Quellen
Quellen und Autor
Texte: Copyright by Lea Loseries Umschlaggestaltung: Copyright by Lea Loseries Coverbild: Copyright by pixabay.com
Bibelverse: Copyright by Neues Leben Übersetzung Verlag:
Lea Loseries Kleinenwieden 35
31840 Hess.Oldendorf
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Für Josia
Das Rauschen des Meeres hörte sich in seinen Ohren an wie Donnergrollen. Vor
seinem geistigen Auge sah er die riesigen Wassermassen, die sich an den Felsen
brachen und wieder neu sammelten. Unter seinen Füßen spürte er den körnigen Sand.
Kleine Steinchen, über Jahrtausende oder gar Jahrmillionen hinweg zu kleinstem
Staub verarbeitete Partikelchen. Und das alles sollte mithilfe des Meeres vor ihm
geschaffen worden sein. Er spürte, wie seine Füße an Halt verloren und er nach
hinten taumelte. Nur ein ganz kleines bisschen. Dann hatte er sein Gleichgewicht
wiedergefunden. Vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen. Doch da kam auch
schon die nächste Welle und spülte einen Teil des Sandes unter seine Füßen hinfort,
sodass er tiefer und tiefer sackte und sich seine Füße allmählich im Sand vergruben.
Bis zu den Knien war ihm das klare, blaue Meerwasser gespritzt, dessen Salz er
schon beim bloßen Einatmen der Luft schmecken konnte. Er wartete. Er atmete tief
ein und aus. Zu früh, um die Augen zu öffnen. Er wollte das hier genießen, er wollte
einfach da sein, ohne sich über das Gedanken zu machen, was er gehört hatte. Was
die Leute schon alles reden… Sein Hirn hatte er mittlerweile so gut wie
ausgeschaltet. Es war, als würde er im Stehen schlafen. Durch diesen
tiefenentspannten Zustand, in den er gefallen war, hatte er jegliches Zeitgefühl
verloren. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon mit geschlossen Augen an dem
kleinen Badestrand an der Westküste von Sousiz gestanden und dem Atem der
Wellen gelauscht hatte. Wenn da überhaupt etwas war, um das er sich gerade
Gedanken machte, dann war das seine Sorge um die Möwen, die hoch über seinem
Kopf kreisten. Bei meinem Glück, dachte er sich, kriege ich am Ende noch einen auf
den Kopf gekackt. Nach und nach schien es Jonas, als würde das Donnern der Wellen
in unregelmäßigen Abständen immer lauter und lauter werden, bis er schließlich
bemerkte, dass er nicht nur unten, bis zu seinen Knien, sondern am ganzen Körper
nass war. Seine Beine waren durchweicht vom salzigen Meerwasser, sein Oberkörper
von dem Regen, der urplötzlich in Sturzbächen auf ihn herab prasselte. Es war schon
den ganzen Tag lang verdächtig schwül gewesen und so war es eigentlich nur eine
Frage der Zeit gewesen, bis das nächste Sommergewitter hereinbrach. Jonas öffnete
die Augen. Die ehemals ruhige See lag jetzt vor ihm wie ein sich gegen den Himmel
aufbäumendes Tier. Dort oben zuckten grellweiße Blitze und fanden in den
gewaltigen Wassermassen ihren Tod. Die Wolken waren dunkellila verfärbt und alles
in allem sah es aus, als wäre diese Landschaft einzig und allein dazu kreiert worden,
sich an ihr zu erfreuen und über sie zu staunen. Allerdings hatte dieses Schauspiel
seinen Preis. Langsam wurde es ungemütlich. Der Regen war nun nicht mehr
lauwarm, sondern kalt. Und Jonas wurde auch kalt. Kurzentschlossen wandte er den
Wellen den Rücken zu und rannte über den Strand auf ein kleines, mit Holzbalken
erhöhtes und an der Westseite mit einer Eiche gesäumtes Ferienhaus zu. Seine
Schwester sah ihn schon von Weitem. Lisa stand auf der überdachten Terrasse, die
Haare offen und in ihrem Sommerkleid, das nun vom Wind aufgeblasen wurde,
sodass sie aussah wie ein lila Luftballon. Mit ihrem Kopfschütteln kommentierte sie
Jonas Wiederkehr, der auf dem Weg zum Haus noch einmal ausgerutscht und mit
dem Gesicht voran in den nassen Sand gefallen war und sich jetzt mühsam die paar
Stufen zu ihr hoch quälte. „Du stehst da jetzt schon seit einer Stunde. Das Gewitter
wütet aber schon seit fünfzehn Minuten. Hast du das denn nicht gemerkt?“, fragte sie
statt einer Begrüßung. Jonas zuckte mit den Schultern. Es war ihm ziemlich egal.
Sollte sie doch denken, was sie wollte. Ihm für seinen Teil tat es gut, seinen Körper
endlich einmal wieder zu spüren. Die Kälte, die langsam in seinen Gliedmaßen hoch
kroch, die durch den Sand aufgescheuerten Knöchel und die pitschnasse Kleidung,
die an seiner nackten Haut klebte. Es war die willkommene Abwechslung zu den
endlosen Shoppingtouren, Museumsbesuchen oder heißen, faulen Strandtagen, die
hinter ihm lagen. Endlich mal wieder Natur erleben, dachte er. Es erinnerte ihn an
früher. Genauer gesagt an das letzte Schuljahr, als er mit seinen Freunden Hedwig,
Leo und Marie von einer brenzligen Situation in die andere gestolpert war und etliche
Nächte unter freiem Himmel, fernab der Zivilisation, verbracht hatte. Da war das hier
etwas ganz anderes. Seine Tante, Professor Tyra Ferono, Schulleiterin eines
berühmten Internats namens Firaday, hatte ihm und seiner Schwester versprochen,
mit ihnen in den Urlaub zu fahren. Und zwar wie richtige Touristen. Vorbei mit
Abenteuern und Aufregung. Entspannung wir kommen. Mittlerweile war Jonas in das
Wohnzimmer des kleinen Häuschens getreten, das an einer Seite riesige Fenster hatte,
durch die er das Naturschauspiel draußen weiter beobachten konnte. Er schnappte
sich ein auf dem Sessel liegendes Handtuch und rubbelte sich damit ab, ohne sich
vorher auszuziehen. Dann öffnete er den Küchenschrank und schnappte sich ein paar
große, einzeln verpackte Schokoladenkekse. Er wollte sich gerade mit seinen immer
noch triefend nassen Klamotten auf das Sofa fallen lassen, als Lisa ihn missbilligend
musterte. „Du wirst fett, wenn du weiter so viel futterst.“, sagte sie mit einem
unwilligen Stirnrunzeln. „Bin ich eh schon.“ Jonas legte die Kekse jetzt beiseite und
ging Richtung Bad, um sich nun doch noch neue Kleidung anzuziehen. „Geht´s dir
eigentlich gut?“, rief Lisa ihm noch hinterher. Sie machte sich Sorgen um ihren
kleinen Bruder. Zwar hatte die Erholung der letzten Wochen ihm gutgetan, aber da
war etwas, das ihm schwer zu schaffen machte. Es nagte an seiner sonst so
fröhlichen, offenen Art und hatte ihn nun schon so manches Mal dazu getrieben, sich
stundenlang zu verkriechen ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Früher wäre
das undenkbar gewesen. Damals war er ein richtiges kleines Plappermaul gewesen.
Das war er auch noch immer, aber irgendwie schien er sich zu verändern. Er nahm
nicht mehr mit der gleichen Begeisterung an Familienausflügen teil wie noch vor ein
paar Jahren. Manchmal hatte sie den Eindruck, er würde am liebsten alleine irgendwo
hingehen, ohne sie und seine Tante noch weiter ertragen zu müssen. Auf ihre Frage
erhielt Lisa auch nach einigen Sekunden der Stille wie selbstverständlich keine
Antwort. Noch so eine Macke, deren Entwicklung sie ihm nie zugetraut hätte. Jonas
hatte sich da in irgendetwas verfangen…
Ein paar Stunden später, als das Gewitter längst vorüber war und auch die nassen
Fußabdrücke, die er überall in der Wohnung verteilt hatte, nicht mehr zu sehen
waren, saß Jonas mit seiner Tante und Lisa am Tisch und öffnete einen an ihn
adressierten Umschlag. Die beiden Frauen aßen Mittagessen, aber er hatte keinen
Hunger. Zumindest nicht auf Salat. Der Brief, den er in den Händen hielt, stammte
von Leo, seinem besten Freund. Staunend strich Jonas über die Anschrift des
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