1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Sehr geehrter Herr Maschael,
leider finde ich ihr Verhalten äußert merkwürdig und ich sehe nicht den geringsten Grund, warum ich ihnen Kontrolle über mich und meinen Freund geben und ein privates Gespräch aufzeichnen sollte.
Mit freundlichen Grüßen,
Erst hatte er seinen Namen unter den kurzen Brief gesetzt, doch gleich darauf strich er ihn wieder durch und machte ihn gänzlich unkenntlich. Er wollte vermeiden, dass Herr Maschael ihm einen Strick daraus drehte. Schließlich hätte er so seine Unterschrift gehabt. Und diesem Lehrer traute er alles zu. Als er ein paar Sekunden lang nur noch so getan hatte, als würde er schreiben, um den Anschein zu erwecken, Herr Maschaels Anweisung zu folgen, faltete er den Zettel sorgfältig zusammen und gab ihn ab. Höchst zufrieden nahm der Lehrer ihn entgegen und entließ Leo, ohne sich das Papier in seiner Gegenwart noch genauer anzusehen.
Unendlich froh, wieder draußen zu sein, rannte Leo auf sein Zimmer und entlud seine Wut auf diesen ekelhaften Mann, indem er die Tür mit aller Kraft zuschlug. Jonas, der noch immer auf dem Bett saß, erschrak und zuckte zusammen. ,,Und?“, flüsterte er besorgt und sah Leo an, als wäre es möglich, dass sein bester Freund soeben zum Tode verurteilt worden wäre. Doch das ließ Leo nur noch mehr aus der Haut fahren. ,,Warum flüsterst du?“, rief er aufgebracht. Und dann fing er an zu schimpfen: ,,So eine falsche Schlange...“ ,,Psst!“, beunruhigt legte Jonas den Finger an seine Lippen, ,,Ich flüstere, damit Herr Maschael uns nicht wieder belauschen kann.“, erklärte er mit Nachdruck. ,,Ach was!“, rief Leo und macht eine wegwerfende Handbewegung, „Soll er doch. Dann muss ich ihm nicht ins Gesicht sagen, was ich von seinem Verhalten halte!“ Auf einmal klopfte es an der Zimmertür. ,,Siehst du!“, zischte Jonas panisch, ,,Genau das habe ich befürchtet.“ Als die beiden öffneten, stand zu ihrem großen Glück kein Herr Maschael vor der Tür.
„Oh.“, sagte Leo und wurde bleich, als er die Schulleiterin erkannte. Es war ihm peinlich, dass sie möglicherweise gehört hatte, wie er über einen ihrer Kollegen geschimpft hatte. Jonas schien ähnlichen Gedanken nachzuhängen. ,,Haben wir etwas falsch gemacht?“, fragte er, vor Aufregung über beide Ohren rot. ,,Aber nein!“, rief Professor Ferono und lachte. Es war kein künstlich aufgesetztes Lachen wie bei Herrn Maschael, sondern ein echtes, freundliches. Die beiden Jungen entspannten sich sichtlich. Dann fuhr die Schulleiterin fort: „Aber weshalb die Schuldgefühle? Ihr habt doch nicht etwa etwas in eurem Zimmer kaputt gemacht, oder?“, fragte sie und zwinkerte ihnen dabei kaum merklich zu. ,,Nein!“, war die geeinte, erleichterte Antwort der Jungen. ,,Also ihr beiden“, sagte sie dann etwas ernster, ,,ich muss kurz mit euch reden.“ Ohne darüber nachzudenken, öffnete Jonas die Zimmertür noch ein Stück weiter, um Professor Ferono Einlass zu gewähren. Doch die schüttelte verschmitzt den Kopf. ,,Oh nein, nicht hier. Lieber in meinem Büro.“ Erklärend fügte sie hinzu: ,,Wisst ihr, die Wände haben Ohren.“ Bei diesen Worten deutete sie auf eine Person, die weiter hinten unauffällig im Schatten des Flures stand und verdrehte genervt die Augen. Als die beiden Jungen erkannten, wer dort stand und sie mit zusammengekniffenen Augen und ebenso geformtem Mund verfolgte, mussten sie grinsen. Scheinbar waren sie nicht die Einzigen, die auf Herrn Maschael schlecht zu sprechen waren. So kam es, dass Leo an diesem Tag zum dritten Mal in das Büro eines Lehrers gerufen wurden. Er stellte fest, dass er, wenn es ihm an seiner alten Schule genauso ergangen wäre, wahrscheinlich schnellstmöglich gewechselt hätte. Schweigend folgten sie der netten Frau die Treppe hinunter und durch die Eingangshalle. Dann bogen in den Gang ein, durch den man auch gehen musste, wenn man zu Herr Maschaels Büro zitiert wurde. Allerdings bogen sie statt rechts links ab. Bald darauf standen sie vor einer Tür mit einem riesigem Schlüsselloch. Professor Ferono holte einen dazu passenden schweren, goldenen Schlüssel aus ihrem roten, mit Goldfaden besticktem Umhang heraus und öffnete. Vor ihnen lag jetzt ein langer Gang. Am anderen Ende stoppte eine Tür ihren Weg, die noch robuster aussah als die Tür zum Speisesaal. Kurz bevor sie sie erreichten, schien der Lehrerin etwas einzufallen. „Hat Sigor euch eure Stundenpläne eigentlich schon gegeben?“, fragte sie die beiden Jungen. Diese sahen sich verwirrt an und schwiegen.
„Ähm… Wer?“, fragte Jonas, als sie noch immer keine weitere Erklärung bekommen
hatten. ,,Ach ja!“, lachte Professor Ferono und griff sich an die Stirn, „Ich Esel! Ich meine natürlich Herrn Maschael.“ ,,Achso.“, grinste Jonas und antwortete wahrheitsgemäß: „Ja, er hat sie vor unsere Zimmertür gelegt.“ An der Tür angelangt, fing Professor Ferono an, mit einem großen Schlüsselbund herumzuhantieren, an dem viele kleine Schlüssel hingen. Einen von ihnen steckte sie in das merkwürdig geformte Schlüsselloch. Mit einem leisen Klicken sprang die Tür auf. Jonas und Leo sogen überrascht die Luft ein, als sie das Innere des Raumes sahen. Eigentlich hatten sie eine ähnlich spartanische Einrichtung wie in Herr Maschaels Büro erwartet. Stattdessen schlug ihnen frische Luft und der Geruch von Blumen entgegen. Wer diesen Raum betrat, konnte sich sofort ein Bild davon machen, welche Professor Feronos Hobbys waren: Bücher und Gärtnern. Neben turmhohen Bücherregalen türmte sich exotisch aussehendes Grünzeug in dem großen, unübersichtlichem Raum. Professor Ferono bat die beiden verdutzen Jungen herein und führte sie flink zu einem hinter Pflanzen versteckten, schön verziertem Schreibtisch und einem dazu passendem Stuhl. ,,Ich bin gleich wieder da.“, verkündete sie dann, nachdem sie so unauffällig wie möglich einen Bücherstapel nach dem anderen vom Schreibtisch gewischt hatte, der daraufhin jeweils mit einem lauten Knall zu Boden gefallen war. ,,Ich hole euch noch zwei Stühle.“ In diesem Moment durchfuhr Leo eine Welle der Sympathie für Professor Ferono. Sie war freundlich und dennoch ein wenig merkwürdig, wie vermutlich alle Lehrer hier, aber das auf eine gut Art und Weise. Außerdem schien sie seine Abneigung gegenüber Herrn Maschael zu teilen. In diesem Moment fing Jonas an, an einer seltsamen Pflanze herumzufummeln, woraufhin diese blitzschnell eine winzige Reihe von Zähnen entblößte und zuschnappte. Doch ehe Jonas sich verletzen oder irgendetwas zerstören konnte, kam Professor Ferono mit zwei Stühlen im Schlepptau um die Ecke. Diese verteilte sie um dem Schreibtisch herum und forderte die beiden Jungen auf, sich zu setzen. Als auch Jonas es endlich geschafft hatte, seinen Stuhl in eine Lage zu manövrieren, in der er nicht ständig nach vorne kippte, fing Professor Ferono an zu sprechen. „Es ist mir nicht entgangen, dass ihr heute bereits zwei kleine Unterredungen mit Herrn Maschael hattet.“, stellte sie klar und sah die beiden ernst an, „Ich bin mir nicht sicher, was mit ihm los ist, aber bitte fallt weder auf ihn herein noch lasst euch von ihm zu Opfern machen. Ihr müsst nicht viel darauf geben, was er so redet. Um die Wahrheit zu sagen, ist vieles davon sowieso gelogen.“ Sie schluckte und fuhr dann fort: ,,Er war ziemlich sauer, als er deinen Brief gelesen hat, Leo. Ich verstehe, warum du das gemacht hast, trotzdem muss ich dich leider bitten, zu versuchen, Herrn Maschael so wenig wie möglich zu reizen. Immerhin ist er dein Lehrer und wenn du es dir mit ihm verscherzt, könnte das ganz schön üble Folgen für dich haben.“ „Aber...“, fing Jonas verdutzt an, ,,er hat uns bestraft und wir haben keine Ahnung, warum. Das darf er doch nicht, nur weil er Lehrer ist!“ „Natürlich nicht.“, sagte Professor Ferono niedergeschlagen, „Ich werde auf jeden Fall versuchen, einen Weg zu finden, um dich vom Nachsitzen zu befreien.“ ,,Glauben sie eigentlich...“, Leo zögerte. Er war sich nicht sicher, ob er mit der Schulleiterin über dieses Thema sprechen durfte, aber am Ende überwog das Vertrauen. ,,Glauben sie eigentlich, dass Herr Maschael irgendetwas mit diesen Verschwörern zu tun hat?“ Verwundert zog Professor Ferono die Stirn in Falten. „Aber nein.“, sagte sie bestimmt, „Diese Leute wollen nicht mehr, dass der Glaube in Iria so einen starken Einfluss hat und haben ihn selbst verloren. Aber Herr Maschael ist Christ.“ ,,Obwohl er lügt?“, fragte Leo skeptisch. „Hast du noch nie gelogen?“, lautete die Gegenfrage. ,,Was ich euch noch fragen wollte“, fuhr sie dann fort, ,,Hat er euch eigentlich gebeten, ihm alles zu erzählen, was Professor Hermann und ich sagen?“ „So in etwa.“, bestätigte Leo.
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