»Vielleicht sind die gar nicht so dumm?«
»Natürlich, die sind dümmer wie 500 Meter Feldweg! Dazu kommt ihre soziale Inkompetenz. Das ist eine echt üble Kombi! Jedenfalls lohnt es sich nicht, sich überhaupt einen Namen zu merken. Die sind bis Ende Schuljahr sowieso weg.«
Tassilo sah sie an.
»Du kommst ganz schön arrogant rüber!«
Melli schaute ihm ins Gesicht.
»Nein, nur ehrlich.«
Er grinste.
»So kann man das natürlich auch nennen. Aber man muss ja nicht unbedingt alles aussprechen.«
»Bist du gekommen, um für diese Hühner ein gutes Wort einzulegen? Das kannst du dir sparen! Die sollen mich in Ruhe lassen und im Unterricht ihre Klappe halten, dann ist gut. Und jeder, der mit denen gemeinsame Sache macht, bekommt den gleichen Text!« Melli fauchte Tassilo böse an.
»Du bist schneller auf 180, als man schauen kann.«
Tassilo war aufgestanden.
»Aber es ist dein Kleinkrieg, viel Spaß daran.«
Und schon war er fort. Melli verwünschte für einen kurzen Augenblick ihre spitze Zunge. Sie konnte sich einfach nicht bremsen, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Aber diese Gewitterziegen waren kein bisschen nett zu anderen. Außer der andere war ein Kerl, auf den sie abfuhren. Melli wuchs da echt der Kamm und konnte einfach nicht die Klappe halten ... eigentlich wollte sie das auch gar nicht. Sie hatte schon früh gelernt, solche Assi’s verbal in Schach zu halten. Seit Tassilo aufgetaucht war, fühlte sich Melli allerdings persönlich angegriffen. Und das war ihr bis jetzt noch nie passiert. Bisher hatte sie solches Dummvolk einfach ihr Gift versprühen lassen und dann gezielt zurückgeschlagen. Das ging ihr sonst immer am Allerwertesten vorbei. Aber Tassilo brachte sie aus dem Gleichgewicht, falls sie so etwas überhaupt besaß! Und das gefiel ihr gar nicht! So in Gedanken versunken lief sie an die Sporthalle.
Für den Sportunterricht war die Klasse getrennt. Jungen und Mädchen hatten ihre eigenen Sportlehrer in verschiedenen Hallen. Frau Sterk war eine sehr junge Lehrerin. Die ist mindestens eineinhalb Kopf kleiner, als ich, dachte Melli erstaunt. Dazu war die blonde, kleine Frau sehr schlank, fast zierlich. Da bin ich gespannt, ob die sich bei diesen Zicken durchsetzt, dachte Melli, als diese ihnen die Umkleidekabine aufschloß. Melli mochte Sport generell. In Leichtathletik, Volleyball, Handball und Basketball war sie sehr gut, gerade letzteres hätte sie gerne in einer AG gespielt. Aber keine der Schulen, auf denen sie bisher gewesen war, hatte das im Angebot,
Das Umkleiden ging nicht ohne dumme und abwertende Kommentare der Presswurst-Gang ab. Sie lästerten über die Figur von bestimmten Mädchen und lachten sich künstlich halbtot über die Unterwäsche, die diese an hatten. Sie waren dabei so fies, dass Melli die Klappe nicht halten konnte.
»Nur wer von sich selbst ablenken muss, hat es so nötig, über andere ab zu lästern.«
Melli sprach laut und deutlich, sodass man sie nicht überhören konnte!
»Ihr würdet euch die Finger ablecken, wenn ihr nur halbwegs so aussehen würdet, wie die anderen hier! Habt ihr zuhause die Spiegel abgehängt oder seid ihr tatsächlich so verblödet, dass ihr glaubt, dass irgendjemand eure fetten Hintern toll findet?«
Die Mädchen der Presswurst-Gang waren es scheinbar nicht gewohnt von einer Einzelnen attackiert zu werden. Sie waren erst einmal so vor den Kopf geschlagen, dass keine von ihnen eine passende Antwort hatte. Diese Schreckminute nutzte Melli, um mit ein paar anderen in die Turnhalle zu kommen, wo sie von Fr. Sterk schon erwartet wurden.
Langsam trudelten alle ein und die Mädchen aus der Presswurst-Gang musterten Melli mit bösen Blicken, was diese mit ihrem arrogantesten Gesichtsausdruck kommentierte. Sollten sich die sich ruhig aufregen, die würden an ihr zu knabbern haben, dachte sie grimmig. Frau Sterk wollte, dass sich jeder zuerst vorstellte, danach gab es einige Aufwärmübungen. Dann schlug die Lehrerin vor, dass die Mädchen sich in zwei Gruppen aufteilten, um etwas Handball zu spielen. Das ist ja fett cool, dachte Melli. Erste Stunde Sport und ihr Wunschprogramm wurde gespielt. Super!
Eine Viertelstunde später war sie nicht mehr dieser Meinung. Die Presswurst-Gang war komplett in die gegnerische Mannschaft verteilt worden. Kaum war das Spiel angepfiffen, rächte sich diese für jeden Satz, den Melli an sie verteilt hatte. Immer, wenn Melli im Ballbesitz war, wurde sie von einem der Mädchen grob gefoult. Frau Sterk pfiff dann zwar ab und verwarnte die Mädchen nachdrücklich, doch nach zwanzig Minuten rammte ihr Kristin den Ellbogen in den Magen. Frau Sterk brach das Spiel ab, sagte etwas von einem ›Nachspiel‹ und kümmerte sich um die etwas blasse Melli. Nach fünf Minuten schickte Frau Sterk Melli nach draußen, sie solle einfach an die frische Luft gehen oder wenn sie mochte, gleich mit dem nächsten Bus nach Hause fahren. Sie sei für den Rest des Sportunterrichts befreit.
Melli bekam deswegen nicht mit, wie Frau Sterk die Mädchen aus der Presswurst-Gang zusammenfaltete. Sie hätte ihre anfänglichen Überlegungen sofort revidiert. Die Sportlehrerin mochte zwar jung sein, aber das hieß nicht, dass sie sich nicht auf ganzer Linie durchsetzen konnte. Die Fouls wurden hart geahndet und Kristin, die Melli den Haken in den Magen verabreicht hatte, musste sich bei der Rektorin melden. An dieser Schule gab es ein geregeltes Gewaltverfahren und Kristin war mit diesem Vorfall schon mittendrin. Natürlich hatten alle Mädchen der Presswurst-Gang versucht, sich aus der Sache herauszureden, doch da die restliche Klasse berichtete, wie fies es schon beim Umziehen in der Kabine zugegangen war, und Frau Sterk alle Fouls gut beobachtet hatte, gab es keine Ausflüchte.
Als Melli zuhause ankam, war sie noch ganz mitgenommen. Sie hätte sich eigentlich denken können, dass sich diese Kristin und ihre Clique rächen würden. Und die Art und Weise war genau deren Niveau. Das sind alles ganz linke Tüten, dachte sie, aber deswegen würde sie sich sicher nicht einschüchtern lassen.
Mum’s Auto stand nicht vor der Tür. Sie war bestimmt noch in Sachen ›gesunde Ernährung‹ unterwegs. Melli war es recht. Sie ging in das Badezimmer im Erdgeschoss und ließ sich die Badewanne voll laufen. Zitronenmelisse soll beruhigen, ach ja und Cajeput-Öl ist gut bei Bauchschmerzen. Ihre Mum hatte eine große Sammlung von ätherischen Ölen, welche mit einer Art Grundöl, das als Emulgator diente, gemischt wurde. So konnte sich jeder seine Bade-Mischung selbst herstellen, eine sehr tolle Sache. Melli zog sich aus und legte sich langsam in die Badewanne. Schon lustig, dass man von warmem Wasser immer eine Gänsehaut bekam. Was nicht so lustig war – die Kratzer auf ihren Armen von ihrem Kampf mit der Tanne brannten wie Feuer. Sie tupfte ihre Arme mit einem Handtuch ab und nachdem die Kratzer nicht mehr brannten, genoss sie die Ruhe und den exotischen Duft ihres Badewassers – bis die HausTür aufgeschlossen wurde.
»Melli?«
Oh nein, warum durfte sie nicht einfach in Ruhe vor sich hin träumen.
»Bin in der Badewanne.«
Anita Großmann platzte ins Badezimmer
»Bist du krank? Was ist mit dir los?«
Melli erzählte ihrer Mum die halbe Geschichte, also ab den Vorfällen in der Umkleidekabine. Ihre Mum zog die Stirn kraus.
»Kann es sein, dass du diesen Mädchen Anlass gegeben hast, sich so zu benehmen?«
Melli fühlte sich ertappt.
»Nachdem diese doofen Hühner jeden beleidigen und sich ständig über andere lustig machen, habe ich ein paar Sätze gesagt.«
»Na ja, dann ist mir das klar. Ich finde das auch gut, wenn du dich einsetzt, wenn es unfair zugeht, aber paß bitte auf dich auf. Wie viele Mädchen sind in dieser Clique?«
»Sechs: Kristin ist die Schlimmste, die hat mir auch den Ellenbogen in den Bauch gerammt, aber die anderen sind auch furchtbar drauf! Ich habe mir die Namen noch gar nicht alle gemerkt. Eine heißt Nadine, dann ist da noch eine Braunhaarige, die heißt glaube ich Cordelia. Dann wären da noch Anna und Jaylen. Das ist, glaube ich, keine Deutsche. Die ist etwas überpigmentiert.«
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