, Zeit zum Nachdenken
Ein Alptraum in Köln
Über die Befindlichkeit der deutschen Elite und von ihrer Moral
Kleine Unwägbarkeiten des Lebens
Von der Moral der deutschen Gerichtsbarkeit
Worauf die uneingeschränkte Despotie deutscher Professoren ruht
Wer sind die Studierenden?
Das ist, was die Universität in Indien produziert
Im Zeichen „Chinatowns“
Epilog
Vor kurzem begegne ich einem Kopten aus Ägypten, wie ich in Deutschland und auch Gesellschaftswissenschaftler. Er hat Lehrverbot in Deutschland, weil er als Nichtmuslim die arabisch erzählte Geschichte über Palästina für wahrheitsnäher hält als die zionistisch erzählte. Karam Khella heißt er. Ich finde ihn sympathisch. Wir tauschen Meinungen, Erfahrungen aus. Eher beiläufig erwähne ich, daß einem Verfasser nicht seine veröffentlichten Bücher wirkliche Erkenntnisse über die moralische Befindlichkeit, den Standort einer Gesellschaft bringen, sondern seine unterdrückten Bücher, die Art und Weise ihrer Unterdrückung, die Skrupellosigkeit der im öffentlichen Leben stehenden Akteure, ihre Verlogenheit, ihre doppelte Moral, der zunehmende Verfall der Werte bei ihnen. Ich habe, erzähle ich ihm, zwei solche Bücher. Und: Stelle dir vor, sage ich ihm, nicht nur der Inhalt der unterdrückten Manuskripte ist nach wie vor aktuell. Aktueller denn je ist das Drum und Dran der Geschichten, vor allem, wie sie unterdrückt wurden. Und die Verhältnisse haben sich wesentlich verschlechtert. Aber wen interessieren solche Geschichten?
Da fragt mich dieser „verrückte“ Kopte aus Ägypten unvermittelt, ob ich wisse, wie viele Menschen in Deutschland leben, die keine Deutschen sind? „Weißt du“ , setzt er nach, „daß diese Menschen deutsch sprechen und deutsch lesen, wie du und ich? Diese Menschen haben einen Anspruch darauf, daß du diese Geschichten der Unterdrückung, die auch ein subtiler Ausdruck des Rassismus sind, erzählst. Die deutschsprachige Literatur, die deutsche Sprache kann, darf nicht den Deutschen allein überlassen bleiben. Und diese Menschen werden immer mehr. Sie haben einen Anspruch darauf, daß du Geschichten wie diese erzählst. Damit sie in diesem Land ihre Standorte bestimmen lernen.“
Ja, Karam Khella hat mich nachdenklich gemacht. Ich lebe in Deutschland länger als die meisten Deutschen. Aufgewachsen bin ich in einer anderen Kultur. Nichts war mir in Deutschland selbstverständlich und vertraut. Vom ersten Tag an hatte ich eine kulturelle Distanz zu den hiesigen Verhältnissen. Trotzdem, oder gerade deshalb, habe ich mich hier nicht wenig eingemischt. Jede mich unmittelbar betreffende Ungereimtheit hat mich zum Widerspruch provoziert, nach dem Motto: nicht mit mir. Ungereimtheiten, die die meisten Deutschen widerspruchslos schlucken oder aber nicht einmal wahrnehmen. Die unvermeidliche Folge dieser meiner Haltung sind große und kleine Konflikte gewesen. Nicht zwischenmenschliche Unstimmigkeiten. Nein. Konflikte mit Institutionen bzw. mit einzelnen Vertretern der Institutionen. Je höher ihre Stellung innerhalb der Hackordnung ist, umso weniger scheinen sie sich um die verfaßten Werte ihrer eigenen Institutionen zu scheren. Die Deutschen nehmen diesen Tatbestand ohne sichtbaren Widerspruch hin. Aus der Erfahrung des Alltags heraus: „Die da oben sitzen eh am längeren Hebel.“ Ich hatte keine Gelegenheit, solche Alltagserfahrungen zu verinnerlichen. Mein Erfahrungsschatz ist angefüllt mit Konflikten. Mein Erfahrungsschatz ist ein anderer und reicherer. Und dokumentierbar.
Es ist unfaßbar, wozu viele Vertreter demokratisch verfaßter Institutionen fähig sind, zu welchen Tiefen sie sinken können, wenn sie in die Ecke geraten, wenn ihnen die Argumente ausgehen. Dann vergessen sie das öffentlich geraspelte Süßholz und die gedroschenen Phrasen. Soll ich diesen Erfahrungsreichtum mit ins Grab nehmen? Darf ich es? Ich habe in diesem Land 45 Jahre gelebt. Entsteht daraus die Verpflichtung, so frage ich mich, meinen Erfahrungsschatz zumindest als Baustein für die bitter notwendige Sozialgeschichte anzubieten?
Also blättere ich in den Unterlagen meiner ersten unterdrückten Forschungsarbeit, die einige Umzüge überstanden haben. Sie elektrisieren mich. Wie habe ich diese Geschichte so lange und so gründlich verdrängen können? Ja, dieser Karam Khella! Ich erkenne, daß die ganzen Geschichten eher noch aktueller geworden sind.
Ob auch der öffentlich häufig geleugnete Rassismus bei den vielen meiner Auseinandersetzungen und bei der Unterdrückung zweier meiner Bücher eine Rolle gespielt hat, ist zweitrangig. Klar, es fällt den Angehörigen der „blond-blauäugig-weiß-christlichen“ Kultur (Erläuterungen dazu folgen im „Prolog“) schwer, damit zu leben, daß auch andere denken können, daß andere Menschen Kulturen hervorgebracht haben, denen die kompromißlose Ausbeutung, die Unterdrückung, die Entwürdigung anderer und der Völkermord nicht eingefallen sind. Daß es Angehörige solcher Kulturen nun im Zentrum ihres Machtbereiches in vielen Bereichen ihnen gleich tun, sie auch überragen, ist schwer verdaulich. Mag alles sein. Aber fällt die Art und Weise der Unterdrückung der eigenen Leuten anders aus?
Also habe ich mich überzeugen lassen, die Geschichten meines ersten unterdrückten Buches zu erzählen. Sie spielen sich in und um Universitäten ab, sind diese doch wichtige Facetten der Sozialgeschichte schlechthin. Denn die Universität ist eine prägende gesellschaftliche Einrichtung. Überall.
Sozialgeschichten werden selten erzählt. Solche über Universitäten noch nie. Wer verfügt schon über das belegbare Wissen, um Geschichten aus Universitäten zu erzählen? Auch systematisches Sammeln von nicht mehr belegbaren kleineren Geschichten wäre wichtig. Aber wer soll sie sammeln, wer soll sie aufschreiben? Ist es für die Karriere förderlich, solche Geschichten zu veröffentlichen?
Sozialgeschichten sind Geschichten über soziale Konflikte. Nun gibt es in allen Konflikten Sieger und Besiegte, Gewinner und Verlierer. Die Gewinner und Sieger ziehen es eher vor, über die wirklich angewandten Mittel zu schweigen. Was zählt, ist der Sieg. Sieger verdienen eben den Sieg. Heldenhaft, versteht sich. Und wer soll sich für die Geschichte des Verlierers interessieren? Deshalb werden so selten Sozialgeschichten geschrieben.
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