Über dieses Buch:
Personenbezogener Liebeswunsch, mit seinen irreführenden Sehnsüchten, poltert durch verschiedene Lebensbereiche und zwei Generationen, verflochten mit Edda, Tochter eines ehemaligen Offiziers der deutschen Wehrmacht.
Die attraktive Edda jongliert sich durch ihre Weltfremdheit, gelenkt und beschwert von festen Vorstellungen und prägenden Erinnerungen aus der Kindheit. Ein zart erwachtes Streben, nach geistiger Freiheit und innerer Gelassenheit, tritt dagegen an. Zu ihren amüsanten bis tragischen Bemühungen um Gleichgewicht zählt der Einblick in die Welt des Yoga, sowie ihr Integrationsversuch in ein traditionell geprägtes, spanisches Dorfleben im Hinterland der Costa Blanca.
Oft verschwimmt die Grenze zwischen Gut und Böse. Wille, Energie und Bewusstsein werden in ihrer Gegenwärtigkeit ebenso deutlich wie die Kraft der Impulse aus dem Unterbewusstsein.
Gabriele Plate, Landschaftsarchitektin und Bildhauerin, geboren im Juni 1950, in Deutschland. Langjährige Aufenthalte in Peru, Indien, Brasilien. Die Autorin lebt in Spanien.
„Edda oder der faule Apfel im Zwischenraum“ ist ihr erster Roman.
Impressum
Copyright: © 2015 Gabriele Plate
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN:
Umschlagbild und Gestaltung: Gabriele Plate
GABRIELE PLATE
Edda
oder der faule Apfel im Zwischenraum
ROMAN
Für
Hella, Nati und Nicoline
Er lagerte allein auf Island herum. Zwischen dunkelgrauen Felsen und Pferdeäpfeln gebettet, schlief er in seinem kleinen, leuchtend gelben Iglu Zelt und berauschte sich an dem eventuellen Aufspüren der Berechenbarkeit des Unvorhersehbaren. Er stemmte sich mit Genuss dem starken Wind entgegen, ohne sich als Widerstand zu empfinden.
Ruben setzte sich niemals willkürlich einer Gefahr aus, er war kein Draufgänger, übermäßig mutig oder dem Heldentum zugetan. Er gab einfach nur dem Ungewöhnlichen die Gelegenheit ihn zu treffen, wobei er glaubte, auch hier den Maßstab setzen zu können. Aus diesen Zusammenkünften gewann er Kraft und Erkenntnis, die er in seine Abenteuer des Alltagslebens zu mischen wusste. Ruben war ein wortkarger Mensch, der selten verzieh und sich ungern erklärte. Er strahlte gesunde Einsamkeit aus, selbst wenn er sich mitten in einer großen Gesellschaft befand. Das war von Zeit zu Zeit der Fall, wenn er Vorträge auf internationalen Kongressen über seine Arbeit hielt. Hier handelte es sich um sachlichen Austausch, um Ergebnisse, die von ihm zur Weitergabe erlangt worden waren. Dafür schienen ihm Worte angebracht.
Er gab selten etwas aus seinem Herzen preis. Ruben lebte und erlebte bewusst, und er wusste Intrigen oder Psychoterror zu ignorieren. Ebenso unempfänglich war er für jede Art von Manipulation, er reagierte auf derartige Einrichtungen nicht. Er war hilfsbereit und aufmerksam und das Gegenteil, wenn man ihn dazu antrieb, wenn es von ihm erwartet wurde. Ruben war ungewöhnlich wach.
Er wurde auch geliebt, und jeder Liebende erfuhr schmerzhafte Grenzen, wenn er verlangte. Ruben kannte die Liebe, er verdrehte sie aber nicht, machte sich nicht zum Sklaven ihres Missbrauchs. Er war nicht greifbar, selbst wenn man ihn umarmte, besonders dann nicht. Und, er war eine jener seltenen Gestalten, welche Sehnsüchte in seinem Gegenüber weckten, ohne sich selber an dieser Art von Macht zu berauschen. Er verachtete solche Reflexionen auf ihn nicht, doch schien er sie auch nicht unbedingt zu befürworten. Er vermittelte das Gefühl, niemanden wirklich nötig zu haben, niemanden zu brauchen. Die Vorstellung jemanden zu beengen oder zu behindern war ihm unangenehm.
Er beklagte sich niemals, glaubte an sein Abenteuer auf der Welt zu sein, an seine Individualität und Freiheit. Er hatte weltliche Ziele, besaß eine konstruktive Neugier, kannte keine Langeweile, und, er pries den Fortschritt der Wissenschaft in jeglichem Bereich. Über alle Maße. Er vertraute dieser und seinem Verstand mehr als allem anderen, gab sogenannten wissenschaftlichen Erkenntnissen vor jeder Ahnung den Vorrang, er genoss sie bis in die Wurzeln der Poesie hinein. Das konnte Ruben, auch Poesie war für ihn logisch.
Die Mär vom vorherbestimmten Karma, belächelte Ruben, er glaubte sein Schicksal lenken zu können. Logik und stoffliches Bewusstsein waren seine Begleiter. Er gestand Nicht-Beweisbarem keinen Millimeter Lebensraum zu, doch es begeisterte ihn die Vorstellung, in einer Gleichung mit vielen Unbekannten zu leben, diese er zu lösen sein Leben widmete. Er war ohne Zweifel im Reinen mit sich selbst. Den einzigen Anflug von Furcht kannte er nur, aus dem Gedanken heraus, einer ihn vielleicht, eines Tages befallenden Demenz. Sonst war ihm das Gefühl von Angst fremd. Nicht vor Tod noch Teufel, diesen wichtigen Werkzeugen des Experimentes Leben. Das war seine Sicht, und er hielt sich mit Konsequenz daran. Ruben war sich treu, und er glaubte nicht zu lügen.
Dem allgemein üblichen Vorgang traumatischen Erlebnissen Raum im Unterbewusstsein zu gewähren, die Zügel somit einem unberechenbaren inneren Machthaber zu überlassen, verweigerte sich Ruben. Bei seinen erfolgreichen Bemühungen, das Unterbewusstsein zu überlisten, dem Vielleicht-Seelenkummer keinen Zugang zu gewähren, handelte er stets mit bewundernswerter Disziplin an sich. Doch damit konnte er sich letztlich nicht auch noch vor den Traumata seiner Mitmenschen schützen, sich ebenfalls gegen den Zugriff der Leichen aus fremden Kellern wappnen. Eine dieser sich plötzlich aufbäumenden Leichen sollte Ruben zum Verhängnis werden.
Es war schon dunkel, beinahe stockfinster. Sie hatte in ihrer verborgenen Baumhütte, hoch oben in der Buche, die Zeit verspielt, verträumt, das was sie am liebsten tat und am besten konnte. Nur das Spiel erschien ihr wirklich, und sie wusste die Zeit mit dieser Wirklichkeit zu bekleiden.
Edda, in ihr hauste ein unermüdliches Zappeln, das auf der Lauer nach einem Startschuss lag, jenem Moment, der durch das Entdecken irgendeiner scheinbaren Kleinigkeit ausgelöst werden konnte. Sie stolperte immerzu in diese Momente, spielerische Stille folgte. Ihre Hände fummelten diese erblickte Kleinigkeit mit Hingabe zu etwas Anderem zusammen. Zu etwas im Zeitstillstand. Es war die Hingabe zum Spiel, aus der sie schöpfte und von der sie stets angetrieben wurde. Ein permanentes, unbewusstes Sehnen. Das Ergebnis ihrer Handfertigkeit war dabei nebensächlich.
Diese täglichen Rituale konnten durch ihre Aufmerksamkeit auf ein simples Stück Holz ausgelöst werden, drei Nägel oder einen winzigen Erdhügel. Rostige Metallteile konnten es sein, Knochen, eine kleine Moosfläche, alte Dosendeckel, Regentropfen am Fenster des Klassenzimmers oder seltsam gekrümmte Herbstblätter. Blätter, die sich in kleinen Wirbeln festgetanzt hatten. Gefesselt an eine Endstation, so wie sie sich empfand, wenn sie morgens das Schulgebäude betrat und ihren Nachmittag im Wald in schmerzhafter Ferne wähnte. Als würde ihr Freiheitsbedürfnis durch die Verletzungen des Schulgeschehens jeden Tag ein bisschen kränker werden können. Und dann, irgendwann, wäre es unheilbar krank, es würde sterben, sich auflösen und sie für immer verlassen.
Edda konnte in Sekundenschnelle zu einem dieser, von ihr bedauerten Blätter der Endstation werden. Sie sprach mit ihnen, befreite, sortierte, hauchte ihnen neues Leben ein. Die Blätter wurden für diesen Tag ihre Gefährten, litten mit ihr, auch weil der Sommer vorbei war. Sie hatten Antworten bereit, die sich nicht so leicht in Worte fassen ließen. Nicht von Edda.
Sie baute wochenlang Dörfer mit kleinen Häusern aus Moos. Unzählige, flache kleine Moosplatten, von einem zarten Hausgerippe aus trockenen Zweigen gehalten. Diese Dörfer lagen versteckt, eingebettet zwischen Ilex-Gehölz und lebenden Baumwurzeln, sie waren meist schon nach einem kurzen, heftigen Regenguss zerstört. Die Hütten waren nicht viel höher als ihre Kinderhand, doch sie boten Zuflucht. Stunden vergingen bäuchlings auf der feuchten Walderde. Sie lugte in ihre Mooshäuser und wurde eine von jenen Erdachten in diesem friedlichen Dorf. Sie erdachte sich selbst.
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