Jeden Morgen fragte Hetty kurz an, ob Interesse an dem Ausflug bestünde, den sie heute machen würde und wenn nicht, dann zog sie alleine los.
»Rate mal wo ich bin?« Keuchend saß Hetty, mit dem Handy in der Hand, auf einem momentan äußerst bequemen Stein.
»Nach deinem Stöhnen zu urteilen, bist du gerade auf einem Berg!« Kai klang reichlich amüsiert.
»Und was für einem! Bin gerade im Porungurup Nationalpark und soeben auf den Devils Slide gestiegen. Jetzt sitze ich mutterseelenalleine hier oben und genieße die fantastische Aussicht! Um mich herum sind lauter schneeweiße Strohblumen – so etwas habe ich noch nie gesehen.« Hetty seufzte vernehmlich ins Telefon. »Ich wünschte, du wärest hier.«
Kai ließ sich nicht auf ihre sehnsuchtsvollen Worte ein, sondern kam sofort auf den Punkt zu sprechen, der ihm in ihrer Erzählung unliebsam aufgefallen war. »Wieso bist du alleine? Weißt du nicht, wie gefährlich es ist, den Teufelsrücken ohne Begleitung zu besteigen. Wo steckt denn eigentlich diese Britney?«
Nachdem Hetty ihren Bericht beendet und sich damit gleichzeitig den ganzen verdrängten Frust von der Seele geredet hatte, war Kai gar nicht erfreut. »Das Ganze gefällt mir nicht, sag dieser Dame sie soll in den Wind schießen und komm sofort zurück.«
Kaum hatte er den Satz fertig ausgesprochen wusste er, dass er genau das Verkehrte gesagt hatte. Er schüttelte den Kopf und nannte sich selbst einen Narren.
»Nein, ich zieh das durch und damit Basta!« Hetty musste natürlich sofort kontern, sie ließ doch nicht einfach Kai über ihr Leben bestimmen.
Wenn er dachte, sie sei eines dieser braven Hausweibchen, dann hatte er sich geirrt. Sie wusste selbst, was sie wollte. Und auch wenn sie eigentlich viel lieber bei ihm gewesen wäre, befehlen brauchte er ihr rein gar nichts. Sie war schließlich nicht seine Angestellte.
Kai versuchte zu retten, was zu retten war. »Ich will dich ja gar nicht von deiner Reise abbringen. Aber rufe mich bitte an, wenn du wieder heil von dem Buckel runter bist und versprich mir, zumindest solche Touren nur zu machen, wenn andere Leute mit unterwegs sind!«
Und inzwischen schlauer geworden, fügte er hinzu. »Ich mache mir nämlich Sorgen um dich Prinzessin. Schließlich will ich dich wieder heil und gesund zurück haben.«
Damit hatte er die Wogen wieder geglättet und sie konnten ganz normale unsinnige Dinge austauschen, die alle Frischverliebten von sich geben. Als er auflegte, unterdrückte er einen Fluch. Wenn er etwas geschickter gewesen wäre, hätte er sie sicher überreden können, die Reise abzubrechen. Kai starrte das Telefon an und seufzte. Es dauerte noch ewig, bis sie zurückkommen würde und die Tage zogen sich fürchterlich. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Und vor allem die Nächte!
Hetty saß gerührt auf ihrem Berg und schniefte mal kurz vor sich hin. Wenn der wüsste, wie sehr er ihr fehlte! Und wenn er erst gewusst hätte, wie gern sie eigentlich seiner Aufforderung zum Zurückkommen gefolgt wäre! Aber mit seinem ewigen Kommandoton brachte er sie immer dazu auf die Barrikaden zu gehen und ausgerechnet das Falsche zu tun. Sie verzog den Mund. Denn dass diese Reise nicht das Richtige gewesen war, stand inzwischen für sie mehr als felsenfest.
Nachdem sie den kaischen Beruhigungsanruf erledigt hatte, humpelte sie zum Camper zurück. Hatte es ihr doch ausgerechnet auf den letzten paar Metern die Füße weggezogen. Außer schmutzigen Klamotten und einem leicht verstauchten Knöchel war ihr aber nichts passiert.
»Jetzt weißt du, wie recht Kai hatte, kein Mensch weit und breit und wenn dir das weiter oben passiert wäre, hättest du echt Probleme gekriegt.« Ihr Verstand versuchte sich wieder einmal mit einer unerwünschten Moralpredigt.
»Ich weiß ja, ich weiß ja! Und werde es nicht wieder tun.«
Kai hatte sie natürlich nur gesagt, dass sie wieder heil am Boden sei. Sie verbiss sich ein Aufheulen, als sie den Fuß aus Versehen verkantete. Heil ist relativ!
Kapitel 9
Nach einer Mobilatkur und einer ausgedehnten Ruhepause am Pool, war der Knöchel zwei Tage später wieder wie neu. Und Britney war auch wieder einmal bereit etwas Neues zu sehen. Also fuhren sie in den Torndirrup Nationalpark. Der lag nur einen Katzensprung von Albany entfernt – nämlich direkt daneben. Er war sozusagen der Hausnationalpark von Albany. Dementsprechend viele Leute waren hier auch unterwegs – Hetty konnte tatsächlich mehr als zehn Autos an einem der Aussichtspunkte ausmachen. Für hiesige Verhältnisse ein Menschenauflauf. Allerdings hatte sich der Tourismusverband wie üblich auf die hundertfache Menge vorbereitet und die Parkplätze entsprechend bemessen. Also gab es als einziges Problem, die Qual der Wahl, an welchen Platz man sich am besten hinstellen sollte.
Vom Stony Hill hatten sie eine wunderbare Aussicht auf den Prinzess Harbour und auf die andere Seite der Bucht. Sogar Albany konnte man in der Ferne erspähen und die feine weiße Linie, die ihren Strand kennzeichnete.
Doch richtig sehenswert und interessant waren vor allem das Gap und die natürliche Brücke, die sie anschließend anfuhren. Die beiden Felsformationen lagen nebeneinander und waren ein tolles Fotomotiv für jeden Besucher. Man stand hoch über dem Ozean, der seine Wellen mit Wucht an die hellgrauen Klippen klatschte. Der Sprühnebel der Gischt reichte weit über den Rand hinaus und sorgte dafür, dass die dort stehenden Menschen gründlich durchnässt wurden.
Am offiziellen Aussichtspunkt des Gaps konnte man sich direkt über einem Einschnitt im Felsen auf eine Plattform stellen und mit wackligen Knien über das Geländer in die Tiefe schauen. Dort brachen sich die herein rollenden Wellen mit einem lauten Donnern und die Zuschauer zuckten hin und wieder zurück, wenn das Wasser gar zu bedrohlich anstieg. Von hier aus hüpften und kletterten sie vorsichtig über ein paar flache Felsen zur natürlichen Brücke, die ihrem Namen entsprach und einen felsigen Bogen bildete, der sich über einen kleinen Einschnitt in den Klippen spannte. Auch dort schwappte das Meer malerisch durch die Gegend und lieferte genügend Anreiz erneut den Fotoapparat zu zücken.
Britney war ausnahmsweise wirklich begeistert und nutzte die Möglichkeiten ihrer Digitalkamera weidlich aus. Als dann auch noch ein Brautpaar samt Fotograf auftauchte, war sie gar nicht mehr zu halten. »Guck mal die Braut – hat die nicht ein wunderschönes Kleid an?«
Hetty hatte im ersten Moment auch nur auf das Brautkleid geschaut, aber als ihr Blick dann auf die Fußbekleidung fiel, war sie nicht bloß perplex, sondern sprachlos. Die Frau trug tatsächlich weiße Westernstiefeln zu ihrem Tüllkleid!
»Der Bräutigam sieht ganz gut aus!« Britney hatte den Mann ausgiebig gemustert, der einen ganz passablen, schwarzen Anzug trug und als guter Durchschnitt einzuordnen war.
»Nicht mein Geschmack.« gab Hetty als kurze Antwort zurück. Wenn sie diesen Null-acht-fünfzehn-Typen mit ihrem Kai verglich, dann trat da Quasimodo gegen den König der Nacht an.
Ihre Sarkasmusabteilung hielt sich mit einer mäßigenden Bemerkung zurück, denn was wahr war, war wahr.
Britney hatte ihre Bemerkung verdutzt zur Kenntnis genommen und hakte jetzt etwas neugierig geworden nach. »Der sieht doch echt ganz nett aus?«
Hetty antwortete ausweichend. »Ich stehe mehr auf blond!« Das entsprach zwar nicht direkt der Wahrheit, war aber als Begründung hervorragend geeignet.
Sie hatte sich bei dieser Aussage einfach an ihr früheres Beuteschema gehalten, das vorwiegend auf blond, blauäugig und braungebrannt ausgelegt gewesen war. Deshalb hatte sie auch Kai in die Irre führen können, der sehr bald mitbekommen hatte, dass sie anscheinend ausgerechnet Männer attraktiv fand, die das Gegenteil von ihm waren. Hetty lächelte vor sich hin.
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