„Dann piß halt einfach in die leere Flasche, Einstein!“, lachte Big Tam. Doch Tam war ein gutmütiger Typ, zumindest gegenüber seinen eigenen Leuten, meistens, und Fila-Frank wußte, daß Tam ihm den Gefallen tun würde.
In diesem Moment aber mußte Big Tam auch schon bremsen. Vor ihnen war ein Rückstau, eine lange Kolonne von Fahrzeugen, die auf dieser wundervollen Autobahn, des Führers brillanter Schöpfung, gerade einmal fünfzig Stundenkilometer fuhren. Da war irgendein hemdenlupfender Fritz unterwegs, den selbst Lastwagen mit wütendem Hupen überholen mußten und dabei die Überholspur blockierten.
Nach ein paar Minuten schließlich erreichte Big Tam die Übeltäter, ein junges Paar in einem silbernen Einer-BMW. Die Fahrerin hatte langes, rötliches Kraushaar, sah ein bißchen aus wie eine Irin, eigentlich gar nicht mal so übel. Der Beifahrer war eine sonnengebräunte Schmalztolle, ein Guido oder ein Kanake, jedenfalls ein Ölauge. Ja, hatte der denn den Arsch offen, oder was? Ließ diese dumme Fotze ans Lenkrad und saß seelenruhig daneben, während sie den dritten Gang nicht fand? Fila-Frank fuhr die Seitenscheibe herunter und machte die Wichser-Geste, Mick der Grieche im Beifahrersitz vorne tat es ihm nach, zeigte ihnen das umgedrehte V-Zeichen.
Hehe, die Fotze hatte ganz schön dumm aus der Wäsche geguckt.
Rund einen Kilometer weiter wiederholte sich das Spielchen: Schleicher voraus. Unglaublich! Noch ein schwanzlutschender Straßenstricher von einem Fritz wagte es, sich in dieser extremen Notsituation absichtlich zwischen Fila-Frank und die nächste Toilette zu stellen. Das war ein gezielter Affront, eine eindeutig auf Fila-Frank gemünzte, persönliche Provokation.
Fila-Frank drehte fast durch vor Wut, wog die leere Wodkaflasche in der Hand. Diesem verdammten Bastard würde er es zeigen!
Bald erreichte Big Tam auch diesen Missetäter, einen alleinreisenden Mann mit Hemd und Krawatte am Steuer eines anthrazitgrauen Audi A4. Dieser Mongo starrte stur geradeaus, ließ ihre obszönen Gesten einfach an sich abperlen. Als die Wagen gleichauf waren, warf Fila-Frank mit aller Kraft die Wodkaflasche.
Die Flasche zerbarst an der A-Säule des Audis mit einem Knall in tausend Stücke, leider ohne Schaden anzurichten, aber wenigstens hatte sie die Aufmerksamkeit des Fahrers erregt, ihm gezeigt, daß es dort draußen Leute gab, die so eine Fahrweise nicht kritiklos hinnehmen würden.
Der Audifahrer verriß das Lenkrad nach rechts, fing den Wagen gerade noch rechtzeitig wieder, bevor er von der Fahrbahn abkam, und starrte erschrocken zu ihnen herüber, seine Augen weit aufgerissen und sein Mund ein großes, rundes O.
Fila-Frank und Mick der Grieche stutzten, starrten daraufhin ebenso erschrocken zurück: Verdammt, den Typen kannten sie doch! Das war doch der Kurier, Wyss! Dave hatte ihnen ein großes, gestochen scharfes Portraitphoto von dem Kurier gemailt. Der Audifahrer war definitiv der Typ auf dem Photo.
„Tam, gib Gas, gib Gas! Los, Mann, fahr!“, schrie Mick der Grieche.
Folgsam beschleunigte Big Tam, fragte dann erst verdutzt: „Was ist denn los? Warum so ein Aufstand, nur weil eine Flasche vom Himmel gefallen ist? Ist doch nix passiert.“
„Nee, nicht wegen der Flasche. Das in dem Audi da war unser Mann, der Kurier.“
„Echt? Wieso fährt der denn wie eine alte Oma? Da ist doch was faul hier!“
Just in diesem Augenblick tauchte vor ihnen der dritte Schleicher dieses Morgens auf, ein metallicblauer Ford Focus, wieder mit einem jungen Paar darin, einem vollbärtigen Hünen von einem Ziegenschänder am Steuer und einer unscheinbaren Dunkelhaarigen mit Brille als Beifahrerin. Diesen Wagen überholten sie ganz ohne obszöne Gesten, so verdattert waren sie noch von ihrer unerwarteten Begegnung mit Wyss.
JoJo, der einzige Farbige der Gruppe und der einzige, der nicht nur als Konsument mit Drogen zu tun hatte, beantwortete Tams Frage: „Das kann ich dir sagen. Der will checken, ob er verfolgt wird. Ich kenne einen ziemlich großen Dealer in Nottingham, kennst du auch, Darryl Higgs, der macht das auch immer. Bevor er eine größere Lieferung abholt, fährt er eine Runde Schneckentempo auf der Autobahn. Jeder, der ihn währenddessen nicht überholt, ist von der Schmiere.“
„Willst du damit sagen, die rothaarige Schlampe dahinten und der Eierkopf mit dem Bart sind Bullen?“
„Keine Ahnung, was ich damit sagen will. Aber was soll das denn sonst? Wenn das Sicherheitsleute wären, würden sie wohl kaum so großen Abstand zu dem Kurier halten, außer Sicht bleiben. Ein Wachmann, der einen nicht sehen kann, ist ja wohl so nutzlos wie ein Betonfallschirm.“
„Stimmt. Außerdem hat Dave tausend Eide geschworen, daß der Kurier keine Wachleute bei sich hat. Obwohl, wie Bullen sahen die auch nicht aus. Die Brillenschlange in dem Wagen vorne, so sieht doch keine Hunnen-Polizistin aus. Ist dir das mal aufgefallen, daß alle Polizistinnen in diesem Land wie Heidi aussehen, mit blauen Augen und blonden Zöpfen? Mann, ich sage dir, das ist kein Zufall, das ist ein verdammtes genetisches Experiment der Hunnen, ein Massenexperiment mit geklonten Polizistinnen.“
Alle lachten. Dann fragte JoJo: „Okay, Leute, was sollen wir jetzt machen?“
Big Tam antwortete: „Jetzt suchen wir uns eine Tanke, machen dort Rast und schauen später noch mal, ob der Kurier immer noch Begleitung hat. Der fährt uns nicht weg, wir wissen ja, wo er hin will.“
Nachdenklich schlug Mick der Grieche vor: „Wenn diese Typen da nachher nicht verschwunden sind, könnten wir sie auch einfach verscheuchen. Nur so eine Idee.“
Die anderen grölten, JoJo applaudierte voller Hohn, doch Mick hatte nicht ganz unrecht: Der Frankfurter „Waffenmeister“, den Dave irgendwie von Bangkok aus aufgetan hatte, hatte ihnen das komplette Rundum-Wohlfühlpaket geliefert. Neben vier Sturmhauben, einer Auswahl von Tyvek-Lackiereroveralls und Quarzsandhandschuhen in verschiedenen Größen, einem großen Tütchen wirklich ausgezeichneten Speeds als Mutmacher und den Waffen, die sie tatsächlich für den Überfall benötigen würden – Taser, Totschläger, Reizgas, sowie Kabelbindern und einem Schuhbeutel zum Fesseln des Opfers – hatte ihnen der fürsorgliche Waffenmeister auch noch zwei Kalaschnikow-Sturmgewehre in die Sporttaschen gepackt: gebraucht, ziemlich verschrammt, aber ganz offensichtlich scharf und mit voll geladenen Magazinen. Keiner der vier Bushwhackers hatte jemals zuvor ein Sturmgewehr in den Händen gehabt, aber zum Verscheuchen von irgendwelchen ominösen Autobahn-Schleichern wären diese Knarren perfekt.
Sie näherten sich einem Aral-Rasthof. Da der Tank des Mercedes noch fast voll war, fuhr Big Tam auf den Parkplatz. Der Wagen stand noch nicht ganz, da sprang Fila-Frank schon heraus und pißte mitten auf den Parkplatz, mit einem Strahl wie ein Pferd. Endlich erlöst! Während sich die anderen lachend auf den Weg zur Toilette machten, um sich auch mal mit dem Pink Champagne ein bißchen die Nasen zu pudern, trottete Fila-Frank dann zum Supermarkt der Tankstelle, Wodka und Bier nachkaufen.
Urs Wyss kämpfte immer noch darum, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, als er die ersten Hinweisschilder für den Aral-Rasthof erspähte. Gottlob, ein Rastplatz! Er brauchte dringend eine Pause, er mußte sich auffangen, sich ein bißchen sammeln. In seinem gegenwärtigen Zustand konnte er unmöglich einem der hochmögenden UCS-Kunden unter die Augen treten, schon gar nicht seiner Lieblingskundin, der alten Frau Kourmansky.
Der Angriff mit der Flasche hatte ihn zutiefst erschüttert. Was sollte das? Das mit dem Langsamfahren auf der Autobahn war doch nur eine Vorsichtsmaßnahme, reine Routine, er machte das immer so, immer vor dem ersten Kundentermin. Natürlich gefiel das den Leuten nicht, verständlicherweise, auch für ihn selbst war das ein Chrampf. Er nahm es auch niemandem übel, wenn man ihm dabei den Vogel zeigte – aber eine Flasche zu werfen, das ging doch wirklich zu weit. Oder? Doch! Da hätte ja sonstwas bei passieren können! Was waren das bloß für seltsame Leute gewesen? Richtige Rabauken, aber in einem Mercedes unterwegs, dessen Kennzeichen mit DN-H begann, also einem Hertz-Mietwagen, und sehr proper angezogen. Sportiv, aber proper. Normalerweise waren solche Leute nicht so angriffig. Aber die? Die waren verrückt, regelrecht gemeingefährlich waren die ja! Genau wie der Tschumpl in dem metallicblauen Kleinwagen, der da gerade im Renntempo überholte. Ja, waren denn heute nur Irre auf den Straßen unterwegs? Hatte das Asyl heute Ausgang?
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